Wut & Impulsivität in ganz alltäglichen Situationen

Helferlein 87 Deutschland / BB W, 41

Hallo,

eine mir etwas peinliche Anfrage: stelle an mir öfter eine unglaubliche Wut und Aggression in ganz banalen Situationen fest, wenn etwas nicht so läuft "wie ich es gerne hätte" (wirkt kindlich - ist leider so).

Beispiele:
- im Baumarkt muss man Taschen / Rucksäcke einschließen. Der Hinweis darauf bringt mich in schwer beherrschbare Wut gegenüber dem Angestellten, der mir das sagt. Die Wut ist noch nie massiv ausgeartet, musste mich aber schon sehr, sehr zusammenreißen.
- Autofahrer, die nicht so fahren, wie ich wollen. Fahre manchmal rabiat (nie, wenn andere im Auto mit dabei sind).
- wenn die Wohnung daheim zu unaufgeräumt ist, packt mich manchmal die Wut, dass ich alles, was nicht ordentlich aufgeräumt ist, einfach auf den Boden schmeiße (zerstören tue ich nichts dabei), um dann aufräumen zu müssen. Danach geht es mir besser.
- wenn ich mich verfahre; habe mich mit dem Fahrrad einmal in einer Großstadt so verfahren, dass ich - wenn auch nur kurz - rum gebrüllt habe und am liebsten mich und das Fahrrad "zermalmt" hätte - zum Erstaunen einiger Passanten, von denen mir dann einer helfen wollte, ich mich bei ihm für mein Auftreten auch entschuldigte.

Wut in mir auf mich:
- Wut auf mich, dass ich so lange brauche meinen Weg zu finden (akzeptiere ich zwar mehr und mehr, dennoch macht mich das manchmal sehr wütend, wenn ich sehe, dass manche scheinbar "so sicher" durchs Leben "schippern", während ich von Selbstzweifeln befallen bin und mich oft so komplett in Frage stelle bzw. von den Meinungen anderer komplett abhänge.
Beispiele sind beliebig ergänzbar.

Diese Wut steht in keinem Verhältnis zum Anlass. Welche Ursache könnte diese haben? - Bin beruflich eher sehr erfolgreich, kontaktfreudig, mitten im Leben stehend, aber auch seit 2 Jahren in Therapie (Stillstand, Alkoholismus im Elternhaus), die mir schon sehr geholfen hat.
Möchte aber dieser Wut (in der Therapie spielen vor allem Traurigkeit und Angst (u.a. um den Vater) eine große Rolle) offener gegenüber treten, da ich sie für wichtig halte.
Welche Diagnosen könnte darunter fallen, wie geht man besser, professioneller damit um?

Liebe Grüße,
Anne

Forums-InsiderIn 295 Wien W, 40

Hallo Anne!
Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist, das ich hier schreibe, aber so eine WUT kenne ich von meinem Partner auch. Er nimmt ein Antidepressivum. Er zuckt immer total schnell aus wegen Kleinigkeiten. Das war auch vorher so. Aggressiv war er immer schon. Er schreit, schmeißt mich Sachen herum usw. Mittlerweile ist es so, dass er immer ein Medikament nimmt, dass ihm sein Therapeut verschrieben hat. Leider macht er keine Therapie dazu. Was ich sagen will, ist, dass es bei so geringem Aggressionsmittelmaß manchmal hilft, eine Therapie zu machen. So etwas gibt es. Bzw. lag es ev. - wie bei meinem Partner - an seiner "verpatzten" Kindheit?

LG
Jadee

Forums-InsiderIn 339 Hessen W, 50

Hallo Anne,

mir fällt bei deinem Posting auf, dass du einerseits schreibst du, dass du von Selbstzweifeln befallen bist und dich oft in Frage stellst, während andere so scheinbar sicher durchs Leben schippern. Andererseits schreibst du, dass du fest im Leben stehst, sehr erfolgreich im Beruf.

Vielleicht fällt es dir schwer, die Seite an dir zu akzeptieren, wo du zweifelst und eben nicht so fest im Leben stehst.

Ich persönlich glaube, dass sehr viele Menschen öffentlich ihre Maske tragen und darunter ebensolche Zweifel hegen wie du. Es ist nicht schlimm, sich selber in Frage zu stellen, es ist auch nicht schlimm, wütend zu sein.

Da ich ein sehr impulsiver Mensch bin, habe ich meine Wut akzeptiert. Ich verletze niemanden, spüre aber die starke Kraft meiner Wut, brülle oder prügle auf Kissen rum. Mit den Jahren -ich bin jetzt bald 51- hat die Wut in ihrer Stärke etwas nachgelassen, da ich mich selber besser akzeptieren kann.

Ich weiß nicht, ob dir meine Zeilen weiterhelfen, aber ich wollte dir vermitteln, dass du nicht die Einzige bist, die ordentlich Wut verspürt.

lg
vita

Helferlein 87 Deutschland / BB W, 41

Danke für eure Rückmeldungen!

@Jadee: denke, dass dies bei mir schon anders gelagert ist. Meine engsten Freunde bekommen diese Wut i.d.R. nicht zu spüren bzw. ich gehe analytischer damit um, benenne gleich vor ihnen mein Gefühl.

Medikamente lehne ich auch bei leichteren Depressionen ab. Ich denke, dass eine etwas längere Therapie dabei sehr wohl längerfristig bessere Ergebnisse bringt (darüber gibt es auch Studien, nur gibt es hier halt einen Kontrast zum "kurzfristig" erforderlichen "Erfolg" im Rahmen von Evidenzbasiertheit in der Psychotherapie).
Stimme Dir absolut zu, dass eine Therapie sehr sinnvoll ist, um zu lernen mit intensivsten Emotionen besser umzugehen!
Smile

@vita: ja, klar, das weiß, ich das ich sicherlich nicht die Einzige bin, die mit so intensiven Gefühlen wie der Wut zu kämpfen hat (deswegen habe ich ja in "" - Zeichen geschrieben, dass andere "scheinbar" so leicht durchs Leben schippern....) und dass eigentlich alle Menschen Selbstzweifel hegen (nur: wer spricht schon darüber! - so viele leiden innerlich...).
Dennoch will ich den für mich passenden Weg finden, damit umzugehen. Und der heißt wie so oft: anschauen, nicht wegschauen, akzeptieren (sich selbst damit akzeptieren - wie du schriebst), eventuell in besonderer Gefahr regulierend damit umgehen (Du scheinst ja für Dich gute Methoden gefunden zu haben, bei mir wäre es wohl der Sport).

Dann schauen, was hinter der Wut steckt und das ist bei mir oft Trauer / tiefe Traurigkeit - meine Vulnerabilität ist erhöht. Eigentlich bin ich froh, dass dies so ist, denn es bringt mich definitiv voran.

Danke und liebe Grüße,
Anne

Forums-InsiderIn 339 Hessen W, 50

Hallo Anne,

Quote:

Dann schauen, was hinter der Wut steckt und das ist bei mir oft Trauer / tiefe Traurigkeit - meine Vulnerabilität ist erhöht. Eigentlich bin ich froh, dass dies so ist, denn es bringt mich definitiv voran.

Kannst du diese Trauer genauer benennen?

Die eigene Verletzlichkeit zu sprüren, erachte ich als für mich wichtig. Es gab einmal eine Zeit, da habe ich Menschen bewundert, die scheinbar unverletzbar sind. Heute sehe ich das nicht mehr so.

Was die Wut betrifft, so habe ich die Erfahrung gemacht, sie möglichst sofort rauszulassen und nicht anzusammeln (so wie das früher getan habe). Dann ist sie erheblich geringer.

lg
vita

Helferlein 146 Bayern W, 25

vita wrote:

Was die Wut betrifft, so habe ich die Erfahrung gemacht, sie möglichst sofort rauszulassen und nicht anzusammeln (so wie das früher getan habe). Dann ist sie erheblich geringer.

Dachte ich auch... nur wenn ich meine Wut gleich rauslasse, dann explodiere ich...
Dann hatte ich mir angewöhnt, erstmal nichts zu sagen und abzuwarten, bis ich mich wieder beruhigt hatte, dann konnte ich in Ruhe sagen was los ist. Fand mein Freund aber wieder nicht gut, meinte ich soll gleich sagen was los ist.
Und jetzt explodiere ich wieder. Der Ärmste tut mir ja leid aber in dem Moment kann ich das einfach nicht ruhig sagen sondern gehe total in die Luft.

Helferlein 87 Deutschland / BB W, 41

Hallo Vita, Blue Moon und "Mitleser",

mit "Wut sofort rauszulassen" hätte ich auch erhebliche Probleme - da mein berufliches Wirken mitten in der Öffentlichkeit ist.
Daheim ist das etwas anderes, aber auch da versuche ich zu kontrollieren - möchte wenig "zerstören" (materielles, Beziehungen).
Teile allerdings sehr schnell mit, wenn ich mich wütend fühle, vermittle dieses möglichst direkt, womit ich ganz gut fahre.
Versuche dann zu ergründen, wie sich diese Wut anfühlt, warum sie wohl da ist.

@vita:

Quote:

Kannst du diese Trauer genauer benennen? Die eigene Verletzlichkeit zu spüren, erachte ich als (...) wichtig.

Ja, kann ich: ich bin allein und verlassen und ich möchte "um's Verrecken", dass sich jemand um mich kümmert. Brauche jemand, der mich "allumfassend" hält. Bin dann innerlich so leer und traurig, dass ich es kaum mehr aushalte. Und jede Bemerkung anderer bringt mein gesamtes Selbstkonzept ins Wanken, so dass ich nicht mehr weiß, was "richtig" ist. Das braucht dann etwas Abstand - und dann "trudle" ich mich wieder ein. Aber es tut in dem Moment verdammt weh.
Kann dies auch alles in der Therapie erzählen.

Liebe Grüße,
Anne

Forums-InsiderIn 339 Hessen W, 50

Hallo Anne,
hallo @alle,

Quote:

Teile allerdings sehr schnell mit, wenn ich mich wütend fühle, vermittle dieses möglichst direkt, womit ich ganz gut fahre.

Das meinte ich auch. Zu sagen, "ich bin wütend, weil ....." gefolgt von:"Ich möchte, dass ....."

Damit zeige ich nicht nur meine Grenzen auf und gebe mich zu erkennen, ich sage auch, was ich möchte.

Vorher haben meine Mitmenschen mich nicht gekannt, da ich meist geschwiegen habe und das hat meinen inneren Frust erheblich verstärkt.

Explodieren tue ich auch noch, jedoch prügle ich meist auf Kissen rum oder tobe im Garten, ohne dass jemand anders direkt beteiligt ist. Es geht mir dann auch primär darum, Dampf abzulassen.

Es tut mir leid, Anne, dass du dich allein und verlassen fühlst. Du schreibst, du brauchst jemand, der dich "allumfassend" hält. Fühlst du dich schutzlos? bzw. vor was möchtest du beschützt werden?

Ich frage dich dies, weil ich auch einmal so gefühlt habe. Jedoch kam das aus meiner Kindheit, wo ich tatsächlich allein und verlassen war und Schutz bedurfte, der mir nicht gegeben wurde. Heute bin ich erwachsen und kann mich selber schützen.

lg
vita

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