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Simon1982
sporadischer Gast
7
Stuttgart M, 23
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Tue, 06.Feb.07, 12:41 Stigmatisierung; kümmert mich was andere denken? |
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Hallo,
schon ein paar Mal habe ich hier Hilfe gesucht und sehr freundliche Antworten erhalten.
Es ging vor allem um meine Zeit mit einer schweren Krankheit, zusätzlich Orientierungslosigkeit und einer mittleren Psychose.
Mittlerweile geht es mir relativ gut, ich habe eine Perspektive, auch wenn ich viel Zeit verloren habe durch meine ganzen "Fehltritte".
Also würde ich fast sagen, dass ich mit meiner Vergangenheit durch bin, ich habe akzeptiert, dass es so gelaufen ist und ich mit den Konsequenzen nun leben muss.
Nun ist es so, dass ich, wenn ich neue Menschen kennenlerne, oft sehr positive Resonanz erhalte. Oft bin ich geeigneter Gesprächspartner, bringe andere zum lachen, habe ein gewisses Selbstbewusstsein. Das liegt zum Teil auch daran, dass ich nicht aufgeben wollte und trotz beruflichem Misserfolg immer noch so ein bis zwei kleine Betätigungsfelder hatte, in denen ich voranschreiten konnte, Spaß hatte und kleine Erfolge sammelte. Zum Beispiel spiele ich gerne mein Instrument. Meine Krankheiten in den Griff zu bekommen sehe ich selbst, aber auch andere nicht als Erfolg an, was verschiedene Gründe hat. Zum einen ist es einfach zu unangenehm, um offen darüber zu reden so dass es immer ein Makel bleiben wird. Niemand aus meiner Familie bewundert mich dafür, dass ich mit mir selbst klarkomme. Es geht eher um Erfolg im Beruf, das zählt, das kann ich auch durchaus verstehen, denn jeder hat ja mehr oder weniger große, persönliche Probleme.
Schwierig bis unfair empfinde ich aber die Tatsache, dass ich mir oft noch wie ein Verbrecher vorkomme. Niemand sagt mir offen, dass ich einer bin, aber unterschwellig ist es oft eine ganz unangenehme Atmosphäre. Vielleicht gehe ich zu naiv an das Ganze heran, aber für mich ist es wirklich am leichtesten, wenn ich die Vergangenheit ruhen lasse, mich der Gegenwart erfreue und mir sage, dass ich auch zukünftiges meistern kann, wenn ich solche Barrieren überwinden kann.
Auf der anderen Seite fühle ich auch eine gewisse Verpflichtung, gerade meinen Eltern gegenüber, sie aufzuklären und näher zu erläutern, warum es mir so schlecht ging, was genau passiert ist und was die Konsequenzen daraus waren. Nur, wem hilft das? Würden sie es vestehen? Kann man, wenn man es nie erlebt hat, sich vorstellen wie es ist, wenn man alleine ist, die Welt nicht mehr versteht und alles falsch interpretiert, man Halluziniert, Angst hat, denkt, dass niemand einen versteht, dass niemand einem helfen kann, dass die Welt untergeht, überall die Mafia auf einen lauert und verfolgt, dass man deshalb nicht ordentlich studieren kann?
Vielleicht hängt es damit zusammen, dass das Leben auch ohne eine schwere Krankheit oder Psychose oft schwer zu ertragen ist; vielleicht fragt man sich, warum ich trotz allem noch fröhlich sein kann. Gut, ich habe mir einiges verbaut, aber es war auch nicht nur und alleine meine Schuld, vieles hat sich eben so entwickelt und ich muss jetzt damit leben. Aber ich sehe es nicht ein, dass selbst meine besten Freunde von damals mich immer noch anschauen und versuche herauszufinden, ob ich verrückt bin oder was auch immer.
Ich weiß nicht, wie ich dem begegnen soll, manchmal würde ich am liebsten einfach in ein fremdes Land gehen und von vorne anfangen, aber ich weiß, dass ich mich dem stellen muss, ich muss aufräumen, nur bilde ich mir ein dass das nur erlaubt ist, wenn ich auch etwas vorzuweisen habe, einen Nobelpreis vielleicht, sonst interessiert ja niemand meine Meinung... Ein Freund hat mir einmal gesagt, die meisten Menschen würden, wenn ein Ufo neben ihnen landete, einfach weitergehen, das sei eben so. Auf was soll ich mich nun konzentrieren? Soll ich es anderen recht machen? Muss ich mich rechtfertigen? Kann ich damit leben? Hilft mir das ganze, um andere besser zu verstehen? Darf ich überhaupt noch hoffen, mal wieder normal behandelt zu werden?
Schöne Grüße
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mausl
Helferlein
95
hintertupfing W, 20
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Tue, 06.Feb.07, 14:38 Re: Stigmatisierung; kümmert mich was andere denken? |
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ich hab deinen beitrag gelesen, aber ich kann dir leider nichts raten, da ich nichts vergleichbares erlebt habe und mich daher nicht so gut hineinversetzen kann, wie es wahrscheinlich notwendig wäre.
allerdings wollte ich zu diesem thema trotzdem etwas loswerden. und zwar dass ich es immer wieder traurig finde wie inkompetent die meisten menschen auf emotionaler ebene sind. wieso ist das so? müsste man als mensch nicht einen anderen menschen am besten verstehen..
statt dessen sind sich alle fremd, pflegen oberflächlichen umgang und wenn mal ein problem auftaucht, dass etwas emotionale intelligenz erfordert, ist die umgebung überfordert und verhält sich hoffnungslos falsch.. sieht man ja auch an deinem fall, ich find das einfach immer wieder so enttäuschend..
dann frag ich mich ob ich selbst auch so bin ohne dass es mir auffällt..
glg muhkuh
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Simon1982
sporadischer Gast
7
Stuttgart M, 23
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Tue, 06.Feb.07, 17:17 Re: Stigmatisierung; kümmert mich was andere denken? |
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Quote: | dann frag ich mich ob ich selbst auch so bin ohne dass es mir auffällt |
Ich denke es ist wie mit vielen anderen Fähigkeiten auch: Es gibt Menschen, die können sehr gut mit anderen umgehen, ihre Situation verstehen und nachvollziehen, wie ein Automechaniker, der gut Autos reparieren kann. Wie diese Fähigkeit erworben wurde, kann ja sehr unterschiedlich sein. Sicher, Talente gibt es immer, aber meist ist es doch antrainiert.
Nur: Bei einem Auto ist eben sehr schnell ersichtlich, ob und dann meist auch was genau nicht funktioniert: Es fährt z.B. einfach nicht mehr.
Beim Mensch ist es oft die Leistungfähigkeit, die man dann vermisst.
Allerdings sind hier die Mechanismen viel komplexer und weniger zugänglich. Viel entscheidender ist aber: Wenn mein Auto nicht fährt, dann kann ich nicht so tun, als täte es das. Ich muss es reparieren oder zu Fuß gehen. Wer akzeptiert aber schon gerne, dass er selbst nicht mehr in Ordnung ist?
Und dann passiert es: Man richtet seine Perspektive auf die Welt eben so ein, dass es passt. "Ich bin ein trauriger Jammerlappen, weil meine Eltern mich mit Spinat gequält haben. Daher ist die Welt gemein und schlecht und es ist nur gerecht, wenn ich andere mitleiden lasse."
Einmal zu verstehen, dass die "Welt so wie sie ist" nicht existiert, sollte man in der Schule als Fach unterrichten, statt Religion;
ich möchte hier natürlich gerne auf Kant verweisen.
Früher hätte ich nie gedacht, wie viel von dem, was ich als "Realität" betrachtet habe, nur ein Teil von dem Modell in meinem Kopf ist, das ich immer besser anpassen und optimieren kann je älter ich werde; erfordert aber Übung und Akzeptanz gewisser Wahrheiten...
Nur ein kleines Beispiel:
Mein Mitbewohner verärgert mich oft ein wenig. Wenn er dann außer Haus ist, ärgert mich sein Verhalten noch immer, ich denke über ihn nach.
Das heißt, ich habe ein Modell von ihm in meinem Kopf das sich annähernd so verhält, wie ich ihn erlebt habe.
Nun kann man damit aber spielen, man kann dieses Modell anpassen.
Ich sehe nämlich nicht ein, dass das Modell von mir selbst das Modell von meinem Mitbewohner nun in meiner Vorstellung ebenfalls drangsaliert und ärgert, denn das bringt mir zum einen nichts, zum anderen ändert das ja nichts für meinen Mitbewohner.
Daher halte ich es für sinnvoller, z.B. die Modell "für mich arbeiten zu lassen". Ich stelle mir also vor, dass mein Mitbewohner nicht darüber nachdenkt, wie er mich ärgern kann, sondern wie er meine Hausaufgaben angehen würde.
Natürlich tut er das nicht, aber es wäre doch schön, wenn es so wäre.
Allerdings muss ich dann von meiner aggressiven Perspektive abrücken und meine Energie in andere Dinge wie Sport etc. investieren.
Was ich damit sagen will ist: Oft traut man sich nicht, aber es ist doch hilfreich, wenn man eigene Wertvorstellungen entwickelt. Die kann man ja flexibel anpassen falls nötig, aber immer alles in Frage zu stellen ist auch nicht so gut.
Gerade für meine Eltern und Freunde ist es sicher am hilfreichsten, wenn ich selbst erst einmal eine Meinung zu meiner Vergangenheit habe, also: Dazu stehe.
Blöd nur, wenn man sich selbst so wertlos und unnnötig fühlt...
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iMage
Forums-InsiderIn
191
Chaos W, 23
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Tue, 06.Feb.07, 19:15 Re: Stigmatisierung; kümmert mich was andere denken? |
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Mmh,
erst mal eine Frage. Warum bist du nicht stolz darauf, dass du es "geschafft" hast? Es ist eine Leistung, Schwierigkeiten zu überwinden. Egal, wo diese Schwierigkeiten herkommen. Stolz ist vielleicht das falsche Wort, aber ein besseres weiß ich leider gerade auch nicht.
Ich weiß, ich bin stark. Das kann mir niemand nehmen. Auch wenn viel von dieser Stärke erforderlich war, mit Dingen zurechtzukommen, die ich mir "selbst eingebrockt" habe. Aber trotzdem ist es mein Weg.
Und wenn du sagst, du konntest dich trotz aller Schwierigkeiten trotzdem durchschlagen und hast deine Krankheit überwunden, dann lass dir das nicht kleinreden.
Eines der Probleme psychischer Krankheiten ist, dass man nicht sehen kann, dass sie geheilt sind. Deshalb ist auch nicht klar, wem es gut geht, wem nicht, und ob man sich nicht vielleicht selbst auch eingestehen müsste, dass man Züge hat, die nicht gesund sind. Das die Welt nun mal nicht so ist.
Und dass du, dadurch das du das erkannt hast, natürlich auch anders geworden bist, ein bisschen weiser auf jeden Fall.
Aber ich könnte mir vorstellen, dass deine Umgebung einfach fürchtet, deine Krankheit könnte wioederkommen, und wenn man nicht darüber redet, dann ist es auch nicht existent ... ... leider
Wichtig ist es vermutlich, dass du dir für dich selbst darüber klar woirst, wie du damit umgehen willst. Dann kannst du dir auch Gedanken machen, wie du auf deine Umwelt eingehen willst, was für Kompromisse du machen willst und/oder kannst.
Alles Gute
iMage
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MonaLisa162
Helferlein
76
Deutschland W, 25
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Tue, 06.Feb.07, 19:36 Re: Stigmatisierung; kümmert mich was andere denken? |
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Ich muss mich iMage anschließen, dass du wirklich zu Recht stolz auf dich sein kannst, deine Probleme in den Griff bekommen zu haben.
Was Bewunderung von anderen betrifft, bekommt man diese doch ziemlich selten, egal was man macht, auch wenn man wirklich etwas geschafft hat, worauf man stolz sein kann und was bewundernswert ist. Die meisten Leute sind auch oft einfach viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und möchten, wahrscheinlich auch, weil es ihnen Angst macht, nicht mit Dingen konfrontiert werden, die nicht so ganz in ihr Weltbild passen. Das ist traurig, aber die Welt ist nun einmal leider nicht gerecht.
Hauptsache ist meiner Meinung nach erstmal, dass du dein Leben in den Griff bekommen hast und mit dir selber klar kommst und optimistisch bist.
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atall
Forums-InsiderIn
151
universum W, 49
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Wed, 07.Feb.07, 13:02 Re: Stigmatisierung; kümmert mich was andere denken? |
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lieber simon,
beim lesen deines postings empfand ich größte hochachtung für deine leistungen, die du da auf die füße gestellt hast. in so einer situation, wie du dich befunden hast, da wieder rauszuziehen ist schon eine gaaaaaaaanz tolle leistung. wer von den sog. "normalos" würde das schon zuwege bringen.
die kriegen ja oft schon die krise, wenn ihr auto mal nicht funktioniert . was glaubst du, wie die sich in deiner situation verhalten würden? wahrscheinlich wäre gott, die welt und der liebe nachbar schuld an ihrem "unglück". aber sie würden nie auf die idee kommen, selbst was dagegen zu tun. wahrscheinlich würden sie in ihrer situation verharren und alle anderen anklagen.
mir hat mal jemand, der beruflich total erfolgreich ist und im laufe seines berufslebens mit den unterschiedlichsten gesellellschaftsschichten - von ganz unten bis nach ganz oben - zu tun hatte, erklärt: den größten RESPEKT hat er vor menschen, die über ihren eigenen schatten springen. denn das schwierigste im leben eines menschen ist sich selbst zu verändern!!
und das hast du mit bravour geleistet. dafür hast du meinen vollsten respekt!!
alles liebe
atall
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