Bergwandern gegen Depression

r.l.f., 1994 😉

Das Universitätsklinikum Salzburg veröffentlichte kürzlich eine Studie, welche bei Depression und Suizidalität eine unterstützende Wirkung der Psychotherapie und Pharmakotherapie durch Bewegungstherapie nachweist.

Die Idee entstand bei gemeinsamen Film-Deharbeiten zum Thema „Alpen und Suizid“ von Dozent Reinhold Fartacek und Reinhold Messner auf dem Rauriser Sonnblick. Die veröffentlichte wissenschaftliche Studie „Physical exercise through mountain hiking in high-risk suicide patients. A randomized crossover trial“ (siehe u.a. Quellverweise) bestätigt eindrucksvoll die unterstützende Wirkung einer Bewegungstherapie zu Psychotherapie und Pharmakotherapie. Mit dieser Studie können auch erstmals Schwankungen der psychischen Befindlichkeit nicht nur beobachtet sondern auch verstanden werden.

Die äußerst aufgrund der Vielzahl der abgefragten Parameter (z.B. tägliche Selbsteinschätzung der TeilnehmerInnen, psychologische Daten, Prozesseinschätzung, Vorher-/Nachher-Einschätzung, sportphysiologsiche Messungen) äußerst komplexe Wanderstudie “Übern Berg” ist weltweit einmalig. Es wurde wie heute generell in der Suizidprävention darauf gesetzt, auf individuelle Stärken anstatt auf Krankheit zu achten. Die Patienten sollten durch die körperliche Aktivität beim Bergwandern und das Erlebnis – “über den Berg zu gehen” – für den Alltag seelisch und körperlich zu stärken. Diese Erfolge, aber auch das Erlebnis der Natur sowie die zwischenmenschlichen Begegnungen während des Bergwanderns sollten ihnen Mut und Hoffnung für die Bewältigung des Alltags geben. Mit Redewendungen wie „Es geht bergauf“ oder „Berge versetzen“ werden im Alltag positive Entwicklungen beschrieben. Doch obwohl in Österreich mehr als 74% der über 15-Jährigen zumindest gelegentlich wandern, können sich gerade Menschen mit psychischen Erkrankungen oder in Lebenskrisen nur schwer überwinden, körperlich aktiv zu sein.

Synergetisches Navigationsystem (SNS)

Die interdisziplinäre Studie (PsychiaterInnen, PsychologInnen, Sportmediziner, PflegemitarbeiterInnen) fand in der Salzburger Bergwelt statt. Die Selbsteinschätzung wurde mittels der Nutzung eines vom Leiter des PMU-Instituts für Synergetik und Psychotherapie-forschung, Univ.-Prof. Dr. Günter Schiepek entwickelten sog. „Synergetischen Navigationssystems“ (SNS) messbar gemacht. Mit einem darin eigens angelegten Online-Fragebogen wurde 6 Monate hindurch täglich die persönliche Befindlichkeit mit 38 Einzelitems in einer Selbsteinschätzung angegeben. Durch die hochfrequenten Messungen ergab sich eine Verlaufsdarstellung mit mehr oder weniger stark ausgeprägten Schwankungen und Phasenübergängen. Speziell in den Bereichen Freude und Selbstwertgefühl kam es in der Wanderphase bei vielen Teilnehmern zu einer Steigerung – wobei die Ängstlichkeit gleichzeitig abnahm.

Die Studienteilnehmer wurden in zwei Gruppen geteilt. Die Wandergruppe wanderte 9 Wochen lang, während die Wartekontrollgruppe keine speziell geplanten Aktivitäten durchführt. Nach 9 Wochen wurde gewechselt, und jeweils die empfundenen Veränderungen der Hoffnungslosigkeit und Depressivität wie auch die rein körperliche Ausdauerleistungsfähigkeit gemessen. Hinsichtlich der empfundenen Hoffnungslosigkeit, Depressivität, wie auch der körperlichen Ausdauerleistung ging es den TeilnehmerInnen signifikant besser als vor der Studie. Die Studienteilnehmer berichteten von einer neu angeeigneten Tagesstruktur, mehr Appetit, mehr Selbstvertrauen und weniger Stress. Dies berichteten selbst die meisten jener Patienten, die sich zunächst alles andere als “sportbegeistert” bezeichnet hatten.

Um Überforderungen zu vermeiden, wurde zunächst der optimale Belastungspuls der PatientInnen ermittelt und bei jeder Wanderung mittels Herzfrequenzmesser überwacht. Bald merkten die Wanderer, dass es bei dieser Sportart nicht darum geht, der Schnellste zu sein – so war es jedem möglich, das eigene Tempo zu finden. Jede Wanderung startete mit einfachen Mobilisationsübungen und endete mit abschließenden Dehnübungen. Im Laufe der Studie war an Stelle der fehlenden Motivation die Vorfreude auf die nächste Wanderung so groß, dass die Teilnehmer oft schon eine gute Weile vor dem vereinbarten Zeitpunkt am Treffpunkt warteten.

Die Teilnahme der Patienten am Wandern war nahezu lückenlos und belegt, dass diese Form der Bewegung nicht nur akzeptiert sondern auch gerne ausgeübt wurde – und das selbst bei Wind und Wetter. Die verbesserte körperliche Leistungsfähigkeit ist insofern günstig, als körperliche Bewegung auch rein körperlich gesund ist, gerade von depressiven Personen aber häufig zu wenig ausgeübt wird. Wandern jedoch kann gerade in Mitteleuropa nahezu das ganze Jahr über ausgeübt werden.

Schlussfolgerungen

Im Rahmen der Salzburger Wanderstudie konnte mittels täglicher Selbsteinschätzung bestätigt werden, dass bereits nach einer Wanderung die Stimmung verbessert, von negativen Gedanken abgelenkt und Stresssymptome abgebaut werden können. Am Ende des Wanderprogramms konnten Selbstwert und Schlafqualität zusätzlich zur Wirkung der bestehenden psychotherapeutischen und psychopharmakologischen Behandlung verbessert werden, auch Angst- und Borderlinesymptome wurden reduziert. Die körperliche Fitness stieg aufgrund der sorgsam abgestimmten Routenplanung z.T. signifikant.

(Quellen: MedAustria 2012, Acta Psychiatr Scand 2012: 1–9 (doi: 10.1111/j.1600-0447.2012.01860.x)

Richard L. Fellner, DSP, MSc.

Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Sexualtherapeut, Paartherapeut



3 Antworten

Marie Reply

Toller Artile. LG

Dipl.-Psych. Michael Krey Reply

Die Bewegung des Menschen ist Grundvoraussetzung der Heilung von psychischen Erkrankungen. Die Bewegung des Körpers geht der Bewegung des Geistes und der Seele manchmal voraus, gleichzeitig oder hinterher, in unterschiedlicher Relation zur Befindlichkeit oder Krankheit des Klienten/Patienten. Da Geist und Körper zwei Seiten der Medaille Mensch sind, ist es möglich von einer Seite oder beiden Seiten gleichzeitig mit Veränderungen zu beginnen. Gerade bei depressiven Menschen beobachten wir oftmals einen Rückzug der Gesamtpersönlichkeit in die Nische seines Leidens. Wenn er dort abgeholt wird und geht mit, dann geht er meist direkt zurück ins Leben.

Wildnis spüren – sich selbst begegnen… – Jera Outdoors Projekt Reply

[…] Bergwandern gegen Depression  (Studie des Univ.Klinikums Salzburg) […]

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11.11.22