Ashiama
Forums-InsiderIn
445
Berlin W, 23
|
Sat, 10.Jan.04, 0:17 Auf der Strasse |
|
Dies ist ausnahmsweise mal kein Gedicht, aber ich dachte mir es ist vielleicht doch von Unterhaltungs- und Erfahrungswert.
Als ich 16 Jahre alt war bin ich im Sommer von zu Hause abgehauen. Schon mit 6 Jahren hatte ich mir vorgestellt, wie es wohl waere und nun konnte ich es nicht mehr laenger aushalten.
Ich kletterte nachts aus dem Fenster und lief bis zum naechsten U-Bahnhof, fuhr in einen Bezirk von Berlin, den ich nicht kannte, und schlief die restliche Nacht auf einem Spielplatz.
Am naechsten Morgen sprach ich ein paar Punks an und durfte mich zu ihnen gesellen. Wir bettelten gemeinsam und entschlossen uns, auf ein Punkkonzert an der Ostsee zu fahren.
Die zweite Nacht verbrachte ich mit den Punks auf einer Wiese und fuer ein Bisschen "Betatchelnlassen" bekam ich sogar eine warme Decke. Zu dem Punkkonzert selbst sage ich nur *no comment*, aber die Nacht darauf ist ein Wort wert. Wir hatten kein Zelt und es fing an zu regnen. Da kam ein Punk und bot uns an bei seinen Freunden im Zelt zu schlafen - mit der Bedingung, ich schliefe bei ihm im Zelt. Zu meinem Glueck war er aber zu besoffen und auch die Ankuendigung von einem meiner Begleiter mich am naechsten Tag zu vergewaltigen ervuellte sich nicht.
Zurueck in Berlin nahm mich einer der Punks mit nach Hause und dort wohnte ich nun mit vier Leuten, zwei Hunden, einem Hamster, einer Ratte und mehreren Cannabispflanzen in einer zwei-zimmer Wohnung. Vormittags gingen wir betteln und nachmitttags Freunde besuchen oder wir tranken und kifften uns die Birne zu. Geschlafen habe ich bei den Hunden auf dem Fussboden, weil das mit dem Couchteilen ohne Uebergriffe einfach nicht klappte.
Wir teilten alles und auch die anderen Leute, die ich in der Zeit kennenlernte waren grosszuegig, obwohl sie kaum was hatten.
Wieviele Menschen haben sich schonmal ernsthaft mit Prostituierten, Strassenkindern, Drogendealern usw. unterhalten?
Ich war nur acht Tage auf der Strasse, aber ich werde es nie vergessen. Freiheit, Armut, Gewalt und mittendrin trotzdem ein unglaubliches Mass an Menschlichkeit.
Unsere kleine WG wurde aufgeloest als Teddy, der Mieter der Wohnung erfuhr, dass gegen ihn ein Haftbefehl lief. Ich nahm die Aufloesung zum Anlass meine Flucht zu beenden und das Jugendamt aufzusuchen - ohne Erfolg, aber das ist eine andere Geschichte...
Was es mir gebracht hat? Eine andere Sichtweise, mehr Verstaendnis fuer andere Menschen, auch wenn ihr Verhalten unangemessen ist und eine riesige Portion Toleranz.
Trotzdem: NIE WIEDER
|
|
|