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Hiob
Forums-Gruftie
607
Berge M, 32
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Sat, 24.Feb.07, 16:55 Gibt es denn Defizite? |
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Liebes Forum.
Die Psychologen (Pädagogen-Soziologen...) lehren einander, dass es vorkommen könne, dass die Patienten/Klienten in diesem oder jenem Bereich „Defizite“ aufweisen. Wahrnehmuns-Entwicklungs-Verarbeitungsdefizite usw...mit Auswirkung auf das Sozialverhalten, die Eigenständigkeit usw. Ich hör das immer wieder und beobachte die Menschen dabei, ...den, der so etwas ausspricht und den der es sich anhört. Alle scheinen davon überzeugt, dass es sich hier um eine sinnvolle Erkenntnis handelt. Sie sind gar stolz darauf, genauestens um die Entstehung von Defiziten und deren Einordnung/Gliederung/Auswirkungen/Beeinflussung zu wissen.
Wie kommt man darauf, dass es in der Entwicklung und im Istzustand von Menschen so etwas wie eine Norm geben könne. Und wie kommt man darauf, dass man nur mit dem Ausgleich des Defizits, also mit der Annäherung an die Norm, ein Problem lösen könnte oder dem Menschen dauerhaft zu Eigenständigkeit und Eigen-Sicht lenken könnte. Gaukele ich dem Menschen (und mir), wenn ich ihm eine Norm mit auf den Weg gebe, nicht wieder nur vor, dass er glücklich wird (übertr. „leben darf“), wenn er die Bedingung erfüllt( am Defizit arbeitet).
Ich versteh nicht ganz, wie jemand, der unverrückbare Eckpunkte akzeptiert, jemand anderes gesünder machen kann, als maximal „bis“ zu diesen „eigenen“ Eckpunkten. Währe es nicht gerade die Aufgabe des Helfers, mindestens ebenso viel vom Menschen aufzunehmen, wie weiterzugeben? Es wird immer so inflationär von liebevollem Umgang gesprochen...wäre aber mein letzter (absurder) Satz nicht mal ein greifbarer Inhalt?
[Auf Details kann ich gern noch eingehen, aber vielleicht mag jemand allgemein mal seine Sicht dazu beschreiben. Sicher „muss“ man in einer Lehre irgendwelche Eckpunkte aufstellen, um sie annähernd gleich weitergeben zu können. Aber mir scheint so vieles, gerade in der Psychologie, mehr und mehr sinnlos, weil es aus meiner Sicht den Menschen nicht verstehen, sondern einordnen will. Zweifle, ob man Lebendigkeit damit überhaupt heilen (im Körperverständnis z.B.„in Fluss bringen“) kann. *murmel* ]
Vielleicht ist das etwas unpopulär, aber es ging mir gerade durch den Kopf.
Hiob
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carö
Forums-InsiderIn
456
Deutschland W, 38
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Sat, 24.Feb.07, 19:18 Re: Gibt es denn Defizite? |
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hallo hiob,
Quote: | Währe es nicht gerade die Aufgabe des Helfers, mindestens ebenso viel vom Menschen aufzunehmen, wie weiterzugeben? Es wird immer so inflationär von liebevollem Umgang gesprochen...wäre aber mein letzter (absurder) Satz nicht mal ein greifbarer Inhalt |
ja das gehört dazu. jemand der sich wirklich einlassen kann auf den klienten/patienten wird auch durch ihn verändert. anders könnte ich mir auch keine echte heilsame verbindung vorstellen. alles andere wäre das, was du als deine befürchtungen/beobachtungen (??) beschreibst. zumindest darf ich es so positiv erleben. deine ausführungen kenne ich aber auch als eigene befürchtungen... gerade in den letzten tagen, wochen hat mich das wieder sehr umgetrieben.
ich erlebe es auch nicht so, dass mich der therapeut einordnen, sondern verstehen will. einordnen würde eine riesendistanz auslösen und eine machterfahrung sein... ich zumindest spüre immer mehr, dass ich es bin, die diese ängste hat und sie auch projeziere... umso schöner ist es spüren zu können, dass die realität anders ist - dass mir nämlich kein beurteilendes, einordnendes, distanzierendes, machtausübendes wesen gegenübertritt.
wie kommst du auf diese gedanken ? mag sein, dass es das gibt, aber es gibt immer auch das gegenteil und das ist schön
LG
caroline
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vallée
Forums-Gruftie
514
Wolkenkuckucksheim W, 27
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Sat, 24.Feb.07, 23:25 Re: Gibt es denn Defizite? |
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Doch ich denke, es gibt Defizite. Nämlich dort wo ein Mensch unter sich selbst leidet, ob er sich nun dieser Zusammenhänge bewusst ist oder nicht.
Von daher sehe ich es natürlich als einen Erfolg von Therapie erstmal wirklich mit Verstand und Herz zu begreifen weshalb man leidet.
Aber die allerwenigsten Menschen haben nur Defizite, leiden nur. Es gibt auch Stärken. Und es wäre sicher schön, wenn die/der Thera sich auch dafür öffnet.
Wenn es einen Eckpunkt gibt, dann sicher denn, Klienten mehr eins mit sich zu machen, näher zu sich zu führen. Zwischen überhöhten, unrealistischen und realistischen Ansprüchen entscheiden und letztrere Umsetzen, bzw. das Rüstzeug dazu mitgeben.
Sicher ist es fraglich ob man jemanden abgehängtes Präkariat, Persönlichkeitsgestört oder Krank nennen darf. Ja das sind normativ wertende Begriffe, auch wenn sie sich wissenschaftlich neutral geben. Aber irgendwie muss man am Wissen ja arbeiten, abstrahieren, klassifizieren, um auch im Einzelfall helfen zu können.
Wenn man in einer Eigenschaft von der statistischen Norm abweicht, dann ist es eben so. das ist nicht wertend, sondern ein Fakt. Inwieweit man aber normative Norm für sich annimmt oder nicht kann man doch selbst entscheiden.
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Hiob
Forums-Gruftie
607
Berge M, 32
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Sun, 25.Feb.07, 11:19 Re: Gibt es denn Defizite? |
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Danke euch zweien.
@ caroline
Es stimmt schon, dass viele dieses Machtgefälle ablehnen und von der „Patient liegt, Arzt sitz hinter ihm und schweigt (bedächtig)“- Konstellation inzwischen sehr weit wegbewegt haben.
Aber besteht nicht mindestens noch ein Machtgefälle zwischen Helfer und Lehre?
Ebenso zwischen Patient/Klient und Lehre?
Quote: | valllee: Aber irgendwie muss man am Wissen ja arbeiten, abstrahieren, klassifizieren, um auch im Einzelfall helfen zu können. |
*Schultern heb * Ich weiß es nicht.
Quote: | vallee: Doch ich denke, es gibt Defizite. Nämlich dort wo ein Mensch unter sich selbst leidet, ob er sich nun dieser Zusammenhänge bewusst ist oder nicht. |
Diese Schlussfolgerung ist mir zu schnell. Und. Dass ein Mensch AN dem Defizit leidet, das ist mir ebenfalls zu schnell gefolgert. Wir geben den Problemen so gern Namen. Um sie vergleichbar zu machen. Aber nur weil ich einer Liste von Symptomen einen Namen gebe, komme ich nicht an die Ursache. Nur weil ich in nem bestimmten Stadium meinetwegen einen Konflikt Kind/Vater nicht so gelöst sehe, wie ich es glaube , dass er gelöst werden sollte, folgere ich. Ja was folgere ich denn daraus? Ich hab immer einen Richtwert vor mir, an den ich im Grunde GLAUBE..
Es kommt mir manchmal so vor, alsob die Horizontlinie der Wissenschaft immer eine Religion ist.
Hier kommt dann wieder ein Pädagoge zu mir und sagt mir eben WEIL du ohne diese Eckpunkte völlig verloren gehst, brauchst du sie. Aus dieser Annahme scheint man abzuleiten, dass „Grenzen setzen für Kinder notwendig“ sei. Meiner Meinung nach scheint sich der Verstand „totzurasseln“, wenn man den Horizont nicht als solchen anerkennt. Aber muss man ihn deshalb SETZEN? Ergibt er sich nicht durch die eigenen Fähigkeiten automatisch?
Seltsam. Das ganze wirkt heute auf mich idiotisch, muss ich zugeben.
Wir denken, dass wir jedem Problem Stück für Stück zu Leibe rücken müssen, um es zu lösen oder dass wir Stück für Stück an uns arbeiten müssten, um. Um? Um dem Horizont (dem derzeitigen Kenntnisstand) näher zu kommen. Mir fällt hier der früher für mich unklare Ausdruck auf „der Verstand zerhackt Leben in kleine Zeitabschnitte“ ein. Vielleicht ist es das. Er befindet sich entweder in der Situation, nach außen nur durch die Reichweite seiner Wahrnehmungsorgane begrenzt, oder in der Reichweite bis zum Verstandeshorizont. Immer begrenzt.
Sich dem Defizit ausgleichend entgegen zu stellen. Ich weiß nicht, ob das ganze nicht doch nur Selbstbeschäftigung ist. Bei den Dianetikern fällt es einem auf, wenn sie ihr Geld ausgeben um Schritt für Schritt scheinbar „klarer zu sehen“ und dabei auf dem Weg zum Horizont scheinbar auf der Stelle treten um immer mehr vom Ziel (u.schließlich von der Gemeinschaft) fixiert zu werden. An sich arbeiten aber sich nicht bewegen. Bei den Religionen fällt es einem auf, wenn man eine alte gläubige Frau sieht, die unaufhörlich in ihrem Glauben gewachsen ist, aber ein beinahe ausdrucksloses Gesicht hat. Bei einem Menschen, der mehrere Psychoanalysen hinter sich hat und sich schließlich tötet, fällt es einem auch auf. Aber bei mir selbst?
Alles läuft irgendwie darauf hinaus, dass die Psychologie auch nur ein Umweg (wie die Religion oder Philosophie oder Physik..) ist, um herauszufnden, dass das Problem erst mit dem Vergleichen entstand. Und jetzt scheinen wir uns, indem wir uns an das andere annähern (das Defizit beseitigen), auf einer bestimmten Ebene GLEICH machen zu wollen. Alles gleich setzen zu wollen. Hier findet sich seltsamer Weise die in der Mytologie und Jung/Neumann´schen Lehre beschriebene Tendenz des Menschen, „hin zum Unbewussten“. Braucht also bewußtwerden doch Vergleiche? Referenzpunkte? Defizite?
Ja, ich seh grad überhaupt nicht mehr durch.
Tut mir leid, dass sich das so verwurstelt anhört, vielleicht kann jemand dazu mal etwas tiefer seine Gedanken beschreiben. Und mich ein bisschen schubsen.
Hiob
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vallée
Forums-Gruftie
514
Wolkenkuckucksheim W, 27
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Mon, 26.Feb.07, 12:35 Re: Gibt es denn Defizite? |
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Hi Hiob, so wie du es beschreibst, ja da ist es wohl Beschäftigungstherapie.
Ich meine das anders. nein es ist natürlich nicht gesagt, dass man unter allem leidet, was die WHO als Krankheit/Symptom definiert.
Ich leide ja nicht darunter, was andere mir als Defizit zuschreiben, sondenr ich sehe selbst Defizite dort wo ich leide.
Dort wo es eine Lücke zwischen meinem Wollen und meinem Können gibt. was daran nun das Defizit ist: das mangelnde Können oder das überhöhte Wollen, sei mal dahin gestellt.
Darum geht es, das ICH eins werde, mich wohl fühle, nicht darum was die Gesellschaft, meine Familie, Freunde oder sonst er sagen. Und meine Defizite sind dort wo ich mit selbst im Weg stehe.
Quote: | *Schultern heb * Ich weiß es nicht.
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Ich aber. Ich kenne mich mit sozialwissenschaftlicher Forshcung durchaus aus. und ich gebe zu, dass mich manchmal ein Unbehagen beschleicht, wenn ich "Objekt der Untersuchung" bin. Wenn ich und meine Probleme gelabelt werden. Aber ich mache es mit anderen ja genau so. Um ihnen zu helfen und wenn nicht ihnen direkt, dann doch um anderen etwas an die Hand zu geben, die Menschen mit ähnlichen Problemen helfen.
Und wer das nicht möchte muss ja nicht.
So ist es doch: Es ist doch deine Entscheidung was du an Reflexionen annimmst. was du bei dir als Problem siehst udn was nicht. Niemand zwingt dich auf den Selbstfindungstripp.
Hauptsache ist doch.. das was du amchst passt zu dir, tut dir gut.
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carö
Forums-InsiderIn
456
Deutschland W, 38
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Mon, 26.Feb.07, 16:51 Re: Gibt es denn Defizite? |
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@ hiob
Quote: | Aber besteht nicht mindestens noch ein Machtgefälle zwischen Helfer und Lehre?
Ebenso zwischen Patient/Klient und Lehre? |
wieso nennst du es machtgefälle ? ich frag nur, weil es so negativ eingefärbt klingt. ja, es gibt natürlich ein gefälle in der beziehung eines hilfesuchenden und eines helfers. aber zur machtausübung wird es doch erst, wenn der eine, der z.B. einen wissensvorsprung etcetc. hat, dieses ungleichgewicht in der beziehung ausnutzt.
oder lass es mich versuchen anders auszudrücken: ich denke macht ist an sich nicht negativ. man braucht macht/potenz um etwas bewegen/verändern zu können. aber erst wenn man nicht sorgsam mit dem "vorsprung", den man hat umgeht, wird es machtausnutzung...
ansonsten hast du das ja auch bei eltern und kindern z.B. ... erst wenn eltern ihre position, die natürlich stärker ist, als die der kinder, missbrauchen, wird es ungut.
verstehe deinen ansatz nicht so ganz. magst nochmal erklären ?
LG
caroline
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SchnickSchnack
Forums-InsiderIn
216
Niedersachsen M, 29
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Wed, 28.Feb.07, 11:38 Re: Gibt es denn Defizite? |
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Hallo Hiob,
Ich habe jetzt nicht den ganzen Thread gelesen, also mehr zu deinem Eingangsposting:
Defizite gibt es in einem objektiven Sinne sicher nicht, ich bin der Ansicht, dass man mit jeder Schwäche und Stärke irgendwie umgehen kann. Aber es gibt Leidensdruck, der sich dann in etwas äußert, was man als Hilfesuchender (ich mag diese Klient-Patient-Schreibe nicht...) dann als Defizit empfindet. Psychologen, die so etwas von selbst werten, ohne die Wertung des Betroffenen einzubeziehen, haben meiner Ansicht nach ihren Beruf verfehlt, weil sie dann dazu neigen, nur an die Norm anzupassen. Gibt es diese Norm? Ja, irgendwie schon, sie wird durch Modeströmungen und Zeitgeist definiert, wenn auch nicht deutlich. Ob es deshalb gut ist, sich an diese Norm anzupassen, bezweifle ich sehr stark. Besser wäre es wohl, mit den eigenen Defiziten zu leben, sie schrittweise zu akzeptieren, sie zu kanalisieren und ihnen dann mit der Zeit ihre Wichtigkeit zu nehmen. Wie ich schon vormals oft meinte: Eine Depression ist eine Depression, weil sie den Charakter der Hoffnungslosigkeit hat. Das unterscheidet sie von Melancholie oder Traurigkeit: Der Gedanke, man leide unter einem Defizit, das in Zukunft so bleiben muss, weil es in der Vergangenheit so war.
Und noch eine kleine Anekdote zum Therapeuten-Hilfesuchenden-Verhältnis: Ich habe mal ein paar Stunden bei einem Therapeuten genommen, der ziemlich dumm geguckt hat, als ich ihm zum Abschluss gesagt habe: "Ich hoffe, dass ihnen die Gespräche auch etwas gebracht haben." Als ich das Unverständnis oder die Überraschung (ich habe nicht näher nachgefragt) in seinen Augen gesehen habe, dachte ich mir, dass hier eben wieder dieses Arzt-Patient-Verhältnis vorgeherrscht hat, mit dem ich mich gar nicht identifizieren kann. Natürlich ging ich zuerst einmal als Hilfesuchender zu einem potenziellen Helfer, aber deswegen ist es nicht auszuschließen, dass man sich teilweise auf einer Ebene bewegen kann, der Helfer also auch Nützliches aus den Gesprächen zieht. Zumindest würde ich bei neuen Therapieansätzen (im Moment nicht in Sicht) sehr darauf achten, dass dahingehend Offenheit bei dem Therapeuten herrscht, ich lasse mich nämlich nicht gerne "behandeln", wenn, dann sollte gemeinsam gehandelt werden.
OK, das war jetzt alles sehr assoziativ, aber geht vielleicht in deine Richtung, wollte dich eigentlich nur mal eben etwas unterstützen, weil ich deine Ansicht grob teile.
Bunte Grüße!
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_________________ And Burn Burn Burn
The histories they stole from us
One day patriotic thugs will dance to songs of justice
And cringe, and rack guns of shame. |
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