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tanschy
neu an Bord!
1
Graz W, 20
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Sun, 06.May.07, 16:27 Zwangsstörung - wie helfen? |
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Bin Sozialarbeiterin und hatte in meiner Ausbildung leider sehr wenig mit dem Thema Kontrollzwang zu tun. Momentan arbeite ich in einem Wohnhaus für psychisch Kranke und bin jetzt das erste Mal mit dieser Krankheit konfrontiert. Traurig aber wahr, dass wir nicht besser darauf vorbereitet wurden. Leider habe ich nirgendwo etwas hilfreiches gefunden wie ich als Betreuerin mit dieser Krankheit umgehen soll und von meinen Kollegen hat jeder irgendwie eine andere Weise damit umzugehen. Deswegen möchte ich fragen ob es eventuell Tipps gibt z.b. soll ich den Zwang unterbrechen, soll ich Sicherheit geben, wielange soll ich warten bis in den Zwang unterbreche usw. einfach ein paar generelle Dinge, damit ich nichts falsch mache, weil mir die Person sehr am Herzen liegt.
Wäre super, wenn ihr mir weiterhelfen könntet.
Danke im Voraus!
(Hinweis Admin: Betreffzeile von "Brauche "Tipps"" auf obige geändert. Bitte aussagekräftige Betreffzeilen wählen (siehe Netiquette). Danke.)
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Hiob
Forums-Gruftie
607
Berge M, 32
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Sun, 06.May.07, 21:02 Re: Zwangsstörung - wie helfen? |
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Hi tanschy.
Wie du dich richtig verhalten sollst, das kann ich dir nicht sagen. Aber vielleicht mal was zu Kontrolle allgemein, vielleicht hilft es dir deine eigene Sichtweise zu finden.
Die Persönlichkeit eines Menschen versucht sich vor Schmerzen zu schützen und im weitesten Sinne Lust zu bekommen. Die Kontrolle über bestimmte Vorgänge zu bekommen, ist eine Art und Weise, mit der Unsicherheit (die Leben mit sich bringt) zurecht zu kommen. Indem ich Kontrolle über Menschen habe, meine ich, mich vor deren Angriffen schützen zu können oder sie beeinflussen zu können, auch, sie lenken und positiv stimmen zu können. Ich versuche damit meine Angst zu besänftigen. Indem ich Kontrolle über z.B. meine Gefühlswelt erlange, versuche ich, mich vor unerträglichen Gefühlen zu schützen bzw. Schönes zu „wiederholen“. Indem ich die Kontrolle über bestimmte Vorgänge habe, versuche ich, deren Ablauf zu beeinflussen und mich vor dem, was der Verstand nicht wissen kann, vor der Zukunft, zu schützen. Der Verstand hat das Problem, dass er unendlich viele Daten speichern kann (auch schmerzliche Erlebnisse und die eigene, beispielsweise hilflose Rolle darin) und diese beliebig hin und herwursteln und zusammenfügen und auf die Gegenwart und Zukunft anwenden kann. Er weiß jedoch niemals etwas von der Zukunft, alles, was er in die Zukunft hineinprojiziert, ist im Grunde das vergangene, das erlebte, vermischt mit Phantasie (was auch immer das ist). Ich versuche beispielsweise meine frühere Hilflosigkeit, mein Ausgeliefertsein in einer bösartigen Welt, dadurch zu mildern, dass ich „die Welt“ unter Kontrolle bringe. In etwas verwurstelterem Sinne ist ein dominanter Mensch m.E. ebenso ein solches ehemaliges Opfer, doch bei ihm bewundern es die Menschen.
Da jeder Mensch im Grunde Kontrolle, also im weitesten Sinne Macht über sich und seine Umwelt haben will, ist ein gewisser Kontrollzwang wohl in jedem Menschen...einfach aus Angst vor der Zukunft und der aufreibenden Ungewissheit, die der verstand nicht lösen kann, es jedoch pausenlos versucht. Der „normale“ Mensch lässt sich Versicherungen andrehen, eine Ehe, eine KfZ-Inspektion... und versucht mit Beziehungen zu Menschen und anderen Objekten raffinierte „Sicherheitsmechanismen“ zu erfinden. Das empfinden wir als normal, obwohl es m.E. reiner Unsinn, ja Wahnsinn ist. Wenn dir ein Mensch auffällt, der auffällig bei scheinbar nichtigen Dingen versucht die Kontrolle aufrecht zu erhalten und dabei kuriose Marotten entwickelt, ist das m.E. nur eine gesellschaftlich nicht anerkannte Art und Weise mit der Unsicherheit und der Angst vor der Unsicherheit klarzukommen. Dem Betroffenen zu helfen, würde ich persönlich nicht können. Ich müsste seinen endlos mahlenden, sich Sorgen machenden Verstand , anhalten können. Ich würde nur versuchen, ihn spüren zu lassen, dass seine Umwelt verlässlich und liebevoll ist, dass er in seiner Welt willkommen ist, aufgehoben ist.
Manche Kontrollzwänge kann man als Außenstehender erklären und dem Betroffenen auf Verstandesebene haarklein erläutern, dass alles ok ist, und das funktioniert mal für eine kurze Zeit, aber geholfen ist ihm damit m.E. nicht. Ich tendiere eher dazu, den Menschen mit all dem Zeugs ernst zu nehmen und ihn keinesfalls auszulachen, es ihm zuzugestehn und sich als Außenstehender nur ein bisschen in sofern zu distanzieren, dass man sich nicht „anstecken“ lässt und die Rituale allenfalls mal mitspielt, aber versucht, sich nicht von aufkommendem Mitleid mitreißen zu lassen. Hier würde ich Mitleiden und Mitfühlen unterscheiden. Der Zwang die Kontrolle zu wahren oder zu bekommen ist Teil der Charakterstruktur eines (jeden) Menschen...und die sollte man m.E. nur respektieren, nicht daran herumdocktern...allenfalls wenn der Mensch es selber bemerkt, ihm zu erklären, dass seine Verhaltensweisen eben seine Art sind, damit (Unsicherheit und Angst) umzugehen.
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Hiob
Forums-Gruftie
607
Berge M, 32
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Sun, 06.May.07, 21:03 Re: Zwangsstörung - wie helfen? |
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...Eine heilende Wirkung scheint hier eher ein liebevolles Umfeld zu bieten und den Betroffenen erleben u lassen, dass er sich selbst vertrauen kann. Von „Methoden“ , mit dem Betroffenen umzugehen, halte ich nichts.
Viele Grüße
Hiob
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rikimaus
sporadischer Gast
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Österreich W, 34
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Mon, 07.May.07, 6:28 Re: Zwangsstörung - wie helfen? |
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Hallo!
Ich finde, was Hiob geschrieben hat, ist sehr richtig. Ich selber litt lange an Zwangsgedanken... und von daher weiß ich, dass Zwänge wirklich mit Kontrolle gleich zu setzen ist.
Da ich viel Literatur zu diesem Thema durch geackert habe, weiß ich, dass man als Außenstehender bzw. Begleitperson die Zwänge akzeptieren und respektieren soll aber keinesfalls evlt. Zwangsrituale mitmachen soll. Man kann auch dem Betroffenen durchaus erklären, was im Gehirn z.B. vor sich geht, wenn der Zwang durchbricht. Das logische Verstehen ist oft sehr hilfreich für Zwangspatienten.
Zum Thema Sicherheit: Ich denke einem Zwangspatienten kann man im akuten Stadium nie genug Sicherheit geben - so habe ich das erlebt. Egal was man mir sagte - ich zweifelte und zweifelte und der Zwang hatte Hochkonjunktur. Aber trotzdem ist es so wichtig, dass die betreffende Person ein liebevolles Umfeld hat dass den Zwang als Krankheitsbild akzeptiert und nicht lächerlich macht.
Dann denke ich, ist das Thema "Selbstbewußtsein" ganz wichtig. Ein Zwangspatient vertraut ja der Welt nicht und auch sich selber kein Stück mehr. Daher versucht er ja mit div. Zwängen Sicherheit und Kontrolle zu erlangen. Ich z.B. habe in meiner Therapie langsam mein Selbstvertrauen aufbauen können, in dem ich mich meiner Angst und meinem Zwang stellte, ihn aushielt und damit sah, dass nichts passiert!. Bei Zwangshandlungen sähe das in etwa so aus: Wenn eine Zwangshandlung anfängt, kann man versuchen, den Betroffenen sanft dazu zu bewegen, dieses Ritual jetzt nicht auszuführen und aktiv mit ihm zusammen, die dadurch aufkommende Angst auszuhalten. Der Zwangskranke merkt so mit der Zeit, dass - auch wenn er das Ritual nicht ausführt - nichts schlimmes passiert und lernt so mit der Zeit, dass er sich und der Umwelt vertrauen kann. Er lernt auch zu akzeptieren, dass nichts auf dieser Welt mit einer 100 %igen Sicherheit gesegnet ist.
Ich persönlich bin durch dieses Konfrontieren mit der Angst heute im Stande, meine Zwangsgedanken zu zähmen.
Es gibt auch sehr gute Bücher, in denen erklärt wird, wie sich z.B. Angehörige von Zwangspatienten richtig verhalten im Alltag.
Viel Glück und alles Gute bei der Betreuung!
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_________________ Gedanken sind frei...
Viele liebe Grüße von
Rikimaus
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