Die Techniker Krankenkasse (TK) hat in ihrem Gesundheitsreport 2010 erstmals die Arzneimittelverordnungen ihrer 3,4 Millionen Mitglieder über die letzten zehn Jahre analysiert. Daraus geht hervor, dass sich das Volumen der in Deutschland verordneten Antidepressiva im letzten Jahrzehnt bei Frauen wie Männern verdoppelt hat. Damit einhergehend erhöhten sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Ausgaben für psychische Erkrankungen zwischen 2002 und 2008 um 5,3 auf 28,7 Milliarden Euro. Deutschland liegt damit aber nur im Trend: bei der Recherche für das Psychotherapie-Blog stoße ich regelmäßig auf Berichte aus aller Welt (oder um genauer zu sein: von den verschiedenen westlichen Industrienationen .. welche gleichzeitig – zufällig oder nicht? – auch jene sind, in denen die Pharmaindustrie über erheblichen Einfluß auf die Gesundheitpolitik verfügt), in denen ebenfalls ähnliche atemberaubende Zunahmen zu verzeichnen sind (z.B. betr. USA). Wurden doppelt so viele Menschen “depressiv”? Werden die Medikamente auch dann, wenn sie eigentlich gar nicht indiziert oder notwendig wären, bedenkenlos verschrieben? Warum eigentlich? Derartige Fragen drängen sich fast automatisch auf, scheinen in der Gesundheitspolitik aber keinerlei Denkprozess anzustoßen. Die Ausgaben für Arzneimittel nehmen im Gesundheitshaushalt der westlichen Staaten heute einen geradezu extremen Anteil ein: in der Schweiz etwa sind es bereits 21% der Krankenversicherungsleistungen und dieser Anteil stieg seit 1999 etwa 7-10% jährlich an. Wurden die Pharmaprodukte tatsächlich immer erfolgreicher oder schafft es hier eine Industrie, aus anderen Sektoren sukzessive öffentliche Mittel abzuziehen?
Die häufig – besonders von PolitikerInnen – gegebene Erklärung, die Veränderungen am Arbeitsmarkt würden den Druck erhöhen und dadurch zu einer Zunahme an psychischen Beschwerden führen, greift offenbar zu kurz: nicht nur Arbeitnehmer erhalten vermehrt Psychopharmaka verschrieben, Arbeitslose sind bei nahezu allen Diagnosen sogar noch häufiger betroffen als andere Gruppen, wobei die Schere bei den psychischen Störungen besonders groß ist.
(Quellen: TK Gesundheitsreport 2010, telepolis, sp-ps.ch; Photo:citizen.co.ca)