Vor wenigen Tagen erreichte mich die Interview-Anfrage einer Tageszeitung, die einen bereits in mehreren westlichen Ländern durch Meinungsforschungsinstitute ausgemachten möglichen Gegentrend zu klassischen feministischen Rollenidealen thematisiert. In der Folge ein Auszug aus diesem Interview.
“Eine brandneue Studie des Marktforschungsinstituts „Spectra“ liesse sich so interpretieren, dass Männer und Frauen wieder vermehrt die alten Rollenbilder (Frau zu Hause bei den Kindern, Mann arbeitet) leben und sich dafür aussprechen (beispielsweise meinen 56 Prozent, „dass der Beruf der Hausfrau genauso erfüllend wie jede andere berufliche Tätigkeit auch“ ist und 54 Prozent, dass sie es „im Grunde richtig finden, dass sich die Frauen um den Haushalt und die Kinder kümmern, und die Männer das Geld verdienen”).
Bemerken Sie als Paartherapeut – zumindest ansatzweise – einen ähnlichen Trend in diese Richtung?
“Ich kann diesen Trend aus dem “Mikrokosmos” meiner Praxis nicht bestätigen, was aber nicht unbedingt heisst, dass er nicht existiert: denn Veränderungen im Wertesystem manifestieren sich mitunter erst Jahre später in konkreten Beziehungskrisen.”
Wenden sich vielleicht auch Paare an Sie, die Probleme damit haben, dass die Frau zu Hause bei den Kindern bleiben möchte, der Mann aber wünscht, dass sie etwas zum Haushaltsbudget beisteuert?
“Also, dass Männer von Frauen fordern, Geld zu verdienen statt die Kinder zu betreuen, hätte ich während all meiner Berufsjahre noch nicht erlebt. 😉
Tatsächlich sind Konflikte um dieses Thema häufig in ernsthaften finanziellen Nöten der Familien begründet. Die Versorgung der Kinder ist nämlich gerade in Zeiten erhöhten wirtschaftlichen Drucks keineswegs immer nur eine Frage von “Lifestyle” oder Rollenidealen, sondern ganz häufig geht es schlicht um die Frage: welche Art der Kinderbetreuung erlaubt uns finanziell größere Spielräume? Das gilt ganz besonders auch für die Betreuung durch die Väter.”
Könnte es auch sein, dass wieder mehr Männer Probleme mit der Emanzipation der Frauen haben?
Gibt es hier altersspezifische Unterschiede: Ältere Männer wollen Emanzipation weniger wahrhaben – oder gibt es das auch bei Jüngeren?
Hadern Partnerinnen tendenziell damit, zu wenig unabhängig zu sein, oder ist es auch umgekehrt: sehnen sie sich nach mehr *Geborgenheit* und *Familienleben*?
“Ich zweifle zunehmend, dass Verallgemeinerungen wie diese heute noch adäquat sind – wenn sie das überhaupt jemals waren.
Abseits von idealistischen gesellschaftlichen Grundsatzdiskussionen stellt sich auf individueller und ganz persönlicher Ebene ja immer die Frage: wie fühle ich mich am wohlsten?
Da haben während der letzten 40 Jahre Frauen wie auch Männer, was die Rollenaufteilung in Partnerschaften und Familien betrifft, viele neue Modelle – teils mit großem Mut – ausprobiert. Doch ein erheblicher Anteil jener Frauen, die sich voll und ganz der eigenen Karriere verschreiben, leidet irgendwann an Überlastung oder Sinnkrisen, speziell dann, wenn den Karriereplänen Partnerschaften oder Kinderwünsche zum Opfer fielen. Was wir momentan zu erleben scheinen, ist insofern vielleicht eine natürliche “Gegen-Pendelbewegung” zu all den teils schwierig zu erfüllenden impliziten Forderungen des Feminismus an die Frauen selbst. Diese suchen nun innerhalb der errungenen Freiräume nach besserer persönlicher Balance. Vielleicht ist es also gar nicht Rückschritt, sondern vielmehr Normalisierung?
Dass Frauen heute die Möglichkeit haben, so gut wie jeden Beruf zu ergreifen und darin auch Karriere zu machen, impliziert keineswegs, dass dies für alle auch ein Lebensziel darstellt. Freiheit bedeut auch, Optionen zu haben – und zwar in alle Richtungen. Es wäre tragisch, wenn nun Feministinnen die (heute im Unterschied zu früher in der Regel frei gewählten) Lebensentwürfe anderer Frauen als minderwertig diskriminieren und sie von Neuem in ideologische Korsette zwängen würden.”
Wie ist der Trend generell: Steigt die Bereitschaft der Paare, Hilfe von einem Therapeuten zu suchen?
“Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass dies so ist, und das freut mich als lösungsorientierter Therapeut natürlich sehr. Früher musste ich zu Paaren häufig sagen: “schade, dass Sie nicht bereits früher kamen!”, heute oft “schön, dass Sie zu einem so frühen Zeitpunkt Beratung einholen!” Viele Paare anerkennen heute, dass selbst dann, wenn sie selbst nicht mehr weiter wissen, eine neutrale, einschlägig geschulte Fachperson i.d.R. mehr Möglichkeiten hat, destruktive Kommunikationsmuster zu erkennen und dabei zu unterstützen, diese effektiv zu überwinden.”
(Wiener Blatt, 08/2012)