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der Neugierige
sporadischer Gast
22
Sachsen M, 39
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Thu, 03.May.07, 17:29 Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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Hallo,
Seit einigen Monaten habe ich den Kontakt zu meinem Vater abgebrochen.
Auch den kürzlichen Geburtstag von Ihm, bei dem ich oft Gast war, habe ich ignoriert.
Unsere letzte Begegnung war beim Geburtstag meiner Schwester und war sehr unterkühlt.
Ich habe aufgrund mehrer Faktoren den schwerwiegenden Verdacht, er könnte in der DDR für die Stasi gearbeitet haben.
Aufgrund der derzeit geltenden Rechtslage ist es ja nahezu unmöglich, diese Wahrheit als bewiesen aus den Unterlagen der BStU zu erfahren.
Ich bin seit einigen Monaten Vater und somit auch gezwungen, Ihm den Kontakt zu seinem Enkel zu verwehren, was Ihn wohl auch sehr trifft.
In absehbarer Zeit erhalte ich neue Informationen zu meiner persönlichen Akte, und hoffe dadurch etwas Aufklärung zu finden.
Bis dahin habe ich vor, den Kontakt auch weiterhin unterbrochen zu halten.
Dennoch belastet mich die Sache sehr (bin auch gerade psychisch einigermassen instabil), ich bin recht ungeduldig, zumal vom Rest der Familie immer mal wieder Versöhnungsvorschläge kommen, denen ich mich jedoch verweigere.
Möglicherweise gibt es hier ja Menschen, die diese Problematik kennen und mir einen Rat geben könnten.
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argu
Forums-InsiderIn
193
Österreich W, 35
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Thu, 03.May.07, 21:22 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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warum sprichst du nicht mit ihm darüber?
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der Neugierige
sporadischer Gast
22
Sachsen M, 39
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Thu, 03.May.07, 23:26 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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Oh, danke, eine Reaktion.
Ich habe bereits konkrete Fragen dazu an Ihn per Mail gestellt.
Alle Fragen hat er verneint und darüber hinaus sehr verärgert reagiert.
"So, und jetzt Schluss! So oder ähnlich erfolgt wohl die Aufarbeitung durch den Verfassungsschutz. Wenn Du noch etwas wissen willst, können wir uns gern unterhalten. Aber nicht mehr per Mail, in denen Du mir unwidersprochen erst mal Lügen unterstellen kannst." waren seine letzten Zeilen.
Unserem Zerwürfnis ging eine umfangreiche Mail-Korrespondenz voraus, in deren Folge er ein persönliches Gespräch vorgeschlagen hatte.
Ergebnis dieses Gespräches war diese seine Aussage: Entweder Du entschuldigst Dich für Deine ausgesprochenen Verdächtigungen, oder wir sprechen nicht mehr miteinander.
Im Grunde - bemerke ich gerade - war er es, der unseren weiteren Kontakt an die Bedingung des Vertrauens in seine Glaubwürdigkeit geknüpft hat.
Dazu muss ich vielleicht etwas näher auf unsere vorrausgehende Mail-Korrespondenz eingehen.
Das jedoch erscheint mir nur gegenüber einem Gesprächspartner, der über nähere Kenntnisse der DDR-Diktatur verfügt, sinnvoll.
Der Grund dafür liegt in der äußert komplexen Struktur dieser Problematik.
Als "Aufhänger" nur so viel:
Sein Blickwinkel bezüglich der Errichtung der Mauer war wörtlich:
"So richtig geärgert hat der Mauerbau damals eigentlich nur diese Leute, die plötzlich nicht mehr weg konnten und die Pendler in Berlin. In der Welt herumreisen konnte damals sowieso kaum einer, weil er das Geld nicht hatte. Welche Alternative hätte die DDR damals gehabt?"
Aus diesen und anderen Sätzen habe ich eine Verharmlosung der Verbrechen der SED-Diktatur und letztendlich eine Verhöhnung ihrer Opfer filtriert.
Dieses Orwellsche Verdrehen der Wahrheiten, welches zu den psychologischen Manipulationen der Verantwortlichen gehörte, glaube ich auch bei Ihm erkannt zu haben.
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Sira
[nicht mehr wegzudenken]
1370
Bayern W, 30
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Fri, 04.May.07, 12:27 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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Lieber Neugieriger,
wie war denn Euer Verhältnis früher? Schon immer gespannt (wenn ja, warum) oder harmoisch.
Wie kam es zu dieser Korrespondenz per Mail?
Lieb grüßt,
Sira
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_________________ Wir sind, was wir denken! |
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der Neugierige
sporadischer Gast
22
Sachsen M, 39
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Fri, 04.May.07, 15:35 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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Liebe Sira,
ja, unser Verhältnis war eigentlich schon immer etwas gespannt, selten harmonisch, selten wirklich herzlich. Die Ursachen liegen in einer konfliktreichen Familienkonstellation, der Vater war immer derjenige (und einzige), der Grenzen setzte.
Dies allerdings ist schon wieder ein eigenes Thema.
Zur leidlichen Mail-Korrespondenz kam es so:
Wir wußten beide von unseren verschiedenen politischen Positionen, diskutierten in der Vergangenheit manchmal recht heftig darüber.
Wir sendeten uns, mit größeren Abständen, immer mal Presseartikel oder bestimmte Zitate bekannter Persönlichkeiten aus aktuellen Anlässen zum Thema, gewissemaßen spielerisch-provokant.
Daraus erwuchs dann eben eine sich immer mehr verschärfende Mail-Diskussion, in deren Verlauf mein Misstrauen wuchs und ich mich mehr und mehr mit dem Thema DDR-Vergangenheit beschäftigte, viel darüber las und mittlerweile auch viel weiß.
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Guinevere
Forums-InsiderIn
294
in der Stadt W, 23
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Fri, 04.May.07, 19:52 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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Und wenn du dich irrst? Vielleicht hat er eine provozierende Meinung darüber und heißt einige Dinge gut, die die meisten nicht gut finden, aber deswegen muss er doch nicht gleich für die Stasi gearbeitet haben oder? Und wenn du wüsstest dass er es wirklich getan hat, was würde sich dann für dich ändern? Den Kontakt hast du ja schonmal auf Verdacht abgebrochen.
Könntest du ihm soetwas verzeihen?
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der Neugierige
sporadischer Gast
22
Sachsen M, 39
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Fri, 04.May.07, 21:17 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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Nun ja, tatsächlich könnte ich mich auch irren, das ist ja das Problem, diese Ungewissheit.
Ich kann nur hoffen, bei der hoffentlich bald stattfindenden erneuten Akteneinsicht irgendeinen Hinweis, möglicherweise auch zur Entlastung zu finden.
Allein auf seine provozierende Meinung hin gründet sich selbstverständlich mein Verdacht nicht. Es ist eher die Summe an bestimmten Faktoren, die mich zweifeln läßt.
Im Grunde habe ich hier meine Frage auch zu früh gestellt, ich sollte erst einmal Geduld haben und den Termin zur Akteneinsicht abwarten.
Wenn sich mein Verdacht bestätigen würde, würde ich erneut versuchen, mit Ihm zu sprechen, Ihn zur Rede zu stellen.
Das ist jedoch sehr problematisch, da ich aus rechtlichen Gründen keine eindeutigen Beweise, nur Hinweise vorlegen könnte, die bestreitbar sind.
In diesem Fall wäre ein zukünftiger Kontakt mit Ihm völlig ausgeschlossen, ein Verzeihen unmöglich.
Es gab mal den Fall der Enttarnung eines Informellen Mitarbeiters, Ibrahim Böhme, oppositionelle Führungsfigur und 1990 Vorsitzender der Neugegründeten ostdeutschen SPD sowie Kanditat für das Amt des DDR-Ministerpräsidenten.
Ein klassischer Fall des hartnäckigen Lügens.
Selbst als man Ihm Tonbandprotokolle der Gespräche mit seinem Führungsoffizier vorspielte, erklärte er nur: Dies sei wohl seine Stimme, aber er hätte dies nicht gesagt.
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Yeti
Forums-InsiderIn
273
weit weg W, 34
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Fri, 04.May.07, 22:25 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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Lieber Neugieriger,
Sympathie mit dem System heißt noch lange nicht, dass jemand Stasispitzel war.
Und manche waren auch Spitzel, ohne Sympathie fürs System, sondern um ihre Angehörigen oder sich selbst zu schützen.
Sollte er ifm gewesen sein, versuche vielleicht auch zu erroieren, warum.
Es war und ist ein unmenschliches System gewesen.
LG Yeti
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igel65
Helferlein
52
ba-wü W, 42
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Sat, 05.May.07, 8:05 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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hallo neugieriger...
jetzt muss ich als betroffene doch auch mal meinen senf dazu geben, selbst auf die gefahr hin, dass ich wiederhole, was andere schon gemeint haben....
aus dem bislang erzählten kann ich kein indiz sehen, warum dein vater für die staatssicherheit gearbeitet haben sollte... die, von dir zitierten äußerungen lassen eher darauf schließen, dass er zu den ca. 16 mill. plumpen mitläufern gehört hat, die im hinterkopf immer mitgesummt haben: "die partei, die partei, die partei hat immer recht....".....vll. kommt er deshalb mit der wende bis heute nicht zurecht, weil er sich sonst seinen irrtum eingestehen müsste... glaub mir, da ist er bei weitem nicht der einzigste....
bei der akteneinsicht, belastende oder gar entlastende hinweise zu bekommen halte ich für illusorisch..... ich habe schon etliche meter akten gesehen und meine, das einschätzen zu können...
aber viel wichtiger scheint mir die frage, warum das für dich und deine beziehung zu deinem vater so wichtig ist? was ,machst du davon abhängig?
den querverweis auf ibrahim böhme halte ich in diesem zusammenhang für etwas überzogen (im übrigen heißt das nicht "informeller mitarbeiter" sondern "inoffizieller mitarbeiter"- den anderen begriff hat's beim mfs nie gegeben und ist eine erfindung der wendezeit): christoph daum hat auch vor aller öffentlichkeit geleugnet, gekokst zu haben, schon, als die beweise erdrückend waren.... diese geschichten zeigen ja nur, dass der mensch manchmal über eine frappierende fähigkeit der verdrängung und selbstverleugnung verfügt, die staunen macht....
also, grüßle igel
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der Neugierige
sporadischer Gast
22
Sachsen M, 39
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Sat, 05.May.07, 14:40 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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Hallo igel65,
igel65 wrote: |
jetzt muss ich als betroffene doch auch mal meinen senf dazu geben ...
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Schön dass sich nun jemand gefunden hat, der selbst persönliche Erfahrungen mit dem Thema hat.
Denn, wie bereits beschrieben, ist dies ein äußerst komplexes und eigentlich nur von Menschen mit persönlichen Erfahrungen diskutierbar.
Inwieweit bist Du selbst betroffen ?
Quote: | aus dem bislang erzählten kann ich kein indiz sehen, warum dein vater für die staatssicherheit gearbeitet haben sollte...
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Natürlich nicht, ich könnte versuchen, hier detaillierter auf Indizien einzugehen.
Dies würde ich aber aus Gründen des sich daraus ergebenen Umfanges nur bei wirklichem Interesse tun. Ich bin ganz sicher einer von vielen Fällen, die unter den ungeklärten Verhältnissen leiden, ich konnte jedoch bislang keinen kenntnisreichen Gesprächspartner finden.
Quote: | die, von dir zitierten äußerungen lassen eher darauf schließen, dass er zu den ca. 16 mill. plumpen mitläufern gehört hat, |
Da habe ich doch Zweifel, noch heute hat er z.B. das Propagandablatt „Neues Deutschland“ abonniert und diskutiert mir dafür zu emotional, ist zu sehr überzeugt und behauptet zu sehr „Es gibt keine objektive Meinung“ und weigert sich zu sehr von mir zum Thema empfohlene Literatur zu lesen, oder auch einmal eine Gedenkstätte zu besuchen.
Quote: | bei der akteneinsicht, belastende oder gar entlastende hinweise zu bekommen halte ich für illusorisch..... ich habe schon etliche meter akten gesehen und meine, das einschätzen zu können...
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Leider entspricht das der Wahrheit, ich erhoffe mir vor allem von einer Mitarbeiterin einen „diskreten“ Hinweis.
Damit sähe die Lage dann schlagartig anders aus, ich hätte Klarheit, wenn auch nicht beweisbar.
Quote: | aber viel wichtiger scheint mir die frage, warum das für dich und deine beziehung zu deinem vater so wichtig ist? was ,machst du davon abhängig? |
Ich denke, dass die Klärung der Wahrheit als Teil der Vergangenheitsbewältigung meiner familiären Verhältnisse eine wesentliche Rolle spielt.
Nicht zuletzt der zukünftige Umgang mit meiner Tochter ist mir diesbezüglich noch unklar.
Eigentlich wäre es ungerecht, Ihr den Umgang mit - Ihrem zu Kindern sehr netten - Opa zu verweigern, er wird wohl kaum über Politik mit Ihr sprechen.
Das Beispiel Ibrahim Böhme sollte nur demonstrieren, wie hartnäckig diese Leute lügen können. Für überzogen halte ich das nicht. Es zeigt, wie das jahrzehntelange Denkmuster weiter funktioniert, denn wesentliche Basis der Lebensstruktur eines HIM/ IM war nun einmal die Legendierung. Sie hatte allerhöchste Priorität und fand sich in etlichen Dienstanweisungen wieder.
Es gab tatsächlich deshalb auch kaum einen Mitarbeiter, der sich selbst umfänglich enttarnt hat. Nicht zuletzt auch wegen des zunehmenden Desinteresses und der Verharmlosung in der breiten Bevölkerungsschicht.
Die Fakten z.B. des wundersamen Überlebens der SED sind leider bei vielen Menschen nicht sehr bekannt und stoßen auf noch weniger Interesse.
So ist es heute Normalität, wenn es zahlreiche ehemalige Mitarbeiter von SED/MfS gibt, die nicht nur auf Landesebene, sondern auch im Deutschen Bundestag und als Europa -Abgeordnete ihre Macht weiter ausbauen und sich als Sprachrohr der sozial Benachteiligten manifestieren.
Viele Grüße
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der Neugierige
sporadischer Gast
22
Sachsen M, 39
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Sat, 05.May.07, 14:51 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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Hallo Yeti,
Yeti wrote: |
Sympathie mit dem System heißt noch lange nicht, dass jemand Stasispitzel war.
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Selbstverständlich nicht. Es ist vielmehr die Summe der Faktoren, die mich misstrauisch macht.
Yeti wrote: |
Und manche waren auch Spitzel, ohne Sympathie fürs System, sondern um ihre Angehörigen oder sich selbst zu schützen.
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In diesem Fall hätte eine wahrheitsgemäße Offenbarung der Tätigkeit jedoch zugleich eine Rehabilitierung bedeutet und hätte gewiss nicht solche Äußerungen wie z.B. zur Mauer zur Folge.
Yeti wrote: |
Es war und ist ein unmenschliches System gewesen.
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In der Tat hat die 2. deutsche Diktatur tausende Menschen zerstört und mindestens ebensoviele psychische Erkrankungen verschuldet.
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igel65
Helferlein
52
ba-wü W, 42
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Sat, 05.May.07, 15:17 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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der Neugierige wrote: |
Inwieweit bist Du selbst betroffen ? |
ich war selber in stasi-haft und habe mich bislang sehr intensiv mit dem thema bechäftigt....
Quote: | Ich bin ganz sicher einer von vielen Fällen, die unter den ungeklärten Verhältnissen leiden, ich konnte jedoch bislang keinen kenntnisreichen Gesprächspartner finden. |
da empfehle ich als einzige integre stelle die entsprechenden bürgerkomitees: http://www.buergerkomitee-leipzig.de/
Quote: | Da habe ich doch Zweifel, noch heute hat er z.B. das Propagandablatt „Neues Deutschland“ abonniert und diskutiert mir dafür zu emotional, ist zu sehr überzeugt und behauptet zu sehr „Es gibt keine objektive Meinung“ und weigert sich zu sehr von mir zum Thema empfohlene Literatur zu lesen, oder auch einmal eine Gedenkstätte zu besuchen. |
warum sollte er? um damit sein bisheriges leben ad absurdum zu führen? ehrlich gesagt sind mir ewig gestrige lieber als wendehälse...hier weißt du wenigstens woran du bist - politisch gesehen...als argument für eine evtl. stasimitarbeit scheint mir das aber immer noch nicht zu taugen..sieht mir eher nach einem strammen parteisoldaten aus, der die schlacht bis zum letzten tag schlägt....
Quote: | Eigentlich wäre es ungerecht, Ihr den Umgang mit - Ihrem zu Kindern sehr netten - Opa zu verweigern, er wird wohl kaum über Politik mit Ihr sprechen. |
bingo....
Quote: | Es zeigt, wie das jahrzehntelange Denkmuster weiter funktioniert, denn wesentliche Basis der Lebensstruktur eines HIM/ IM war nun einmal die Legendierung. |
joa... überzogen meine ich in bezug auf ibrahims lebenslauf...ich kannte ihn persönlich aus seiner greizer zeit und weiß auch aus seiner biographie, wie verworren und schwierig sein leben zwischen (vll. auch ein stück ernst gemeinter ) opposition und (fataler) verstrickung in den apparat gewesen war...da erkenne ich nicht nur kaltschnäuzige abgeklärtheit, sondern auch zerissenheit, persönlichkeitsspaltung und am ende tragische einsamkeit....
will sagen: so einfach mache ich es mir mit der bewertung dieser menschenleben nicht...
vll. ist es geraten, auch in der sicht auf das leben deines vaters besser die differenzierende brille aufzusetzen...
grüßle igel
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_________________ wer bücher sät, wird bibliotheken ernten! |
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der Neugierige
sporadischer Gast
22
Sachsen M, 39
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Sat, 05.May.07, 17:26 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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Hallo igel65,
Danke für die Antwort.
Mit Deinem Schicksal habe ich ja tatsächlich einen wissenden Ansprechpartner gefunden und bin froh darüber. Danke auch für den Link zum Bürgerkomitee, kannte ich noch nicht.
Als ehemaliger politischer Häftling kennst Du vermutlich auch schon wegen dem geplanten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz diese Seite: http://www.stasiopfer.de.
Mir selbst blieb ein solches Schicksal, wohl auch wegen meines Alters 1989, erspart.
Ich wurde lediglich wegen meiner politischen Aktivitäten vom Abitur/Gymnasium relegiert, war auch arbeitslos.
Nun gut, ich versuche mal, meine Argumente (ungeordnet) darzulegen.
- ND-Abonnement nach 17 Jahren des DDR-Endes
- laut meiner Akte wurde ich im Rahmen einer Aktion umfangreich wegen meiner (nicht von mir) geplanten Vorauswahl betreffend des Einsatzes als Wehrpflichtiger an der Grenze überprüft.
Diese Aktion war eine vorgelagerte erste Sicherheitsüberprüfung für denkbare Grenztruppen-Angehörige. Um überhaupt in diesen Kreis zu kommen, gab es nur folgende Möglichkeiten:
1. ich bekunde selbst Interesse (ausgeschlossen)
2. ich erhalte eine (geheime) Empfehlung durch jemanden im engeren Bekanntenkreis, der als „treu“ galt (Vater, Koll. des Vaters), also nur "zuverlässige Kinder" von SED-Mitgliedern
3. ich rufe die Aufmerksamkeit eines MA des Wehrkreiskommandos hervor (wieder nur "zuverlässige Kinder")
- er leugnet jedoch eine SED-Mitgliedschaft, unglaubwürdig bei seinen überzeugten Ansichten, zumal diese immer eine Garantie der beruflichen Weiterentwicklung war (er war stets sehr karrierebewusst)
- in meiner Akte steht u. a. über meinen Vater: „Mit dem in seinem Haus wohnenden Genossen ergeben sich keine politischen Gespräche, da der X daran kein Interesse zeigt. Insgesamt wird vom X mehr Engagement erwartet.“
- Verklärung der Fakten anlässlich der Stasi-Vorwürfe gegen den PDS-Bundestagskandidaten Lutz Heilmann. Dazu schrieb er mir: „Hier haben wieder mal alle recht: zu dem Wachregiment, das für die Sicherung z.B. der Ministerien zuständig war, wurde man als Wehrpflichtiger gezogen, war damit automatisch "Angehöriger" der Stasi, hat aber nichts anderes als Wache geschoben. So schnell kannst Du in die Mühle geraten!!“
- Mauer war ja nicht schlimm, es gab zudem keine Alternative
- er hält trotz seiner wirtschaftlichen Situation (erfolgreiche Selbstständigkeit; Haus etc.) die DDR für das bessere System
- Gebrauch von MfS - Wortschatz: Gegner, Kräfte, Wirtschaftsspionage, Ordnung verändern, pauschale Verteufelung der DDR
- sprach von Siegerjustiz anlässlich der Maueropferprozesse
- plädierte für eine Auflösung der BStU, sprach abfällig über Frau Birthler
- zeigt eine trotzige „Betonkopfmentalität“ und Orwellsches Verdrehen der historischen Wahrheiten
- er unternahm als SW-Reisekader viele Dienstreisen ins Ausland
- auf meine Frage bezüglich seiner ausgeübten Funktionen im Betrieb: „... Gewerkschaftsvertrauensmann, zu dem ich, glaube ich 1988, gewählt wurde. Unter anderem deshalb, weil ich mal, als es auf einer Versammlung gegen die Solidarnosc ging, den Raum verlassen habe.“
Sehr unglaubwürdig, denn Sympathisanten der Solidarnosc waren vielmehr wohl eher Opfer von Repressalien als Gewerkschaftsvertrauensmänner.
- seine Meinung zum Volksaufstand am 17. Juni 1953: die Arbeiter wollten nicht eine demokratische Gesellschaftsordnung errichten, sondern lediglich die gerade erhöhten Arbeitsnormen drücken und Schokolade und Apfelsinen wie im Westen
TEIL 2 folgt
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der Neugierige
sporadischer Gast
22
Sachsen M, 39
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Sat, 05.May.07, 17:31 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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- Auslöser der sich verhärtenden Diskussion war ein Zitat von Hellmuth Karasek anlässlich des Jubiläums des Volkaufstandes in Ungarn, zum näheren Verständnis hier:
Der Jäger und sein Hund . . .
Vor 50 Jahren Ungarn, ein DDR-Sketch und die Folgen
Von Hellmuth Karasek
Vor fünfzig Jahren, im Herbst, wurde die Revolution der Ungarn
gegen die sowjetische Fremdherrschaft blutig niedergeschlagen.
Es war eines der grausigsten Ereignisse des Kalten Krieges,viele Zeitungsartikel
haben uns an diese finsteren Zeiten des Nach-Stalinismus erinnert, auch daran,
dass England und Frankreich im Schatten der ungarischen Ereignisse sich in
ihr Suez-Abenteuer stürzten, so die Empörung der Dritten Welt auf sich zogen
und von Ungarn ablenkten.
Kurz danach, Ende November, fand an der Universität Jena ein Ball statt, der
Ball der Physiker. Die Studenten und Dozenten hatten den Saal rot-weiß-grün,
also ungarisch, dekoriert. Sie führten einige kabarettistische Sketche auf, die
Lachen und großen Beifall bei den Ballgästen auslösten.
In einem Sketch kommt ein Wanderer in ein Land, in dem er einem Jäger begegnet,
der seinen prächtigen Hund preist, der keine Leine braucht, weil er die Freiheit liebe.
Der Wanderer nickt zustimmend, stutzt dann und fragt, warum der Hund dennoch
an einer Leine sei.
Das sei keine Hundeleine, sondern das Band der Freundschaft.
Der Jäger fährt fort, die Würde und Freiheitsliebe seines Hundes wie seine eigene
aufs Höchste zu preisen.
Niemals würde er dem stolzen Tier einen Maulkorb anlegen. . . Niemals!
Aber, bemerkt der Wanderer und stutzt, er trägt ja einen!
Das sei kein Maulkorb, sondern ein Schutz gegen gefährliche Insekten,
die heimtückisch das Maul des Hundes bedrohten.
In dem Augenblick versucht der Hund fortzulaufen, der Jäger schießt
ihm ins Bein, der Hund kommt winselnd zurück.
Dem erstaunten Wanderer erklärt er, die feindlichen Insekten hätten
das Bein des Hundes befallen, er habe ihn schützen müssen.
Der Sketch macht sich nicht nur über die Niederschlagung der Freiheit her,
sondern noch mehr über den grässlichen Double-Speech (wie Orwell
die Sprache der kommunistischen Diktatur in seinem Roman "1984"
gegeißelt hat - eine blutige Unterdrückung wird da zur Befreiung).
Die Verfasser des Sketches wurden von der Stasi ergriffen und zu
hohen Gefängnisstrafen verurteilt - einer zu 14 Jahren - wegen:
"Hetze gegen die Völker der Sowjetunion".
Seine Existenz in der DDR war vernichtet.
Die darauf folgende Antwort war:
„… Im übrigen zitierst Du mit Vorliebe doch etwas differenziert zu betrachtende Autoren: Karasek z.B. war Schüler einer nationalpolitischen Erziehungsanstalt (NAPOLA) bei den Nazis, das ist bestimmt nicht ganz ohne geblieben. Warum liest Du nicht mal bei etwas neutraleren "Dichtern und Denkern", aus deren Äußerungen nicht schon bei den ersten Sätzen der Hass auf Linke und kommunistisches Gedankengut zu erkennen ist? Lies mal den "Freitag", da wird etwas sachlicher über deutsche Geschichte und Gegenwart geschrieben.“
Der Vollständigkeit halber dazu noch mal meine Antwort, die dann allerdings, in diesem Punkt jedenfalls, unbeantwortet blieb.:
„Mit Deinem unglücklichem AgitProp - Versuch bezüglich der Vergangenheit von Hellmuth Karasek offenbarst Du einige Deiner Ideologisch gelenkten Denkstrukturen.
Dem guten Mann seine - damals 10 Jahre alt, der Vater aktiver Nazi - 1-jährige NAPOLA-Zeit vorzuwerfen und zu behaupten "das sei bestimmt nicht ganz ohne geblieben" und Ihn als somit un-neutral zu bezeichnen, erinnert mich an die perfiden ideologischen Sprachverwirrungen eines Karl-Eduard von Schnitzler.
Im selbem Atemzug auch gleich noch vom "Hass auf Linke und kommunistisches Gedankengut" zu schreiben, nur weil Karasek auf treffliche Weise darlegt, welch Wortverdreher und Rechtfertiger die Kommunisten im Dienst Ihrer menschenverachtenden Ideologie waren, ist fast schon obszön.“
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comus
Forums-Gruftie
982
wien M, 31
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Sat, 05.May.07, 17:53 Re: Hat mein Vater für die Stasi gearbeitet ? |
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Hallo der Neugierige,
So sehr ich dein geschichtliches Interesse verstehen kann, in ein Psychotherapieforum passt das wohl nicht mehr.
Ob du den Kontakt zu deinem Vater abbrichst oder nicht ist deine Entscheidung, wobei es mir so vor kommt du suchst Argumente um eine Entscheidung vor dir zu rechtfertigen die du schon getroffen hast.
Wenn du den Kontakt zu deinem Vater abbrechen möchtest, dann mach es doch, ich weiß nicht warum da "Beweise" nötig sind.
Weißt du, du kannst deine Vater in der Rolle einer Funktion sehen die er ausgeführt hat, sowohl beruflich wie auch in seiner Elternrolle. Und dann gibt es unabhängig davon den Menschen. Daher verurteilst du deinen Vater in seiner Rolle oder verurteilst du den Menschen?
Weiters kannst du zwischen diesen beiden unterscheiden?
Ich hab das Gefühl du siehst deinen Vater bloß in seiner Rolle und gut möglich dass du mit deiner Stasi Vermutung Recht hast. Aber ich würde eher darüber nachdenken was für ein Mensch dein Vater ist und ob du ihn als Mensch ablehnst, dann kannst du deine Entscheidung ganz leicht treffen.
LG, comus
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_________________ „Wir werden füreinander einzig sein in der Welt“
Antoine de Saint-Exupery |
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