Wer ein wenig warten kann..

In seiner mittlerweile berühmt gewordenen “Marshmallow-Studie” präsentierte der Psychologe Walter Mischel 4-Jährige mit einer Herausforderung: “Iß’ ein Marshmallow gleich jetzt – oder warte eine Weile und bekomme zwei!”

Einige begannen sofort zu essen, andere dagegen waren in der Lage, zu widerstehen. 14 Jahre später fand Mischel erstaunliche Unterschiede zwischen beiden Gruppen: jene, die gewartet hatten, waren vertrauenswürdig geworden, selbstsicher und hatten guten schulischen Erfolg; jene, die nicht gewartet hatten, waren dagegen vergleichsweise impulsiv, stur, und schnitten deutlich schlechter bei einem Psychologischen Test ab, der die Problemlösungskompetenz mißt (SAT Reasoning Test).

Der wichtigste Unterschied aber war nach Prof. Philip G. Zimbardo, PhD, ihre zeitliche Perspektive: Menschen, die ihre Belohnung aufschieben können, sind auch in ihrer Entscheidungsfindung zukunftsorientierter, während diejenigen, die eine sofortige Belohnung erwarten, an ihre gegenwärtigen Bedürfnisse gekettet sind. Jede Entscheidung ist demnach durch unsere internale Zeitperspektive bestimmt, eine Art unbewusste Reaktion, welche von Faktoren wie Familie, Wirtschaft, Geographie, Bildung und Kultur geprägt ist. Wichtig sei eine Balance zwischen der Orientierung auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, so Zimbardo – wenn man den dunklen Aspekten einer dieser Zeitebenen zu viel Aufmerksamkeit schenke, könne sich das desaströs auf unsere Gesundheit, Beziehungen und Finanzen auswirken.

Neigen Sie, das Leben in vollen Zügen zu genießen, haben aber nie genug Geld am Konto? Dann sind Sie gegenwartsorientiert, was sowohl das Potenzial für große Stärken, aber auch Risken hat: Gegenwartsorientierung findet sich einer einschlägigen Studie zufolge häufig bei Spielern und Menschen, die riskante Formen von Sexualverkehr ausüben, oft ist sie verbunden mit Drogenmißbrauch oder alkoholisiertem Fahren. Unter ihnen finden sich jedoch auch die am meisten energiegeladenen, freundlichen, spontanen und kreativen Menschen (Personality and Individual Differences Vol. 23, No. 6, p=1700).

Auch bei vergangenheitsorientierten Personen gibt es diese Polarität: “Vergangenheits-Negative” glauben, die beste Zeit liege hinter ihnen, oder sie machen die Vergangenheit für ihre aktuellen Probleme verantwortlich. “Vergangenheits-Positive” dagegen haben ein vergleichsweise hohes Selbstwertgefühl, schätzen Weisheit und zeigen Dankbarkeit. Aber beide Typen haben Probleme, wenn sie mit ihrem Denken zu sehr in der Vergangenheit verhaftet sind: es sind die sog. Fortschrittsverweigerer – sie zählen in einer Welt der ständigen Veränderung bald zu den Verlierern.

Hinsichtlich des materiellen und sozialen Erfolgs im Leben bewährt sich offenbar ein leichter Hang zur Zukunftsorientierung, erläutert Zimbardo anhand Mischel’s Studie. Zukunftsorientierte Denker sind öfters erfolgreich, sparen Vermögen an und achten mehr auf ihre körperliche und seelische Gesundheit. Eine zu starke Zukunftsorientiertheit allerdings kann zu sozialer Isolierung führen oder zur Vernachlässigung von Beziehungen, Sex und Schlaf zugunsten der Arbeit oder abstrakten Lebenszielen.

Das Wissen über die zeitbezogene Denkorientierung kann helfen, Patienten in Bezug auf ihre Therapieerfolge besser einzuschätzen, vielleicht auch zu unterstützen. Sowohl in der medizinischen Therapie, der Rehabilitation als auch in Psychotherapien sind Erfolge “vom Fleck weg” eher selten, zumeist muß eine Phase ohne deutliche Veränderung oder sogar Unwohlgefühle (in der medizinischen Therapie nicht selten auch Schmerzen) ausgehalten werden, um gute Heilungserfolge zu erzielen. Patienten, die Therapien frühzeitig abbrechen, sind meist vergangenheits- oder gegenwartsorientiert. Jene, die durchhalten, realisieren, daß es ihnen langfristig besser gehen wird, auch wenn es im Moment unangenehm ist oder gar weh tut.

Insofern ist es wichtig, Patienten zu helfen, diese Dynamik zu verstehen, sie dabei zu unterstützen, ihre Perspektiven je nach Notwendigkeit flexibel anzupassen und damit ihr Potenzial besser zu nützen. “Wenn es Arbeit zu erledigen gibt, seien Sie zukunftsorientiert. Nach der Arbeit aber legen Sie eine Pause ein, gönnen Sie sich eine Massage, belohnen und verwöhnen Sie die hedonistische Seite in Ihnen”, sagt Zimbardo. Auf die Balance kommt es an.”

(Photo credit: creatas; Quelle: Focus.de)

Richard L. Fellner, DSP, MSc.

Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut, Paartherapeut



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