Migration kann indirekt krank machen. Das in etwa ist die Schlußfolgerung von Andrea Topitz, der Leiterin der Abteilung für Transkulturelle Psychiatrie und migrationsbedingte psychische Störungen am AKH.
Besonders häufig sei sie in ihrer Tätigkeit mit PatientInnen konfrontiert, die entweder der Landessprache nicht mächtig sind – und daher ihre Probleme nur unzureichend oder gar nicht beschreiben können. Und gerade bei ungeklärtem Asylstatus verfügen sie häufig auch über keine Versicherung, was dann nicht nur für die Patienten selbst problematisch und riskant ist, sondern auch für die medizinischen Einrichtungen ein großes Problem darstellt. Gar nicht selten kommt es zu beidem: sehr geringe prachliche Ausdrucksmöglichkeiten der Patienten UND keine Versicherung.
Wie ich auch im Zuge meiner eigenen bikulturellen Arbeit immer wieder feststelle, ist der Einsatz von Kindern, Verwandten und Bekannten der Patienten und Klienten als “Gratis-Dolmetsch” nicht generell anzuraten: besonders wenn es auch um psychische Probleme geht, besteht dabei das Risiko einer Rollenumkehr oder einem Verlust von Intimität und Integrität.
Hinzu kommen kulturspezifische Faktoren in Behandlung und Beratung: “Psychosomatik gibt es in jedem Kulturkreis, aber der Umgang damit variiert”, schildert Topitz. So neigen etwa südosteuropäische Frauen dazu, Schmerzen viel dramatischer und massiver zu schildern als Österreicherinnen: “Die Patientinnen drücken ihre Schmerzen anders aus, diffuser und weniger differenziert, es tut alles weh und ständig, und auch die Affektlabilität ist gesteigert, die Frauen weinen und klagen viel”, erzählt Topitz. Die Schmerzen können dann ein Ausdruck für die prekäre Gesamtsituation sein, denn es ist leichter, über körperliche Beschwerden eine Anlaufstelle und eine Ansprechperson zu finden. Der eine oder andere Arzt versorge dann die Patienten ohne Rezept mit Medikamenten, aber solche Maßnahmen können nur Tropfen auf den heißen Stein sein.
Die Patientengruppe der Migranten zeichne sich darüber hinaus durch einen übermäßigen und wahllosen Umgang mit Medikamenten aus. Das kann unter anderem daran liegen, dass Ärzte normalerweise nicht die Möglichkeit haben, sprachunkundigen Patienten genügend Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen und diese mit Tabletten “abfertigen.”
Manche Klienten der transkulturellen Ambulanz stehen unter hohem Druck, weil ihr Aufenthaltsstatus nicht geklärt ist und sie ständig von einer Abschiebung bedroht sind (Fellner: bzw. eine Rückkehr in das Heimatland aus anderen, etwa finanziellen Gründen unmöglich erscheint). Solche Umstände generieren einen Teufelskreis von Angst, Rückzug und Schmerzen, aus dem die Patienten selbst mit Medikation und Betreuung kaum herausfinden können.
(Quellen: Der Standard v. 25.01.2011, Fellner, “Wenn zwei Welten aufeinander treffen – Bikulturelle Partnerschaft” (2011); Image src:womenhealthzone.com)