Schlechtes Gewissen

neu an Bord! 3 Wien W, 24

Ich weiß nicht wo ich anfangen soll, versuche aber mich möglichst kurz zu fassen.

Vor 10 Jahren hatte ich mein erstes Mal auf einer Party meiner Schulklasse. Ich war damals erst 14 und irgendwie haben das einige auf der Party mitbekommen und das Ganze hat sich dann wie ein Lauffeuer in der Schule verbreitet.
Ich wurde nie wirklich von anderen deswegen verurteilt, war und bin alles andere als unbeliebt und keiner redet seit Jahren mehr über diesen Vorfall.
Trotzdem verfolgt mich diese Situation bis heute. Sex ist für mich seitdem immer mit schlechtem Gewissen verbunden und ich fühle mich wegen jeder sexuellen Erfahrung als ob ich die größte Schlampe der Welt wäre.
Das Problem ist, dass ich ja vom Verstand her weiß, dass das Ganze nicht so schlimm ist und keiner über mich denkt, dass ich eine Schlampe wäre (zumal ich auch seitdem ziemlich prüde mit dem Thema Sex umgegangen bin). Meine Schuldgefühle sagen mir aber etwas anderes.
Ich weiß einfach nicht, wie ich mit mir selbst wieder ins Reine kommen kann.
Vielleicht kann mir ja hier jemand weiterhelfen...

Forums-InsiderIn 472 Graz M, 39

guten morgen cloud!

gut, dass du dich entschieden hast, hier zu schreiben.

ich habe ein paar fragen dazu, um besser verstehen zu können:

was ist damals genau passiert?

kann es sein, dass das schlechte gewissen nicht erst seit damals besteht? in deinen aussagen deutet nämlich einiges darauf hin.

was genau verstehst du unter einer schlampe?

Quote:

Ich wurde nie wirklich von anderen deswegen verurteilt,

was bedeutet das "nie wirklich" in diesem zusammenhang?

lg
deb

neu an Bord! 3 Wien W, 24

Hi Debussy!

Danke erstmal für deine Antwort.

Bei dieser Party haben alle in Zelten dort übernachtet. Wir sind relativ früh zu zweit in einem Zelt gelandet und dann ist es eben passiert. Dann war das halt so, dass alle gefragt haben, wo wir denn sind und da ist schon mal das Gerücht aufgekommen. Dann war es so, dass sich einige vors Zelt gestellt hatten und irgendwie versucht haben, was zu sehen. Frag mich nicht warum wir nicht aufgehört haben. Sie hätten aber garnicht wissen können, dass da wirklich was passiert war. Was mich heute noch so dran stört: Damals war ich irgendwie so richtig stolz darauf. Hab mich so erwachsen und erfahren gefühlt und hab das dann eben auch nicht abgestritten. Die richtigen Schuldgefühle sind erst ein Jahr später aufgetaucht, was ich auch nicht ganz verstehe. Seitdem kommen sie auch nur, wenns mir auch so nicht gut geht. Wenns mir gut geht, mache ich Fehler, für die ich mir dann wieder, wenns mir schlecht geht, Vorwürfe mache.
Es war dann halt so, dass das in der Schule die Runde gemacht hat. Es war eben ein Gerücht... Manche habens nicht geglaubt, andere haben mich drauf angesprochen, andere wussten es und haben nichts gesagt.
Das schlechte Gewissen in sexueller Hinsicht besteht glaub ich erst seit dieser Erfahrung. Leider neige ich aber immer schon dazu wegen allem sehr leicht Schuldgefühle zu bekommen.
Unter einer Schlampe verstehe ich eine Frau, die sich einfach zu leicht "hergibt" und der demensprechend ein schlechter Ruf vorauseilt.
Was ich mit "nie wirklich verurteilt" meine: Es gab schon ein paar Leute, die mich damit aufgezogen haben und glaub ich auch ein paar, die das überhaupt nicht verstehen konnten und mich (das glaub ich eben nur) deswegen verurteilt haben. Ich hatte seitdem immer das Gefühl, dass wenn mich jemand nicht mag, das immer mit dieser Story zusammenhängen muss. Prinzipiell habe ich all meine Probleme nur auf das, was passiert ist, projiziert.
lG C

Forums-Gruftie 982 wien M, 31

Hi cloud9,

cloud9 wrote:

Damals war ich irgendwie so richtig stolz darauf. Hab mich so erwachsen und erfahren gefühlt

Vielleicht war das damals auch die tiefere Motivation für diese Handlung, eben dieses beschriebene Gefühl zu erleben. Manche zünden sich mit 14 die erste Zigarette an, andere haben den ersten Rausch und du hattest Sex. Ist es nicht völlig normal sich mit 14 diese Erfahrung holen zu wollen, auch wenn´s nicht unbedingt immer vernünftig ist? Auf der anderen Seite handeln Erwachsene immer vernünftig, wird es nicht eher von den Kindern ab einem bestimmten Alter verlangt vernünftig zu sein?

cloud9 wrote:

Wenns mir gut geht, mache ich Fehler, für die ich mir dann wieder, wenns mir schlecht geht, Vorwürfe mache.

Was verstehst du unter "Fehler"? Gilt dann der Umkehrschluss, wenn es dir schlecht geht verhältst du dich "richtig" (angepasst)?

cloud9 wrote:

Unter einer Schlampe verstehe ich eine Frau, die sich einfach zu leicht "hergibt" und der demensprechend ein schlechter Ruf vorauseilt.

Wer hat diesen Begriff so definiert, dein (Ge)Wissen oder deine Angst?

cloud9 wrote:

Ich hatte seitdem immer das Gefühl, dass wenn mich jemand nicht mag, das immer mit dieser Story zusammenhängen muss. Prinzipiell habe ich all meine Probleme nur auf das, was passiert ist, projiziert.

Das sehe ich genauso, du unterliegst da einer klassischen Projektion. Ich vermute stark DU verurteilst dich, nicht die anderen. Es sind seither 10 (!) Jahre vergangen, die meisten werden deine Geschichte vergessen haben oder kannten sie nie - aber DU hältst sie durch deine Befürchtungen weiterhin am Leben.

Als Beispiel du fährst auf Urlaub in eine fremde Stadt, redest dort einen Fremden an. Irgendwann hast du das Gefühl, der mag mich nicht, was denkst du dann eher als nächstes?
Das hat nichts mit mir zu tun, der hat heute einen schlechten Tag, mit dem Chef gestritten, oder was auch immer, oder nimmst du das persönlich, suchst die Schuld für sein Verhalten bei dir?

Ich kann nur von mir sprechen, verzeihen bedeutet vorrangig mir selbst verzeihen zu können, nicht von den anderen Menschen freigesprochen zu werden.

Als Abschluss noch ein Textauszug von Ingeborg Bachann (Unter Mördern und Irren)

Dann war Mahler am grausamsten, wenn er nichts sagte oder die Krawatte nur etwas zurechtrückte, jemand ansah und zu verstehen gab, dass er sich an alles gleichzeitig erinnerte. Er hatte das Gedächtnis eines gnadenlosen Engels, zu jeder Zeit erinnerte er sich; er hatte einfach ein Gedächtnis, keinen Hass, aber eben dies unmenschliche Vermögen alles aufzubewahren und einen Wissen zu lassen, das er wußte (...).

LG
comus

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