Was versteht ihr unter spießig/Spießer

Forums-Gruftie 556 Duitsland W, 32

hallo,

mich beschäftigt immer mal wieder die frage, was genau "spießig" bedeutet. ab wann ist jemand ein spießer?
was versteht ihr unter einem spießer?

grüße

rooz

Forums-Gruftie 556 Duitsland W, 32

"Als Spießbürger oder Spießer bezeichnet man abwertend eine Person, die sich durch geistige Unbeweglichkeit, ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen, Abneigung gegen Veränderungen der gewohnten Lebensumgebung und Zurückweisung von allem Fremden auszeichnet. Ein Spießer ist eine Art von Egoist mit einem engen Horizont der sich nur selber sieht und dannach trachtet sich überall feige anzupassen und jede neue Idee zu verfälschen, indem er sie sich zu Eigen macht."

joschka fischer soll ja das paradebeispiel eines nicht-spießers sein, jemand, der nicht an alten werten festhält.
allerdings sehe ich bei der definition eines spießers, siehe oben die diskrepanz zwischen "er ist ein engstirniger spießer, weil er an seinen werten festhält" und "er ist ein spießer, weil er ein konformist ist und sich wiederstandslos neuen werten anpasst".
vielleicht ist ein spießer einer, der in allen lebensbereichen zu sehr in eine richtung geht?

ich würde sagen, dass jemand, der superreich ist, fast davor gefeit ist, ein spießer zu sein.

Forums-Gruftie 796 Deutschland M, 35

Hallo rosanne!

Als Spießer habe ich bislang immer einen unbeweglichen Konservativen gesehen, also jemand, der starr an alten Werten und Traditionen festhält. Vor allem das Spießbürgertum, das, überspitzt gesagt, an den bürgerlichen Werten aus den Zeiten von Willem Zwo oder gar Willem Eins oder noch früher festhält, ist ja landläufiger Begriff. ("Sonntags zieht man die gute Kleidung an und ißt Braten zum Mittag, und nachmittags gibt's Kaffee und Kuchen!")

Was die äußere Erscheinung von J. Fischer angeht, hatte ich eher den Eindruck, er hätte sich vom Nicht-Spießer zum Spießer transformiert. Laughing

Damit wäre er aber wiederum beweglich und kein Spießer ...? gruebel

Liebe Grüße
UncleK

Forums-Gruftie 556 Duitsland W, 32

also, ich denke, dass es durchaus spießer geben kann, die immernoch ausgesprochene alt-68ger sind oder auch welche, die nur fremde kulturen akzeptieren (also immer nur ethno) oder welche, die ausgemachte mittelmeer-region-fans sind ("die die auf den süden europas stehen"). heavy-metal-fans können spießer sein, ikea-fans, wohingegen es einen gartenzweg-fetischisten mit jägerzaun geben kann, der kein spießer ist.
in jeder politischen gruppierung kann es spießer geben. es kann anthroposophen-spießer und yoga-spießer, aber auch csu- und juristen-spießer geben.
auch bei leuten, die sich für freaks halten, kann es sein, dass sie in ihrem freak-suppen-teller sitzen, über dessen rand sie nicht zu blicken vermögen.

oder nicht?

[nicht mehr wegzudenken] 1030 münchen W, 35

Ein Spiesser ist für mich autoritätshörig, zu feige selbstständig zu denken. Hat kein soziales Gewissen (oder zumindest keines wenn es sich um Andersdenkende oder Menschen am anderen Ende des Globus handelt), fühlt sich nur in der Herde wohl, wo er rundrum bestätigt bekommt daß er recht hat und alle andersendenden Unrecht.

Der Spiesser ist zu feige aufzustehen und für das Wohl der Anderen/der Allgemeinheit eigene Unbequemlichkeit in Kauf zu nehmen und bastelt sich eine im Grunde weltfremde Pseudoidylle zurecht in der er dann ein bequemes Leben führen kann.

Forums-Gruftie 607 Berge M, 32

Hmm rosanne, das ergibt doch dann aber langsam keinen Sinn mehr, da überhaupt das Wort Spießer zu verwenden, finde ich.

Dann bin ich auch ein Spießer, mindestens deshalb, weil ich seit Jahren die Gewohnheit hab, zu frühstücken und nicht daran denke, nur um Nichtspießer zu sein, morgens ne Pulle Bier aufzumachen.

Ich denke, es geht eher darum, dass man bei Spießer ein bestimmtes abschreckendes Bild vor Augen hat, wie man nicht sein will (schlimmer noch scheint das Wort „Versager“). Und das Wort „Spießer“ damit ausschließlich dazu verwendet, den gegenüber abzuwerten, sich selbst zu erhöhen. Oder aber, meine eigenen Zweifel, ob ich denn nicht auch ein Spießer sein könnte, dadurch wegzudrücken, dass ich schlicht und einfach den anderen damit bezeichne.

Vielleicht ist bereits das Kleben am Einordnen das Problem, weil ich damit den Referenzpunkt, von dem aus ich mich und andere einschätze, anerkenne und daran glaube. Aber was sollten wir in den Schulen lehren, wenn keinen Aberglauben, es gäbe nichts mehr zutun. Der Begriff Spießer scheint veraltet, heute ist man möglicherweise genauso geistlos, aber auf höherem Niwo... Confused

[...also lasst uns den guten Aberglauben vom schlechten trennen, damit sind wir zumindest immer in Bewegung. Spießer darf man nicht verwenden, aber Entwicklungsdefizit oder „das ist genetisch bedingt“ darf man verwenden... Denn gut und schlecht, reif und unreif zu unterscheiden oder an die gegenwärtige Mehrheitsmeinung der Wissenschaftler (=Wissenschaft) zu glauben, ist kein Aberglaube. Ich finde, wir sind seltsam.]

Mit freundlichen Grüßen
Hiob

Forums-Gruftie 556 Duitsland W, 32

Hiob hat geschrieben:

Der Begriff Spießer scheint veraltet, heute ist man möglicherweise genauso geistlos, aber auf höherem Niwo...

damit hast du vermutlich recht.
der begriff des spießbürgers ist ja schon älter, aber ich meine, dass der begriff des spießers vielleicht in den siebzigern an bedeutung gewann, als die fronten klar gesteckt waren: spiesser=anhänger des establishments,
raf=unspiessig contra wirtschaftsmogule=spiessig.
ich weiß noch dass vor ein paar jahren zum erstenmal jemand aus meinem bekanntenkreis gesagt hat, dass irgendein grüner politiker spiessig war. das war damals eine ganz neue sichtweise für mich. plötzlich merkte ich, dass sich die fronten umgekehrt zu haben schienen. damals kam dann auch nach und nach diese "öko-angst" auf (als ökos konnten ganz unterschiedliche menschen bezeichnet werden. meistens hatten sie wenig geld und waren ansatzweise links-orinetiert, ob sie den müll trennten oder ökostrom bezogen, schien plötzlich kein entscheidendes kriterium für die erfüllung des prädikats "öko" mehr zu sein).
man kann es auch in den gesellschaftlichen strömungen sehen-die neue bürgelichkeit.
woody allen mockiert sich über den trutschig-altbackenen stil von scarlett johansson, dessen ungeachtet, dass sie die modern-denkende ist (propagiert putzwahn und bürgerlichkeit) während er das auslaufmodell eines althippies darstellt (wobei nun wiederum woody allen natürlich niemals als spiesser bezeichnet werden könnte).
so ist eben die sache mit dem zeitgeist. die werte einer generation, lassen in der nächsten generation gegenteilige werte aus protest folgen.
heute sind wir dann wohl wieder auf dem werteindex der 50ger gelandet (früh erwachsene werte leben-heirat, wangenrouge, putzwahn).
was natürlich in den augen mitt-dreissiger spiessig erscheinen muss.

ich denke, ja, du hast recht, Hiob, der begriff "spiesser" scheint tatsächlich nicht mehr zeitgemäß zu sein.
allerding würde ich sagen, dass man den begriff durchaus noch verwenden kann und sich dessen sinn dann jeweils aus dem zusammenhang erschliesst. je nach dem, ob ein typischer jurist, "öko"
oder juppie nämlich dieses wort in den mund nimmt, könnte ich erkennen, was derjenige damit sagen will und es entspricht einfach jeweils einem gegenmodell zu dem, wie man selbst sein möchte.

und, ja, eine angst davor, selbst ein spiesser zu sein, schwingt bestimmt immer mit.

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