“Was kann ich schon tun, es liegt in meinen Genen!” Diesen Stehsatz hört man häufig, wenn jemand von gesundheitlichen Problemen spricht. Und tatsächlich existieren nur wenige Krankheiten, zu denen nicht mindestens eine Studie versuchte, “genetische Ursachen” ausfindig zu machen – auch bei psychischen Problemen. Doch bemerkenswerterweise können selbst 150 Jahre, nachdem Gregor Mendel (der “Vater der Genetik”) seine Regeln der Vererbung beschrieb, Krankheitsgeisseln der Menschheit wie Krebs, Süchte, Diabetes oder Gewalt immer noch nicht auf genetischem Wege beseitigt werden. Das soll nun nicht heißen, dass die Genetik kein wichtiges Potential hätte – aber offenbar ist es zum heutigen Zeitpunkt immer noch klug, sämtliche nicht-genetischen Einflussfaktoren für unsere Krankheiten und Störungen auch weiterhin zu berücksichtigen.
Einer der haarsträubendsten Aspekte der Theorie, dass unser gesamtes Leben genetisch “programmiert” ist, besteht darin, dass diese Sichtweise uns komplett von unserer Umwelt abkoppelt. Da unser Schicksal ohnehin unabänderlich sei, könnten wir uns demnach eigentlich den Versuch sparen, persönliche oder gesellschaftliche Energien in die Verbesserung unserer Lebenssituation oder Gesundheit zu stecken. Tatsächlich jedoch ist nur ein sehr kleine Gruppe sehr seltener Krankheiten wirklich rein genetisch verursacht. Für komplexe Störungen wie ADHS, Schizophrenie, eine Neigung zu Gewalt oder Abhängigkeit mag es zwar genetische Veranlagungen geben, dies ist aber nicht das gleiche wie eine Vorbestimmung. Gene scheinen uns vielmehr unterschiedliche Möglichkeiten zu geben, auf unsere Umwelt zu reagieren. So wirken Einflüsse in unserer Kindheit und die Art unserer Erziehung ganz entscheidend auf die Art, in der sich unsere genetische Neigung später entwickelt. Wie Untersuchungen zeigen, können diese Einflüsse sogar verschiedene Gene “ein- oder ausschalten”, um uns optimal auf die Anforderungen unserer Umwelt einzustellen.
Eine in Montral durchgeführte Studie beispielsweise, die die Gehirne von Suizidopfern untersuchte, fand heraus, dass ein während der Kindheit stattgefundener Missbrauch offenbar gewisse Gehirngene veränderte, was bei anderen Menschen nicht. feststellbar war. Derartiges wird als “epigenetischer Effekt” bezeichnet: ein Umwelteinfluss, der bestimmte Gene aktivieren oder deaktivieren kann.
So könnte man in einer Variation zu Shakespeare’s Zitat vielleicht sagen: “Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich die Wissenschaft auszumalen vermag.” Und es gibt mehr Möglichkeiten, unser Leben zielführend zu verändern, als wir es uns vorstellen mögen.
(Dieser Kurzartikel ist Teil einer wöchentlichen Serie, die sich mit psychischen Problemen von Expats und generellen Themen psychischer Gesundheit befaßt und in verschiedenen Medien Thailands veröffentlicht wird, 2011; Image src:psychcentral.com)