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Abendstern
neu an Bord!
2
Berlin W, 24
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Fri, 19.Oct.07, 0:06 Normale Trauer oder ein Fall für Therapie? |
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Hallo,
ich bin neu hier im Forum und möchte nach langem Zögern jetzt mal den Versuch starten, mein "Problem" zu schildern. Vielleicht kann mir eure Meinung zu etwas mehr Klarheit verhelfen.
Mitte Januar ist meine beste Freundin bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Meine Eltern sind ebenfalls schon verstorben. Nach dem Tod meiner Freundin habe ich kurz, aber extrem intensiv gertrauert. Dann hat der Alltagsstress mich so stark gefordert, dass ich versucht habe, den Trauerprozess irgendwie zu integrieren. Seitdem habe ich das Gefühl, mich vom Leben äußerlich unbemerkt abgespalten zu haben.
Ich habe auch starke Konzentrationsstörungen, und zwar unabhängig von meinem Interesse am Thema. Es ist, als wäre zwischen mir und dem Leben eine unsichtbare Barriere errichtet worden und ich kämpfe mit aller Kraft darum, sie aufrechtzuerhalten.
Oft machen mich alltägliche Angelegenheiten, wie z.B. Gespräche mit meinem Freund grundlos total aggressiv. Ich habe dann das Gefühl, ein Gespräch nach kurzer Zeit einfach nicht mehr zu ertragen. Ich möchte dann nur noch losschreien und flüchten, mache das aber natürlich nicht.
Wenn ich mit meine Freunden über meine Problem sprechen will, habe ich das Gefühl, es hilft nicht. Ich fühle mich nur noch einsamer. Selbst unter vielen Leuten, die mir nahestehen fühle ich mich total einsam.
Mir ist das Gefühl von Selbstverständlichkeit absolut abhanden gekommen. Nie denke ich, dass ich mich jemandem problemlos anvertauen kann. Ich denke, ich sollte alles aus eigener Kraft schaffen und will auf keinen Fall zur Belastung werden, zumal ich das Gefühl habe, dass mir eh keiner helfen kann.
Im Sommer hatte ich einen Abend sowas wie "Angstzustände", was sich so äußerte, dass ich plötzlich panische Angst hatte von Toten in meiner Wohnung heimgesucht und verfolgt zu werden. Ganz schön krank.javascript:emoticon('')
Habe darüber mit meinem Freund geredet und danach wars nie mehr so schlimm. Habe aber lange Zeit Angst davor gehabt, dass sowas wiederkommt.
Insgesamt bin ich voll leistungsfähig, äußerst aktiv, treffe dauernd Leute und versumpfe nicht.
Ich habe das Gefühl ich brauche nur Zeit und das gehört alles zum Trauerprozess, aber ich weiß nicht, ab wann die Grenze erreicht ist, ab der ich mir Hilfe suchen sollte. Ich spür mich nicht, weiß nicht wo die Grenzen der anderen sind und wo meine eigenen.
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anarchistin
[nicht mehr wegzudenken]
1075
wien W, 24
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Fri, 19.Oct.07, 7:16 Re: Normale Trauer oder ein Fall für Therapie? |
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hy ich denke jeder trauert anders....wenn es natürlich manisch wird ( das du schwarze kerzen drapierst, nur noch heulst, dich nicht mehr anziehst, mit "stimmen"zureden beginnst oder noch in 1jahr traurig bist) dann ist eine thera angesagt...denk ich...
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_________________ **der weg der extreme führt zum palast der weisheit** |
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Tarengrim
Helferlein
100
Österreich M, 26
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Fri, 19.Oct.07, 9:19 Re: Normale Trauer oder ein Fall für Therapie? |
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Hm, also ein teil deiner Schilderung würde wohl auf eine Depersonalisierung hindeuten. Wobei das eine recht gewagte Aussage ist, also bitte nicht jetzt als gegeben hinnehmen, es ist nur die einigermaßen sinnvollste Erklärung die mir im Moment eingefallen wäre. Vor allem die Erwähnung von Abspaltung des Lebens, sich selbst nicht mehr spüren und Konzentrationsstörungen.
Das Problem mit dem Anvertrauen könnte darauf zurück zu führen sein, dass du den tot deiner Freundin und vielleicht deiner Eltern als Vertrauensbruch interpretiert hast, oder in einem andere extrem, du glaubst, dass all deine Bezugspersonen sterben müssen und du deshalb versuchst Abstand zu halten.
Das sehen von Toten die dich zuhause besuchen kann darauf schließen lassen, dass es noch dinge gab, die du den verstorbenen mitteilen wolltest oder es einfach noch dinge gab, die du erledigen wolltest bevor diese Menschen aus deinem Leben schieden.
Natürlich kann es eine normale Trauerreaktion sein, aber beinahe ein Dreiviertel Jahr ist ein wenig lange für meinen Geschmack, vor allem wenn sich noch keine Verbesserung der Lage abzeichnet.
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gompert
Forums-InsiderIn
333
niederlande M, 49
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Fri, 19.Oct.07, 12:24 Re: Normale Trauer oder ein Fall für Therapie? |
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Hi Abendstern, sei willkommen.
Dein Problem heiβt komplizierte Trauer. Dein Bewuβtsein meint die Mitmenschen schon genug mit deinen Toten belästigt zu haben und dein Unterbewuβtsein widersetzt sich, weil das nicht stimmt. Sehe dir mal an was google darüber alles meldet. Es ist in letzter Zeit ziemlich viel darüber bekannt geworden.
Du muβt dir Hilfe suchen. Klarer Fall.
Mir sind die Eltern auch viel zu früh verstorben, auch die Geschwister. Auch ich spüre eine seltsame Einsamkeit, eine unsichtbare Barrière, habe neulich noch mit dem Thera von der gläsernen Wand gesprochen zwischen mir und den Leuten. Auch ich werde von Gesprächen mit Freunden, von Klischees über meine Verluste ("Das Leben geht weiter") nur noch einsamer und fühle mich abgespalten. Konzentrationsstörungen habe ich auch und die Nähe des Partners war mir immer der stärkste Trost. Schweren Herzens muβ ich zugeben daβ auch Aggressionsanfälle mir nicht fremd sind. Nur verbale und nur in der Ehekrise, aber mein Selbstbild sträubt sich dagegen. Wut paβt einfach nicht zu mir. Wut paβt aber zur unverarbeiteten Trauer.
Für mich war eine Gruppentherapie die geeignete Form, da auch die geringe soziale Akzeptanz unsichtbarer aber allesbeherrschender Trauer für mich problematisch war. Ich habe da wichtige Schritte gemacht und reguliere meinen Kummer nun indem ich am Geburts- und Sterbetag der Angehörigen eine Kerze brenne und an sie denke. Das reicht. Vorher wollte ich das Datum nicht mal wissen und sie waren trotzdem allgegenwärtig. Oder vielleicht eher demzufolge.
Du bist noch sehr jung und therapabel. Ich habe viel zu lange gewartet, das rächt sich jetzt. Deiner Treue, deiner Loyalität zu deinen Toten muβ ein Ende gesetzt werden. Du hast sie innerlich noch nicht beerdigt. Die Angst das könnte krankhaft sein, kann ich dir nehmen. Da waren sich zwei Psychiater, am Anfang und Ende meiner Therapie, unabhängig von einander einig. Auch die Angst vor Anwesenheit der Toten ist nicht unbedingt pathologisch. Unsere Kultur ist da ja eher die Ausnahme indem unsere Toten einfach weg sind. Wer keine Toten zu beklagen hat, läβt sich auch nicht wirklich eingreifend mit diesem Rätsel konfrontieren. Da nimmt es nicht Wunder wenn eine Ansammlung von Verlusten zu Verfremdung führt.
Schönen Gruβ vom Nordseestrand,
Gompi.
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Kelly1
Forums-InsiderIn
452
Fast am Meer :-) W, 27
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Fri, 19.Oct.07, 17:00 Re: Normale Trauer oder ein Fall für Therapie? |
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Hallo Abendstern ,
das was Du erlebt hast ist sehr schwer zu verkraften , tut mir sehr leid für Dich . meine beste freundin ist vor ganzen 9 jahren bei einem Autounfall gestorben . Ich bin komischerweise heut noch nicht drüber weg . Wenn ich an Sie denke kommen mir gleich die tränen und ich konnte bis jetzt auch noch nicht ihr Grab besuchen , schaffe ich einfach nicht . Ich hoffe das du noch Zeitfindest zu trauern , und ich hoffe das es nicht so arg dein Leben in Besitz nimmt und du weiterhin Freude am Leben haben kannst .
Ich wünsche dir ganz viel Kraft !!!!
LG kelly
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Abendstern
neu an Bord!
2
Berlin W, 24
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Fri, 19.Oct.07, 18:59 Re: Normale Trauer oder ein Fall für Therapie? |
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Hallo,
vielen Dank für eure hilfreichen und verständnisvollen Antworten.
Es tut gut, das alles hier nochmal "anonym" äußern zu dürfen und ein so vielseitiges Feedback zu bekommen.
Allein, das überhaupt zu schreiben, war wichtig, weil es mich enorme Überwindung gekostet hat, da meine Gedanken immer wieder im Kreis springen und sich mir entziehen und so musste ich das ganze mal irgendwo anpacken und raustun.
Zur Zeit überlege ich, meine alte Therapeutin nochmal zu kontaktieren. Ich habe bei ihr eine fünfjährige KuJ- Analyse gemacht. Die ist jetzt seit vier Jahren beendet. Anschließend habe ich ihr ca 1-2 mal im Jahr einen Brief geschrieben, wie's mir geht und so. Bin aber noch nie wegen eines Problems wieder auf sie zugegangen. Ich habe halt immer den Anspruch an mich, das jetzt so zu schaffen.
Nach dem Tod meiner Freundin hab ich ihr allerdings davon geschrieben und sie hatte mir ein Gespräch angeboten. Als ich da war, hat das aber auch ziemlich viel aufgewirbelt.
Ich möchte sie auch nicht ausnutzen, schließlich ist meine Therapie ja beendet.
Wisst ihr vielleicht, ob es sowas wie Nachbearbeitungs-Stunden gibt, die man beantragen kann? Mein Freund sagte, er hätte gehört, dass sei in jeder Therapie inklusive. Dann hätte das Ganze wenigstens etwas weniger von Ausnutzen, denn dann könnte sie es über die Kasse absetzen.
Vorerst könnte sie mir wenigstens einen Rat geben, wie es weitergehen könnte. Außerdem kennt sie mich und meine Geschichte schon.
Was meint ihr?
Ganz liebe Grüße und danke nochmal...
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anarchistin
[nicht mehr wegzudenken]
1075
wien W, 24
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Sat, 20.Oct.07, 11:24 Re: Normale Trauer oder ein Fall für Therapie? |
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ja wenn es sowas gibt dann nutz es! klar wird das viel wieder aufreissen- fü´hlst du dich denn überhaupt schon bereit das thema anzugehen?
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_________________ **der weg der extreme führt zum palast der weisheit** |
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