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Somnambule
sporadischer Gast
19
Deutschland W, 43
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Wed, 20.Jun.07, 13:35 Sich schlecht fühlen WOLLEN? |
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Hallo zusammen,
Nach mehreren Monaten Psychotherapie stelle ich nun fest, dass ich mich oft schlecht fühlen WILL. Und nachdem ich mich nun mehrfach dazu gezwungen habe, die Dinge positiv anzugehen, also bewusst die Mundwinkel hochziehe und gute Laune verbreite- siehe da, es geht auch so, und es geht gut. Aber es kostet enorme Energie und beim kleinsten Widerstand falle ich wieder in meine gewohnten Muster (ich bin Scheiße, ich krieg nix auf die Reihe, alle anderen sind schöner, klüger, interessanter, bessere Mütter, bessere Liebhaberinnen, bessere was weiss ich, etcpp never ending...) Es gibt teilweise gar keinen Grund, alles nur negativ zu sehen, im Gegenteil, doch sobald ich positive Rückmeldungen erhalte, mache ich mich klein und schlecht. Vor allen Dingen glaube ich das dann ja auch selbst. Wenn ich stattdessen antworten würde: ja stimmt, ich bin eine erfolgreiche ......... würde ich denken, dass ich mir eigentlich was in die Tasche lüge. Woher kommt das? Vielleicht wird man angreifbarer, wenn man sich sehr selbstbewußt präsentiert? Ist es die Angst vor persönlichen Angriffen oder Neid? Manchmal glaube ich in ALLEN Therapien geht es letztlich darum, endlich Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, zu sich zu stehen und sowohl die positiven als auch die negativen Seiten zu akzeptieren.
Oft denke ich auch, ich habe es nicht „verdient“, dass es mir gut geht. Auch die Therapie habe ich mir eigentlich nicht verdient, meine Pillepalle-Probleme rechtfertigen gar keine Therapie – und schon fühle ich mich wieder ein Stück schlechter.
Ich habe zur Zeit meine Essstörung seit fast 7 Wochen im Griff – aber ich werde immer depressiver, anstatt zu denken, prima, wunderbar, ich bin auf dem Weg, alles wird gut, denke ich, naja wart nur ab, so weit warst du schon mal, wahrscheinlich wirst du eh bald wieder rückfällig. Was bringt es mir, so zu denken, es muss ja irgendeinen Vorteil bieten. Ja, es bestätigt mein negatives Selbstbild
Mir werden durch die Therapie Zusammenhänge bewusster, aber was ich ändern müsste, habe ich auch schon vorher gewusst. Wieso ist es so schwierig, die sich selbst schadenden Mechanismen abzustellen?
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thorn
Forums-Gruftie
944
BRD W, 24
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Wed, 20.Jun.07, 14:51 Re: Sich schlecht fühlen WOLLEN? |
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Hallo Somnambule,
ich kann gut nachvollziehen, was du beschreibst. Die Fragen, die du dir stellst, haben mich so ziemlich seit Beginn der Therapie beschäftigt und tun das auch heute noch (im wahrsten Sinne des Wortes übrigens; habe erst vorhin wieder einmal darüber nachgedacht). Was sich in der Therapie nach und nach rauskristallisierte, war mein großes Bedürfnis nach Sicherheit, das sich eben auch in meinem Selbstbild niederschlägt. Gegenüber meiner Therapeutin habe ich es damals so beschrieben: Am Boden zu liegen, sich selbst dort (= klein) zu halten, ist sicherer und einfacher, weil man so weniger Angriffsfläche bietet. Das Bild, das ich vor Augen hatte, wenn ich mir vorstellte, mich selbst positiv(er) zu sehen, war, dass ich vom Boden aufstehe und plötzlich keinerlei Rückendeckung mehr habe, weil ich zu allen Seiten hin ungeschützt bin. Ich fühlte allein bei der Vorstellung Angst in der ständigen Erwartung, einen "Schlag" verpasst zu bekommen, auf den ich nicht vorbereitet wäre. Was hieß "Schlag" für mich übersetzt? Dass jemand daherkommt und sagt: "Nö, so toll bist du gar nicht, wie du glaubst". Damals war ich stets bereit, negative Meinungen über mich als "allein richtig" anzunehmen, und glaubte an meine guten Eigenschaften, wenn überhaupt, nur solange, bis jemand das Gegenteil erklärte.
In einer für mich sehr aufschlussreichen Stunde hat meine Thera mir Bezüge zu meiner Kindheit bewusst machen können. Damals hatte mein Vater die alleinige Macht, darüber zu entscheiden, ob ich "gut" oder "böse" war. Wenn ich etwas angestellt hatte, entschied er darüber, wann es wieder in Ordnung war. Für ihn - je nach seiner Laune - und damit für mich. Ich erinnere mich an Situationen, in denen ich irgendwann einfach keine Lust mehr hatte, still und "büßend" in meinem Zimmer zu sitzen, in denen ich die miese Laune abschüttelte und wieder fröhlich war. Dann konnte es passieren, dass von meinem Vater der Spruch kam: "Dir geht's ja wohl schon wieder viel zu gut" oder Ähnliches. Woraufhin ich mich wieder verkroch - bis ER mir erlaubte, mich nicht mehr schlecht zu fühlen.
Inzwischen begreife ich nach und nach, wie sehr für mich oft die Grenzen zwischen "ich" und "du" verschwimmen. Als Kind wurde mir beigebracht, dass mein eigener Wille nicht zählt, dass andere über meine Gefühle und mein Selbstbild bestimmen. Das hat sich ganz tief eingeprägt, so dass ich es auch heute noch "gerne" anderen überlasse, mein Selbstbild - mich - zu definieren. Und sei es nur in meinem Kopf: Wie könnten andere über mich urteilen? "Ich" und "die anderen" zerfließen dann zu einer einzigen Masse, in der ich verloren gehe.
Seit mir bewusst ist, wie sehr es für mich um Grenzen geht, spüre ich, dass ich mich besser spüren kann. Je klarer ich meine eigenen Grenzen für mich definieren kann, desto mehr nehme ich andere als eigenständige Menschen und nicht als "Teile meines Ichs" wahr. Ihr Urteil über mich verliert dadurch an Kraft.
Quote: | aber ich werde immer depressiver, anstatt zu denken, prima, wunderbar, ich bin auf dem Weg, alles wird gut, denke ich, naja wart nur ab, so weit warst du schon mal, wahrscheinlich wirst du eh bald wieder rückfällig |
Von wem hängt es denn ab, ob du rückfällig wirst? Wer entscheidet darüber, wem gibst du Macht über dich? Wer ist dafür verantwortlich, dass du seit 7 Wochen mit deiner ES zurecht kommst? Fühlst du, dass du selbst das bist? Spürst du dich und deinen Willen, deine Kraft, oder hast du das Gefühl, es läge eigentlich gar nicht in deiner Hand, würde dir nur "passieren"?
Was spürst du denn grundsätzlich, wenn du an "Macht & Ohnmacht", "Selbstverantwortung", "Sicherheit", "Grenzen" denkst? Und was fühlst du, wenn du dir vorstellst, erfolgreich, selbstbestimmt und selbstbewusst zu sein?
LG,
thorn
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Somnambule
sporadischer Gast
19
Deutschland W, 43
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Wed, 20.Jun.07, 21:13 Re: Sich schlecht fühlen WOLLEN? |
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Hi Thorn,
danke für deine interessante Antwort!
„Damals war ich stets bereit, negative Meinungen über mich als "allein richtig" anzunehmen, und glaubte an meine guten Eigenschaften, wenn überhaupt, nur solange, bis jemand das Gegenteil erklärte".
Wie hast du es geschafft, diese Einstellung zu ändern – denn genau so, wie du es beschreibst kenne ich es auch – die negativen Meinungen sind die „Wahrheit“ Ich brauche ständig Rückmeldung – bin ich OK- ist es gut, was ich tue? Auch bei mir liegen die Ursachen dafür unter anderem in der Kindheit, wenn ich „böse“ war, bekam meine Mutter Magenschmerzen oder Herzbeschwerden. Meine Schwester und ich wurden Meister der Metakommunikation – was fühlt die Mutter, wenn ich das und jenes sage oder tue, wie verpacke ich meine Wünsche oder auch meine Kritik am „Mutterkompatibelsten“ etc. Und heute höre ich selbst die Flöhe husten, denke in jeder Botschaft liegt eigentlich noch eine andere, versteckte.
"Dann konnte es passieren, dass von meinem Vater der Spruch kam: "Dir geht's ja wohl schon wieder viel zu gut" oder Ähnliches. Woraufhin ich mich wieder verkroch - bis ER mir erlaubte, mich nicht mehr schlecht zu fühlen."
Ich kenne den Spruch: „du glaubst wohl du bist was Besonderes“, der kam immer ganz gern, um eventuelle Höhenflüge zu vermeiden, wenn ich mich ausnahmsweise mal ganz gut fühlte.
Das Schlimme ist, dass ich ja die Zusammenhänge ganz gut blicke und TROTZDEM immer und immer wieder in diese alten Muster zurückfalle. Und irgendwie denke ich auch, ich bin eine erwachsene Frau, ich kann doch nicht ewig meine Kindheit für mein mangelndes Selbstvertrauen verantwortlich machen, irgendwann muss ich das doch endlich mal abschütteln.
"Wie könnten andere über mich urteilen? "Ich" und "die anderen" zerfließen dann zu einer einzigen Masse, in der ich verloren gehe.
Seit mir bewusst ist, wie sehr es für mich um Grenzen geht, spüre ich, dass ich mich besser spüren kann. Je klarer ich meine eigenen Grenzen für mich definieren kann, desto mehr nehme ich andere als eigenständige Menschen und nicht als "Teile meines Ichs" wahr. Ihr Urteil über mich verliert dadurch an Kraft."
Das finde ich einen sehr interessanten Aspekt. Kannst du mir ein Beispiel, eine Situation schildern, in der du deine Grenzen für dich definieren kannst, was heißt das konkret – ich frage deshalb, weil das auch in meiner Therapie eine Rolle spielt und ich oft da sitze wie Ochs vorm Berg und mir konkret gar nichts einfällt, wie ich meine Grenzen besser wahrnehmen kann, was das überhaupt heißt.
"Spürst du dich und deinen Willen, deine Kraft, oder hast du das Gefühl, es läge eigentlich gar nicht in deiner Hand, würde dir nur "passieren"?"
Genau so ist es, ich denke es „passiert“ mir, ich denke, ich habe gerade eine glückliche Phase, in der ich stark bin, die aber jederzeit beendet sein kann.
Aber natürlich weiss ich, es ist nicht so, es ist MEINE Entscheidung, aber ich FÜHLE es nicht wirklich.
Nachdenkliche Grüße
Somnambule
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pAgressiv
sporadischer Gast
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München W, 43
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Wed, 20.Jun.07, 23:54 Re: Sich schlecht fühlen WOLLEN? |
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Hallo,
wenn du 43 Jahre alt bist und in 1963 geboren bist, dann bist du im Zeichen der Katze geboren. Also von Natur aus etwas melancholisch bist.
Ich bin auch so. Zeitens ist es mir lästig. Manchmal gefällt es mir. Denn ich kann gut mit mir allein sein.
Ich pflege zwei Listen mit mir. Die eine ist auf Papier von allem, was gut ist. Oder gutes was passiert. Damit ich mich selbst nicht betrüge, wenn ich wieder nur meine natürliche Rolle als grübelnde faule zu Hause sitzende Person ausübe.
Die zweite Liste besteht aus allen Sachen, die ich mir wünsche zu tun, wenn ich eine BESSERE Persönlichkeit hätte. Dadrauf schreibe ich, "schwimmen, Wandern, Französisch lernen, Freunde anrufen..." Und auf einmal aus heitrem Himmel habe ich Motivation und tue auch wirklich eine dieser Sachen. Es gibt aber auch Wochenenden, wo ich mir 1000 Sachen schreibe und trotzdem nichts mache, ausser nachdenken, grubbeln, die Welt beschuldigen für seine Unvollkommenheit etc.
Dein Charakter wird sich nicht ändern. Deine Vernünft kann nur dir helfen, dich damit abzufinden, ohne grosse Abstriche machen zu müssen. Das böse Gefühl wird dich aber oft besuchen.
Das Gute an Therapie ist, dass man das Spiel zu zweit weiter macht. Vielleicht sollte ich auch einen Therapeuten aufsuchen.
Als Katze hat man aber grosse Überlebenskräfte und kann jede echte Schwierigkeit im Leben überstehen. Jedem seine.
Gruss
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