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Alexander
neu an Bord!
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Post Sun, 08.Feb.04, 22:55      Freundlichkeit und Abgrenzung Reply with quoteBack to top

noch 3 Tage, dann endet ein 4 jähriger -für mich grauseliger- Berufsabschnitt als 40 jähriger Lehrer für SchülerInnen zwischen 12 und 16 Jahren; ich habe in dieser Zeit nach und nach jeden Glauben an die guten Seiten von mir verloren: durch das beharrliche Sich-Abgrenzen-Müssen UND NICHT KÖNNEN bin ich in einen dermaßen desolaten Zustand geraten, dass ich nicht ermessen kann, ob ich jemals "tough" genug sein werde, um gegen all die Häßlichkeiten, denen man im Laufe des Lebens begegnet überhaupt gewachsen zu sein.

Ich empfinde nur noch Ekel gegenüber meiner freundlich, ehrlich offenen Art: im Umgang mit den Schüler und der unablässigen Konfrontation (Lärm und Disziplinlosigkeit in der Klasse) mußte ich allmählich begreifen, wie unfähig ich bin, mich abzugrenzen, nein zu sagen, ..... mich zu wehren.
Irritierenderweise ist dann mein Kopf wie Brei, sobald ich VERBAL für meine Interessen einstehen sollte: ich bin nicht mehr imstande klar zu denken, und meinen Willen zu artikulieren; ich nenne es "kognitive Ohnmacht". Bei Licht betrachtet, ist mir das schon immer so gegangen - nur geschieht es im Schulalltag (bei mir 16 Stunden pro Woche) derart konzentriert, dass es mir erst jetzt so richtig aufgefallen ist.
Meine Kollegen dachten lange, es wäre nur so eine Masche von mir, mit dem Heiligenschein rumzulaufen und immer nur der Gute sein zu wollen - bis ich ihnen schilderte, dass ich gar nicht in der Lage sei, all die anderen Gefühle ausdrücken zu können, mit denen man bei Schülern erst als "Alpha-Tier" akzeptiert wird (wie Dominanz, Stärke, Führung, Bestrafung)
Sogar die Schüler bettelten oft darum, einfach strenger mit Ihnen zu sein!! Aber wie, wenn mein sprachliches Geschick immer in diesen Situationen versagte ....

Hat jemand von Euch (vielleicht auch "Softie-LehrerInnen") eine ähnliche Erfahrung gemacht? Kann so ein Zustand der Sprachlosiggkeit neurologische Ursachen haben (immerhin schrumpft während einer solchen Selbstverteidigungs-Situation mein Sprachvermögen gegen Null)? Oder was für Gründe könnte es geben, dass ich niemandem böse sein kann, und gar kein Motiv erkenne, mich abgrenzen zu müssen? Das Verhalten manchner Menschen (und leider vieler Schüler) hat mich einfach sprachlos gemacht? Das kann doch ganz normal sein, oder?
Manchmal wünschte ich mir, ich hätte all die rhetorischen Raffinessen als Instrument, um schlagfertig zu kontern .... dann aber denke ich, dass ich es schon beim Anwenden verachten würde .- ich weiß einfach nicht mehr, wo oben und unten ist -und wer ich nun bin und ob meine Freundlichkeit gar nicht echt ist, sondern nur eine zigjährige Selbststilisierung.

Grüße an alle!
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Ashiama
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Post Sun, 08.Feb.04, 23:44      Re: Freundlichkeit und Abgrenzung Reply with quoteBack to top

Hi Alexander!

Quote:
Irritierenderweise ist dann mein Kopf wie Brei, sobald ich VERBAL für meine Interessen einstehen sollte: ich bin nicht mehr imstande klar zu denken, und meinen Willen zu artikulieren; ich nenne es "kognitive Ohnmacht".


Das hört sich für mich nach einer Angstreaktion an. Hast du vielleicht Angst davor, wie die anderen reagieren könnten? Was passiert in anderen Situationen, wo du dich durchsetzen musst?

Quote:
immerhin schrumpft während einer solchen Selbstverteidigungs-Situation mein Sprachvermögen gegen Null

Warum fühlst du dich angegriffen?

LG Ashiama
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Kleine Fee
Moderatorin
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W, 28


Post Mon, 09.Feb.04, 0:08      Re: Freundlichkeit und Abgrenzung Reply with quoteBack to top

Hallo Alexander,

wieso endet eigentlich in drei Tagen die Zeit als Lehrer (oder in einer bestimmten Schule?) für dich? Hörst du jetzt damit auf oder machst du eine Pause oder wechselst du?

Quote:
durch das beharrliche Sich-Abgrenzen-Müssen UND NICHT KÖNNEN


Wogegen musstest du dich denn abgrenzen? Gegen die Angriffe von Schülern? Gegen dumme Bemerkungen von Schülern oder Kollegen? Ist die gewisse Distanz, die man bewahren muss, um nicht jeden Kleinkram an sich heranzulassen, damit er einen nicht belastet?

Kognitive Ohnmacht, also das Begreifen, dass es eigentlich alles nichts bringt, du versuchst das Richtige zu tun, aber irgendwie führt es nicht zu dem Ziel, das man sich vorgestellt hat, oder verstehe ich das falsch?


Quote:
Ich empfinde nur noch Ekel gegenüber meiner freundlich, ehrlich offenen Art: im Umgang mit den Schüler und der unablässigen Konfrontation (Lärm und Disziplinlosigkeit in der Klasse) mußte ich allmählich begreifen, wie unfähig ich bin, mich abzugrenzen, nein zu sagen, ..... mich zu wehren.


Nun, ich denke, dass das eine Reaktion ist, die auch in anderen Gebieten des Lebens vorkommen kann, wenn man mit etwas unzufrieden ist. Wenn man mit sich selber unzufrieden ist. Lebensunmut, da läuft etwas schief, da spielt man sich selbst etwas vor. Aber zu dieser Einsicht bist du ja schon gekommen. Ich muss zugeben, dass mir das in meinem Leben schon mehrfach passiert ist, auch wenn ich noch keine fertige Lehrerin bin, aber irgendwann sein werde (möglicherweise bei bestandenen Prüfungen...).

Das bezieht sich nicht nur auf das Lehrerdasein, das bezieht sich auf eine ganze Lebenseinstellung. Auf ein Lebensgefühl, das nicht damit zufrieden ist, wie es ist, sondern etwas viel Höheres erwartet. Etwas, das einem das Gefühl gibt, etwas zu leisten, etwas zu erreichen, etwas zu ändern.

Ein Gefühl des Glückes, dass da doch etwas richtig läuft. Wenn das fehlt, entsteht schnell ein Loch, das auch gleich Leid erzeugt, gegen das man etwas tun muss.

Welche Fächer hast du unterrichtet? Denn ein wenig Ahnung habe ich schon von diesem ganzen Trubel... Hat auch etwas mit kognitiver Aktion zu tun, manche denken mehr, manche weniger. Und die, die mehr denken, haben auch mehr Probleme mit dem, was sie da tun... Logisch... Wink

Viele Grüße von der Kleinen Fee, die auch viele ähnliche Gedanken hat...
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Alexander
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Wohnort München
M, 40


Post Mon, 09.Feb.04, 6:20      Re: Freundlichkeit und Abgrenzung Reply with quoteBack to top

Danke für Eure rasche Antwort! ...
ja ich habe Angst vor der Reaktion der Schüler. Ich habe Angst, nicht pädagogisch angemessen intervenieren zu können - ohne es zu wollen, nehme ich alles viel zu persönlich; hinterfrage mich -automatisch- ob die Schülerkritik nicht irgendwie doch gerechtfertigt ist, selbst wenn sie krass formuliert ist. Aber die schulische Umgebung werde ich ja diese Woche verlassen, ich mache mich selbstständig, und so bin ich etwas aus dem Schussfeld ständiger sozialer Beobachtung durch andere.
Trotzdem: mein Problem ist damit nicht gelöst - die Schüler wirkten eher wie ein Katalysator, durch sie bin ich erst wieder intensiv auf mein Thema "Willensstärke" gestoßen. Eine Stunde Unterricht empfinde ich wie eine Woche im normalen Alltag - dort muß man sich ja auch nicht auf Schritt und Tritt verteidigen. Manchmal erinnert mich der Verlauf einer Unterrichtsstunde an Wildwasserfahren, an extremes Psychodrama, und sogar an die Urschreitherapie nach Janov (jedenfalls wenn ich mich manchmal in das Gefühl des Schmerzes und der Wut hab fallen lassen, weil die Schüler überhaupt nicht ruhig sein wollten)

Liebe Kleine Fee: Du hast ganz recht mit Deiner Interpretation meiner sogenannten kognitiven Ohnmacht! Egal wie ich es angestellt habe, nichts führte dauerhaft zur Ruhe in der Klasse. Kein Respekt - nur Zumutungen.
(weil ich gar nicht mehr zu antworten wußte auf die vielen gleichzeitigen Pfeile der Schüler). So etwas hätte ich mir nicht im Alptraum vorstellen können, dass ich mit solchen seelischen Erschöpfungen einmal hätte zu kämpfen müssen. Mittlerweile kann ich alle armen idealistischen Lehrer verstehen, die am sogenannten burn-out-syndrom leiden .... das ist kein bloßes Jammern, sondern ein tiefes Zweifeln an der Sinnhaftigkeit dessen, was man tut.

(P.S.: wie fügt man solche Zitate ein, wie in Euren Antworten?)
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