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Brimborium
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Post Sat, 28.Oct.06, 11:15      Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

Hallo,

ich habe mir ein paar Gedanken über Homosexualität gemacht, die ich gerne mit euch diskutieren möchte. Tiefenpsychologisch betrachtet kann sie entweder durch einen nicht gelösten Ödipuskonflikt oder als Folge eines nicht verarbeiteten Traumas in der genitalen Phase entstehen ("Störung der Geschlechtsidentität"). Störung hierbei in Anführungszeichen, da ich diese Neigung bisher als Teil der angeborenen emotionalen Grundstimmung betrachte und sie im Gegensatz zu Socarides und Nicolosi auch nicht als zu therpierbare Krankheit ansehe.

Nun aber zu meinem Gedankengang: ich hatte ein sehr harmonisches und liebevolles Elternhaus, so daß ich die ödipale Phase als Ursache ausschließen kann (Partnerprobleme und Sexualängste sind auch nicht vorhanden). Seit dem habe ich nur zwei Menschen wirklich geliebt, dazu gehörte eine Schulkameradin als ich 11 bzw. 12 Jahre alt war, sie erwiderte meine Zuneigung jedoch nicht und zog stattdessen öffentlich über meine Gefühle her, was mich schon sehr traf (mehrere Weinkrämpfe). Ich bin mir nicht sicher, ob ich das 100%-ig als Trauma bezeichnen würde, jedoch denke ich, daß das meiner Entwicklung nach außen schadete. Danach hatte ich vier Jahre lang keinen Partner mehr, war aber im gesellschaftlichen Verhalten recht ausgeglichen; Hoch- und Tiefpunkte gab es natürlich.

Als ich mit 15 auf dem Gymnasium war, entwickelte sich doch eine sehr enge Freundschaft zu einem Klassenkameraden. Mit der Zeit jedoch entwickelten sich bei mir Gefühle, die ich anfangs noch nicht deuten konnte. Erst nach zwei weiteren Jahren war ich soweit, mir homosexuelle Neigungen einzugestehen und ihm meine Zuneigung mitzuteilen. Er reagierte zwar nicht mit Haß o.ä. (tolerante Erziehung), aber erwiderte meine Liebe auch hier nicht. Nachdem ich davor über ein halbes Jahr damit gekämpft hatte, es ihm zu gestehen, würde ich das als Trauma bezeichnen; ich brach danach den Kontakt ab und zog mich zusätzlich (auch bedingt durch andere Ereignisse im Vorfeld) von der Gesellschaft zurück und entwickelte auch die sich in letzter Zeit steigernde Angst, daß meine Homosexualität öffentlichtlich bekannt werden könnte.

Nun, dazu kamen mir nach langen Überlegungen einige Gedanken. Ich kann mich erinnern, daß ich mit 12 überwiegend sexuelles Interesse an Mädchen hatte und dieses nach der ersten Beziehung immer weiter abnahm, bis es inzwischen fast Null ist. Da ich las, daß "Störungen" der Geschlechtsidentität in der Pubertät überwiegend von vorbestehenden und unverarbeiteten Traumatisierungen bedingt werden, könnte es sein, daß es in meinen Fall so zutreffen könnte, da ich zusätzlich auch starke Isolierungstendenzen entwickelt habe. Dadurch, daß ich bisher davor ausging, daß Homosexualität zur angeborenen Grundstimmung gehört, bin ich mir noch sehr unschlüssig.

Was denkt ihr darüber? Und bitte keine Kommentare darüber, daß diese Neigung eine Krankheit ist und therapiert werden sollte.

Grüße
Brimborium
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Post Sat, 28.Oct.06, 20:44      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

Brimborium wrote:
Tiefenpsychologisch betrachtet kann sie entweder durch einen nicht gelösten Ödipuskonflikt oder als Folge eines nicht verarbeiteten Traumas in der genitalen Phase entstehen ("Störung der Geschlechtsidentität").


Erstmal willkommen hier im Forum!

Hm, du reduzierst Tiefenpsychologie anscheinend auf Psychoanalyse. Die ist mittlerweile umstritten, zumindest die klassische Freudsche Variante! Es gibt nicht wenige Leute (mich eingeschlossen), die Freuds Triebtheorie - also z.B. auch den "Ödipuskomplex" - für eine ausgemachte Verdrehung der Wirklichkeit halten! Unter dem Druck damaliger Moralvorstellungen hatte er diese erfunden, um seine ursprünglich richtigen, aber wohl zu schockierenden Entdeckungen über sexuellen und anderen Kindesmissbrauch umzudeuten und damit wieder aus der Welt zu schaffen, um die Erwachsenen zu schonen.

Zu "Störung der Geschlechtsidentität" würde für mich persönlich auch dazugehören, dass du ein negatives Bild von Männlichkeit hast. Hast du das? Was hälst du von deinem Vater so?
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Post Sat, 28.Oct.06, 22:05      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

Hallo,

Hm, die Expertin auf diesem Gebiet bin ich nun nicht, sage aber trotzdem mal was dazu:
Quote:
Und bitte keine Kommentare darüber, daß diese Neigung eine Krankheit ist und therapiert werden sollte.

Hm, ich habe das Gefühl, dass du derjenige bist, der Homosexualität ein wenig "pathologisiert":
Quote:
Tiefenpsychologisch betrachtet kann sie entweder durch einen nicht gelösten Ödipuskonflikt oder als Folge eines nicht verarbeiteten Traumas in der genitalen Phase entstehen ("Störung der Geschlechtsidentität")

Und zwar in dem Sinn, dass du sie vielleicht mehr als Resultalt eines Konfliktes oder Traumas deutest als eine völlig normale Form der sexuellen Orientierung. Kannst du deine Homosexualität für dich als etwas "Normales" annehmen? Vielleicht täusche ich mich... aber wenn du das könntest, so wäre für dich vielleicht auch die Frage nach der Ursächlichkeit peripher. Oder nochmals anders gefragt: Wieso ist diese Frage für dich so wichtig? Und btw.:
Quote:
"Störung der Geschlechtsidentität"

Unter Störung der Geschlechtsindentität verstehe ich die Unklarheit darüber, ob man Männlein oder Weiblein ist.

LG

P.S.: Ich glaube auch, dass Homosexualität eine angeborene Disposition bzw. multikausal bedingt ist, da es mehrere Theorien zu geben scheint, weil sich die Wissenschaft wohl selbst nicht einig ist.
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Brimborium
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Post Sun, 29.Oct.06, 12:21      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

Danke für eure Antworten!

spätzündi wrote:
Hm, du reduzierst Tiefenpsychologie anscheinend auf Psychoanalyse. Die ist mittlerweile umstritten, zumindest die klassische Freudsche Variante! Es gibt nicht wenige Leute (mich eingeschlossen), die Freuds Triebtheorie - also z.B. auch den "Ödipuskomplex" - für eine ausgemachte Verdrehung der Wirklichkeit halten! Unter dem Druck damaliger Moralvorstellungen hatte er diese erfunden, um seine ursprünglich richtigen, aber wohl zu schockierenden Entdeckungen über sexuellen und anderen Kindesmissbrauch umzudeuten und damit wieder aus der Welt zu schaffen, um die Erwachsenen zu schonen.
Ja, vielleicht reduziere ich das in diesem Fall etwas zu stark, aber Freuds Trieblehre scheint auf meinen Fall irgendwie zuzutreffen, da sich meine homosexuellen Neigungen scheinbar erst nach der unglücklichen ersten Beziehung entwickelt bzw. verstärkt haben. Freuds Phasen der psychosexuellen Entwicklung lehne ich eigentlich auch größtenteils ab, die Eriksonsche Weiterentwicklung ist meiner Meinung nach plausibler.
spätzündi wrote:
Zu "Störung der Geschlechtsidentität" würde für mich persönlich auch dazugehören, dass du ein negatives Bild von Männlichkeit hast. Hast du das? Was hälst du von deinem Vater so?

sternenmeer wrote:
Unter Störung der Geschlechtsindentität verstehe ich die Unklarheit darüber, ob man Männlein oder Weiblein ist.

Ihr habt schon recht, die Geschlechtsidentitätsstörung bezeichnet im eigentlich Sinne eher die gedankliche Zugehörigkeit zu einem anderen Geschlecht. Zu meinem Vater habe ich eine sehr gute Beziehung, aber seitdem ich mir bewußt bin, daß ich homosexuell bin, fällt es mir sehr schwer, ihm in die Augen bzw. überhaupt anzuschauen; es ist ein starkes inneres Widerstreben. Er hat auch keine typische "Männlichkeit", sondern ist sehr liebevoll im Umgang mit seiner Familie und hilft auch im Haushalt viel mit (ich liebe in aber nur als Vater). Ich lehne auch viele Aspekte der angeblichen "Männlichkeit" ab, da sie mir fremd sind und ich mich damit auch nicht identifizieren kann. Öfters habe ich mir überlegt, daß mein fikitves Leben als Frau eventuell besser wäre, weil meine Neigungen dann gesellschaftlich toleriert werden würden.

Ich finde es manchmal deprimierend, daß ich meine Zuneigung zu anderen Männern bzw. Jungen immer verstecken muß und daß über 90% für mich nie erreichbar sein werden. Vielleicht wäre es auch besser gewesen, mir meiner Homosexualität nicht bewußt zu werden. Auf der einen Seite bin ich zwar im gewissen Maße mit mir selber ins Reine gekommen, aber andererseits hat das meine Soziophobie verschlimmert und ich bekomme jedesmal eine Panikattacke, wenn die Wörter "schwul" und "homosexuell" in meiner Umgebung erwähnt werden. Dadurch auch die Angst, mich durch Erröten (Erythrophobie) möglicherweise selbst zu enttarnen.
sternenmeer wrote:
Und zwar in dem Sinn, dass du sie vielleicht mehr als Resultalt eines Konfliktes oder Traumas deutest als eine völlig normale Form der sexuellen Orientierung. Kannst du deine Homosexualität für dich als etwas "Normales" annehmen? Vielleicht täusche ich mich... aber wenn du das könntest, so wäre für dich vielleicht auch die Frage nach der Ursächlichkeit peripher. Oder nochmals anders gefragt: Wieso ist diese Frage für dich so wichtig?

Wie gesagt, eigentlich ging ich davon aus, daß Homosexualität zur angeborenen emotionalen Grundstimmung gehört. Die Traumatathese entwickelte sich bei mir eher deswegen, weil ich vor meinem ersten Trauma und kurz danach fast ausschließlich Mädchen attraktiv fand und erst in den vier Jahren später Jungen zunehmend. Vielleicht ein unbewußter Triebprozeß durch die Enttäuschung und Abweisung durch die erste Freundin oder eher ganzheitspsychologisch?
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Post Sun, 29.Oct.06, 13:20      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

Hallo,

Quote:
aber Freuds Trieblehre scheint auf meinen Fall irgendwie zuzutreffen, da sich meine homosexuellen Neigungen scheinbar erst nach der unglücklichen ersten Beziehung entwickelt bzw. verstärkt haben.

Hm, sicherlich hat die Psychoanlyse Homosexualität in der Vergangheit stark diskriminiert und pathologisiert. Z.B. in dem man Homosexualität als Folge von Konflikte/Traumata/Störungen etc. wertete und die Homosexualität selbst als Krankhaft einstufte. Dies dürfte aber nicht mehr den neuesten Stand der Forschung repräsentieren. Have a look:
Quote:
Diskriminierung und Pathologisierung von Homosexualität entsprechen nicht dem modernen wissenschaftlichen Verständnis der Psychoanalyse.

Quelle: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=45873

Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass nicht der homosexuelle "ein Problem" hat, sondern der-/diejenige(r), welche(r) Homosexualtität nicht als etwas völlig Normales betrachten kann - und zwar in folgendem Sinne:
Quote:
Die Diskriminierung von Minderheiten ist meist das Ergebnis einer Angst vor Fremdem, vor allem dem, was uns in uns selbst fremd ist und das wir deshalb auf andere Menschen projizieren.

Quelle: s.o.
Schau auch mal hier:
Quote:
Frage:
"Wie entsteht eigentlich Homosexualität?"

Antwort:
"Genauso wie Heterosexualität. Und wie die entsteht, wissen wir auch nicht." (Jürgen Lemke, ...)

Quelle: http://www.lsvd.de/bund//eltern/wieentstehthomosexualitaet.html
Und ich denke nicht, dass du dir einen Gefallen tust, wenn du dich nicht von dem Gedanken lösen kannst, dass deine Homosexalität sich aufgrund negativer Erfahrungen entwickelt respektive verstärkt hat. Denn wie will man etwas als normal und selbstverständlich annehmen können, dass sich aus negativen Erfahrungen/Traumata herausgebildet hat? Damit bekommt Homosexualität in meinen Augen einen mehr oder weniger krankhaften Touch vermittelt: Denn vielleicht glaubst du ja: Wäre dies oder jenes nicht widerfahren, so wäre ich "normal" geblieben.

Quote:
seitdem ich mir bewußt bin, daß ich homosexuell bin, fällt es mir sehr schwer, ihm in die Augen bzw. überhaupt anzuschauen

Vielleicht weil du Ablenhnung befürchtest, wenn du deinem Vater davon erzählen würdest oder er es "herausfinden" würde?
Quote:
Er hat auch keine typische "Männlichkeit"

Och, ich glaube den/die typischen Mann/Männlichkeit gibt es ebensowenig wie die typische Frau/Weiblichkeit, da es viele Zwischenstufen gibt und wohl die meisten Menschen männliche als auch weibliche Züge haben.
Quote:
Ich lehne auch viele Aspekte der angeblichen "Männlichkeit" ab,...

So wie es sich liest, auch deine eigene Männlichkeit, da du da Angst vor gesellschaftlicher Nicht-Toleranz/Ablehnung zu haben scheinst.
Quote:
Ich finde es manchmal deprimierend, daß ich meine Zuneigung zu anderen Männern bzw. Jungen immer verstecken muss

Also, ich kenne eine homosexuell lebende Menschen, die an sich relativ offen damit umgehen. Nur dir scheint es (verständlicherweise) noch etwas an Selbstbewusstsein zu fehlen. Vielleicht kennst du ja ein paar Schwule mit denen du dich mal unterhalten könntest, damit du erkennst, dass es eine normale Form der sexuellen Orientierung ist, zu der man (insbes. auch vor sich selbst) stehen kann.
Quote:
Vielleicht wäre es auch besser gewesen, mir meiner Homosexualität nicht bewußt zu werden.

Warum genau? Ich glaube, man kann sich nicht auf Dauer gegen etwas auflehnen, was zu einem gehört, ohne dass man deswegen früher oder später darunter zu leiden beginnt. Geschickter wäre es, wenn man lernt, diesen Teil annehmen zu lernen.

LG
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mizzy7
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Post Sun, 29.Oct.06, 23:28      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

hallo brimborium,

ich kann mich den ausführungen von sternenmeer in jedem punkt nur anschließen. Bin selbst lesbisch, zumindest seit vielen jahren lebe ich beziehungen zu frauen. Vielleicht ändert sich das auch irgendwann. Mit diesen "sexuellen identitäten" ist es etwas vertrackt. Einerseits halte ich es für wichig, sich positiv anzuerkennen und in diesem sinne eine "identität" anzunehmen; andererseits dienen diese kategorien oft einer zuordnung, die sozial produziert ist und vielleicht der eigenen entwicklung im wege steht. Ich glaube, dass homosexuelle empfindungen sehr vielen menschen vertraut sind. Für welches leben du dich entscheidest, ist mehr als eine "triebgesteuerte" frage. Bestünden nicht teilweise berechtigte befürchtungen, gesellschaftliche nachteile durch eine diskriminierte sexuelle lebensform zu erfahren, dann könnten wir freiere und durchlässigere entscheidungen treffen. Gleichzeitig zeichnen sich aber auch deutliche tendenzen einer akzeptanz ab, wie z.B. die anerkennung gleichgeschlechtlicher lebenspartnerschaften oder das freiwillige outing öffentlicher personen zeigen.
Was den zeitpunkt deiner erfahrungen betrifft, so kann ich nur sagen, du bist doch noch sehr jung. Ich kenne niemand, der oder die nicht zuerst heterosexuelle versuche unternommen hat. Ich selbst bin erst mit mitte/ ende 20 soweit gewesen, meinen wünschen nachzugehen. Meine derzeitige freundin hat es erst nach einer ehe und mit mitte 40 getan.
Warum bist du so pessimistisch anzunehmen, dass du 90% der dich interessierenden männer nie erreichen kannst? Such doch mal kontakt zur szene. Es gibt doch auch coming-out gruppen und so, da lernt man andere kennen und setzt sich mit den fragen, die dich gerade bewegen auseinander. Du musst dich doch auch nicht festlegen. Ich habe den eindruck, dass du sehr viel alleine versuchst zu klären, auf theoretische weise. Dein problem ist aber kein theoretisches, sondern ein soziales. Da täte dir ein austausch mit anderen schwulen oder solchen, die wie du vermuten, dass sie es sind, sicher gut.

Viel erfolg und nur mut! Wink Wink
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thorn
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Post Mon, 30.Oct.06, 5:26      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

Hi Brimborium,

ich versuch mich mal an einer Antwort. Zunächst mal glaube ich, dass uns tiefgehende Erfahrungen in jedem Alter geradezu charakterumwälzend prägen können. Der aktuelle Forschungsstand sieht wohl auch so aus, dass wir insgesamt mehr durch unser Umfeld (wozu Familie und Freunde und natürlich Partner gehören) und die Erfahrungen, die wir so machen, geformt werden, als durch unsere genetische Ausrüstung (ich hab von einer 58-zu-42-Prozent-Verteilung gelesen*). Ob deine derzeitigen sexuellen Neigungen jenem Erlebnis in deiner Kindheit entsprungen sind, ist schwer zu sagen, aber ich halte es immerhin für möglich. Mir selbst ist, als ich ein paar Jahre älter war als du damals, etwas Ähnliches passiert, und es hat mich, glaube ich, sehr umfassend geprägt.
Ich bin nicht dafür, dass du deine Zweifel einfach "wegakzeptieren", sondern dass du ihnen vielmehr nachgehen solltest. Das hieße für mich, dass du versuchen solltest - u.U. mit professioneller Hilfe - dein Kindheitserlebnis aufzuarbeiten und damit abzuschließen und auch deine Einstellung zu Frauen zu überprüfen (besonders, was mögliche Ängste betrifft). Um dann noch einmal zu schauen, wie du dich in deinen sexuellen Neigungen weiterentwickelst. Ich würde aber ebenso den Blick auf dein anscheinend vorhandenes Unbehagen bzgl. deiner Homosexualität richten. Um z.B. die Frage zu klären, was zuerst da war - die Zweifel über den Ursprung oder das Unbehagen? Da würde ich mich dann den anderen hier anschließen, dass es wichtig wäre, zu vermeiden, aus dem Unbehagen oder Nicht-Wollen heraus irgendwelche Gründe konstruieren zu wollen, um doch irgendwie vor dem weglaufen zu können, womit du vielleicht schlicht nicht klarkommst. Dass du schreibst, du wärst "im gewissen Maße mit [d]ir selbst ins Reine gekommen", scheint mir sehr dafür zu sprechen, dass du da, wo du jetzt stehst, schon ganz richtig bist. Das Gefühl, mit sich in Einklang oder eben im Reinen zu sein, kann man durch nichts erzwingen oder herbeierziehen - das hat man nur dann, wenn "es" wirklich stimmt.

Übrigens glaube ich aber auch, dass viele Homosexuelle sich in der frühen Pubertät erstmal - gemäß des gängigen und von den Eltern vorgelebten Beziehungsschemas - dem anderen Geschlecht zuwenden und dann irgendwann feststellen, dass es "das" doch nicht ist für sie, dass ihnen da etwas fehlt. Diese Erfahrung hast du jedoch anscheinend gar nicht erst machen können, da du dich vielleicht bereits "vorher" aus anderen (naheliegenden und verständlichen) Gründen von Mädchen abgewandt hast. Deshalb würde ich den gedanklichen Ansatz, den du derzeit verfolgst, auch nicht einfach so verwerfen.

Dir wird hier aber wohl kaum jemand helfen können, herauszufinden, was das damalige Erlebnis wirklich in dir ausgelöst hat. Nur du allein trägst den Zugang zu deinen Gefühlen in dir, und wenn dieser versperrt ist oder du es z.B. nicht schaffst, dich frei von Erwartungen oder Hoffnungen (darauf, in jenem Erlebnis den Schlüssel für dein Problem zu finden) zu machen, dann kann professionelle Hilfe ratsam sein. Sonst wirst du dir vielleicht nur immer neue Konstruktionen bauen, in denen du dich aber nie wirklich "zu Hause" fühlen kannst. Was dir hilft, ist der Mut und der Wunsch, die Wahrheit herauszufinden, und das bedeutet, offen zu sein für alles, was da kommen mag. Und das meint eben auch, offen zu sein für die Möglichkeit, dass du homosexuell bist, und schon jetzt akzeptieren zu lernen, dass es so sein könnte.


Alles Gute!

thorn


* Die "Pointe" des Artikels war übrigens die, dass der genetische Anteil bei der Persönlichkeitsentwicklung den Anteil, den Eltern durch ihre Erziehung leisten, bei Weitem übersteigt. Selbst wenn man jenen zusammen mit den Anteilen des sonstigen Umfelds und den individuellen Erfahrungen betrachtet, ist die Differenz zu den Auswirkungen durch Veranlagung anscheinend nur gering.
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Post Mon, 30.Oct.06, 20:01      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

Danke für eure Beiträge!

sternenmeer wrote:
[...]Und ich denke nicht, dass du dir einen Gefallen tust, wenn du dich nicht von dem Gedanken lösen kannst, dass deine Homosexalität sich aufgrund negativer Erfahrungen entwickelt respektive verstärkt hat. Denn wie will man etwas als normal und selbstverständlich annehmen können, dass sich aus negativen Erfahrungen/Traumata herausgebildet hat? Damit bekommt Homosexualität in meinen Augen einen mehr oder weniger krankhaften Touch vermittelt: Denn vielleicht glaubst du ja: Wäre dies oder jenes nicht widerfahren, so wäre ich "normal" geblieben.

Danke für Deine Links. Vielleicht hast Du recht, wohlmöglich bin ich es, der meine homosexuellen Neigungen zu sehr pathalogisiert. Ich akzeptiere meine Neigungen zwar, aber bin mir einfach nicht sicher, ob die Veranlagung schon immer bei mir vorhanden war. Als ich die letzten Tage über eure Beiträge nachdachte, ist mir noch ein wichtiges Detail eingefallen: ich fand meinen damaligen Freund in der Anfangszeit nicht unbedingt sexuell attraktiv oder empfand Liebe für ihn, dies kam erst im Laufe der zwei Jahre, zum Schluß immer intensiver. Vielleicht ist Liebe personen- und nicht geschlechtsgebunden, so daß sich mit dieser zu ihm auch der Wunsch nach körperlicher Zuneigung entwickelte? Ich meine, ich könnte mir vorstellen, daß es mir möglich ist, eine Frau als Person zu lieben, nicht als Vertreter des anderen Geschlechts.
Quote:
Vielleicht weil du Ablenhnung befürchtest, wenn du deinem Vater davon erzählen würdest oder er es "herausfinden" würde?

Ja, denke schon, auch sind manchmal Schamgefühle dabei. Ich habe meinen Eltern davon bisher nichts erzählt, da ich bisher nicht die Notwendigkeit sah. Meine Eltern sind eigentlich tolerant und verständnisvoll, daher habe ich keine Angst vor ihren Reaktionen.
Quote:
So wie es sich liest, auch deine eigene Männlichkeit, da du da Angst vor gesellschaftlicher Nicht-Toleranz/Ablehnung zu haben scheinst.

Hm, Angst vor Intoleranz schon, aber meine Männlichkeit lehne ich eigentlich nicht ab, nur beispielsweise solche Stereotypen wie Aggressivität, Profilieren und Konkurrenzdenken..
Quote:
[...]Vielleicht kennst du ja ein paar Schwule mit denen du dich mal unterhalten könntest, damit du erkennst, dass es eine normale Form der sexuellen Orientierung ist, zu der man (insbes. auch vor sich selbst) stehen kann.

Ich kenne leider außerhalb des Internets niemanden in meinem Umfeld, von dem ich weiß, daß ersie homosexuell ist. Selbst wenn, wäre ich mir nicht sicher, ob ich auf ihn zutreten würde, da ich sicherlich dann auch zugeben müßte, es selber zu sein (vor dem gesellschaftlichen Aspekt).
Quote:
Warum genau? Ich glaube, man kann sich nicht auf Dauer gegen etwas auflehnen, was zu einem gehört, ohne dass man deswegen früher oder später darunter zu leiden beginnt. Geschickter wäre es, wenn man lernt, diesen Teil annehmen zu lernen.

Du hast recht, das war ein falscher Gedankengang von mir. Die Lösung des inneren Konfliktes hat deutlich Anspannung genommen und mir auch irgendwie ein Erfolgsgefühl gegeben.
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Post Mon, 30.Oct.06, 20:32      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

Entschuldigung für den Doppelpost, aber 4000 Zeichen sind zu wenig!

mizzy7 wrote:
Bin selbst lesbisch, zumindest seit vielen jahren lebe ich beziehungen zu frauen. Vielleicht ändert sich das auch irgendwann.

Ich hatte bisher den Eindruck, daß Homosexualität bei Frauen gesellschaftlicher akzeptiert ist als bei Männern. Wie sind Deine Erfahrungen in dieser Richtung?
Quote:
Mit diesen "sexuellen identitäten" ist es etwas vertrackt. Einerseits halte ich es für wichig, sich positiv anzuerkennen und in diesem sinne eine "identität" anzunehmen; andererseits dienen diese kategorien oft einer zuordnung, die sozial produziert ist und vielleicht der eigenen entwicklung im wege steht. Ich glaube, dass homosexuelle empfindungen sehr vielen menschen vertraut sind.

Ja, Schubladendenken ist wirklich ein Problem, erleichert aber vielen Menschen die Orientierung, weshalb es auch so verbreitet ist. Ich denke auch, daß viele nicht nur ausschließlich heterosexuelle Neigungen haben; ich erinnere mich an einige Aktionen und Äußerungen ehemaliger Klassenkameraden, die sich selbst als heterosexuell bezeichnen. Innerhalb der Gesellschaft spielt in meinen Augen auch der Heterosexismus eine große Rolle, vor allem das Ergebnis, daß homophobe Männer stärker von homosexuellen Bildern erregt werden als nicht-homophobe, finde ich sehr interessant.
Quote:
[...]Gleichzeitig zeichnen sich aber auch deutliche tendenzen einer akzeptanz ab, wie z.B. die anerkennung gleichgeschlechtlicher lebenspartnerschaften oder das freiwillige outing öffentlicher personen zeigen.

Stimmt, Westerwelle und Wowereit zum Beispiel. Ich begrüße diese Entwicklung auch und war letztens erstaunt, daß sogar die CSU gleichgeschlechtliche Partnerschaften in ihr neues Grundsatzprogramm aufnehmen möchte. Ich habe aber nicht das Gefühl, daß mein direktes Umfeld so tolerant ist; ich leide schon so unter Mobbing, daher wäre eine Verstärkung durch mein Outing nicht gut.
Quote:
Warum bist du so pessimistisch anzunehmen, dass du 90% der dich interessierenden männer nie erreichen kannst?

In der Schwulenszene ist das natürlich eine andere Sache, aber die meisten Jungen/Männer, die ich im normalen Alltagsleben treffe, bleiben mir wohl verwehrt, z.B. jemand, den ich fünfmal in der Woche sehe und interessant finde.
Quote:
Ich habe den eindruck, dass du sehr viel alleine versuchst zu klären, auf theoretische weise. Dein problem ist aber kein theoretisches, sondern ein soziales.

Das stimmt, ich versuche immer sehr unabhängig zu handeln und treffe meine Entscheidungen meist alleine; also deutliche Isolierungstendenzen. Oftsmals habe ich ein den Eindruck, daß ich die Gesellschaft als etwas Feindliches betrachte, welches mich potential schädigt.
Quote:
Viel erfolg und nur mut! Wink Wink

Danke! grinsend
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Post Mon, 30.Oct.06, 20:33      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

Auch hier reichten weitere 4000 Zeichen nicht! Sad

thorn wrote:
ich versuch mich mal an einer Antwort. Zunächst mal glaube ich, dass uns tiefgehende Erfahrungen in jedem Alter geradezu charakterumwälzend prägen können. Der aktuelle Forschungsstand sieht wohl auch so aus, dass wir insgesamt mehr durch unser Umfeld (wozu Familie und Freunde und natürlich Partner gehören) und die Erfahrungen, die wir so machen, geformt werden, als durch unsere genetische Ausrüstung (ich hab von einer 58-zu-42-Prozent-Verteilung gelesen*). Ob deine derzeitigen sexuellen Neigungen jenem Erlebnis in deiner Kindheit entsprungen sind, ist schwer zu sagen, aber ich halte es immerhin für möglich. Mir selbst ist, als ich ein paar Jahre älter war als du damals, etwas Ähnliches passiert, und es hat mich, glaube ich, sehr umfassend geprägt.
Ich denke auch, daß die Sozialisation eine sehr große Rolle bei der Charakterformung spielt. Aber die Frage ist auch, ob bestimmte Punkte der emotionalen Grundstimmung tatsächlich umgepolt werden können und ob Homosexualität zu dieser angeboreren gehört. Deshalb bin ich mir auch unsicher, weil ich in meinem Fall eher dazu tendiere, es als eine durch Lebenserfahrungen bedingte Entwicklung zu sehen...
Quote:
Ich bin nicht dafür, dass du deine Zweifel einfach "wegakzeptieren", sondern dass du ihnen vielmehr nachgehen solltest. Das hieße für mich, dass du versuchen solltest - u.U. mit professioneller Hilfe - dein Kindheitserlebnis aufzuarbeiten und damit abzuschließen und auch deine Einstellung zu Frauen zu überprüfen (besonders, was mögliche Ängste betrifft).

..., wobei hier wieder die Frage aufkommt, ob ich meine Neigungen als normal bedingt ansehe oder mit der Gefahr der Pathalogisierung nach möglichen Gründen suche. Mir fiel es schon immer etwas schwerer, Dinge einfach als gegeben zu akzeptieren.

Meiner Therapeutin (ich bin z.Z. wegen Sozio-, Erythro- und Agoraphobie in Behandlung) habe ich bisher noch nichts davon erzählt, da ich mir über die Ursachen damals noch wenig Gedanken gemacht hatte. Ängste ggü. Frauen habe ich nicht, ich finde es eher angenehm, ohne sexuelle Hintergrundgedanken mit ihnen reden zu können. Es ist also nicht so, daß ich wegen meiner ersten Beziehung ein schlechtes Frauenbild entwickelt hätte.
Quote:
[...]irgendwelche Gründe konstruieren zu wollen, um doch irgendwie vor dem weglaufen zu können,[...]Das Gefühl, mit sich in Einklang oder eben im Reinen zu sein, kann man durch nichts erzwingen oder herbeierziehen - das hat man nur dann, wenn "es" wirklich stimmt.

Dein Eindruck ist schon richtig, ich empfand die Lösung des inneren Konfliktes als sehr befreiend und akzeptiere meine Neigungen auch. Von mir hätte ich damit auch keine Probleme, diese kommen eher von den Reaktionen meiner Umwelt. Dazu passend finde ich auch ein Zitat aus einem der Links von "sternenmeer":
Quote:
Die psychosozialen Belastungen können dabei auch heute noch so hoch sein, dass es zum Beispiel zu Anpassungsstörungen kommt, die nicht auf eine primäre psychische Störung zurückzuführen sind, sondern eben Folge dieser spezifischen Lebenssituation. Gleichgeschlechtlich empfindende und liebende Menschen mit psychischen Störungen sind gegenüber heterosexuellen psychisch Kranken in einer ungleich schwierigeren Lage (2, 6).

Quote:
Sonst wirst du dir vielleicht nur immer neue Konstruktionen bauen, in denen du dich aber nie wirklich "zu Hause" fühlen kannst. Was dir hilft, ist der Mut und der Wunsch, die Wahrheit herauszufinden, und das bedeutet, offen zu sein für alles, was da kommen mag.

Ich sehe auch diese Gefahr. Vielleicht gehe ich zu theoretisch an die ganze Sache heran; außerdem kennt ihr doch sicher das Gefühl der Unzufriedenheit, wenn die Frage nach den Ursachen nicht beantwortet werden kann? Irgendwie habe ich auch die Befürchtung, daß das bei mir eintreten könnte.
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Post Mon, 30.Oct.06, 21:48      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

Jetzt mal ganz ehrlich, eine unerwiederte Liebe, egal in welchem Alter qualifiziert doch nicht als Trauma. das klingt wirklich patologisierend. Gerade im Teenager-Alter kommt es doch häufig vor, egal in welcher Geschlechterkonstelation.
Wenn jeder nach der ersten Ablehnung vom anderen Geschelcht homosexuell werden würde, dann gäbs keine Heterosexualität mehr. Laughing

Und was heist liebevolles Elternhaus? Wenn man es schon tiefenpsychologisch betrachtet, so kann es auch im Rahmen einer "heilen" Familie geprägt werden. Zumindest über weibliche Homosexualität sind mir da Theorien, bzw. Bindungstypen zu Mutter und Vater bekannt.

Und dann bist du ja auch noch recht jung. 18. Muss/Kann man mit 18 für den rest seines Lebens wissen wie man ist? Ich denke/hoffe nicht. Denn mit 18 fängt man doch erst an auf die Welt zuzugehen. Manche Menschen erfahren ihr zweites erstes Mal noch jenseits der 30 oder 40. Warum auch nicht?

Ich denke es ist absolut legitim zu hinterfragen warum man so und so ist. Aber es kommt halt auch drauf an wie man es hinterfragt. Man kann ja auch positive Gründe finden warum man (auch) zum gleichen Geschlecht geneigt ist.
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Post Tue, 31.Oct.06, 14:06      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

Hallo Brimborium,

Quote:
Ich akzeptiere meine Neigungen zwar, aber bin mir einfach nicht sicher, ob die Veranlagung schon immer bei mir vorhanden war.

Hm, Gegenfrage: Ist man/frau sich von Anfang sicher, dass man/frau heterosexuell ist? Ich glaube nein: Ich habe z.B. mal gelesen, dass einige Jungs in der Pubertät zunächst sexuelle Erfahrungen mit dem gleichen Geschlecht machen - und zwar insbes. auch heterosexuelle Männer. Und ehrlich gesagt: Einer meiner Exfreunde erzählte mir das ebenfalls von sich selbst, wobei er nicht schwul war/ist (, wenn sich das nicht zwischenzeitlich änderte Wink). Diese Erfahrung irritierte ihn natürlich auch, so dass er sich als "Heterosexueller" wohl auch nicht von Anfang an sicher war, ob er nun homo-, bi- oder heterosexuell ist. Wieso sollte es also einem homosexuellen Mensichen anders ergehen?

Interessant finde ich auch die Frage, warum du dir diese Frage stellst: Überspitzt formuliert vielleicht deswegen (?): Was erst im Laufe der Zeit durch irgendwelche Umstände entstanden ist, kann man vielleicht wieder ändern, in dem man die Umstände ändert, in etwa so: Wenn Homosexualiät durch Erziehungseinflüsse/schlechter Erfahrungen entstanden ist, so kann man vielleicht einen Menschen wieder umerziehen/gute Erfahrungen machen lassen? Nein, das funktioniert eben nicht die Sexualität dadurch wieder umzupolen! Und ich persönlich glaube daher nicht, dass einen "Auslöser" oder Ursachen gibt, die Homosexualität zu erklären vermögen.

Und selbst wenn es einen solche Ursache gäbe: So bleibt immer noch das Abgrenzungsproblem von der Frage, ob dir deine Homosexualität vielleicht "nur" deswegen nicht eher bewusst wurde, weil du sie verdrängt hast.

Ich weiss nun nicht, ob deutlich wurde, was ich sagen will... daher vielleicht noch ein Link, der das ganz gut auf den Punkt bringt (u.a. auch zu Fragen nach Ursachen):

Quote:
Ursachen von Homosexualität

Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, wenngleich es viele Theorien [vgl.: http://www.wien.gv.at/queerwien/theor.htm ] gibt.
Viele Lesben und Schwule lehnen diese Ursachenforschung daher prinzipiell ab. Sie befürchten, dass die Motivation für diese Ursachenforschung darin liegt, Homosexualität als unerwünschtes Phänomen auszumerzen.
Als gesichert und bewiesen gilt lediglich: Homosexualität ist keine Krankheit, Störung oder Fehlentwicklung. Homosexualität ist eine von mehreren gesunden, normalen Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen. Lesben und Schwule gab und gibt es zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften. .... Es stellt sich die Frage, ob und warum man Homosexualität überhaupt erklären will. Dahinter scheint immer wieder der Gedanke zu stehen, eine Abweichung von der Norm, ein Anderssein nicht erklären, sondern vielmehr rechtfertigen zu wollen.

Quelle: http://www.wien.gv.at/queerwien/urhomo.htm
Und ich glaube durchaus: Je "normaler" man Homosexualtät (oder etwas x-beliebig anderes) für sich annehmen kann, desto weniger wichtig wird die Frage nach den Ursachen.

Quote:
Vielleicht ist Liebe personen- und nicht geschlechtsgebunden, ... Ich meine, ich könnte mir vorstellen, daß es mir möglich ist, eine Frau als Person zu lieben

Och, ich glaube Liebe ist IMMER personenbezogen, denn man entwickelt ja nicht Gefühle für JEDEN Menschen des gleichen respektive anderen Geschlechts - wobei Homosexuelle sich eben "nur" von Menschen des gleichen Geschlechts emotional/sexuell angezogen fühlen dürften. Und wenn du meinst Männer und Frauen lieben zu können, so könnte das auch dafür sprechen, dass du bisexuell bist Wink. Höre am Besten auf dein Gefühl.

Erstmal soviel - zum Rest auf jeden Fall später noch etwas!

Liebe Grüsse


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Post Tue, 31.Oct.06, 14:39      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

Liebe Vallée Mr. Green,

Quote:
über weibliche Homosexualität sind mir da Theorien, bzw. Bindungstypen zu Mutter und Vater bekannt.

Erzähl mal Very Happy bitte, wenn du magst - interessiert mich jedenfalls. Denn bis auf diese Aussage schließe ich mich deinem schönen Beitrag voll und ganz an Wink, und zwar:

Quote:
Und was heist liebevolles Elternhaus? Wenn man es schon tiefenpsychologisch betrachtet, so kann es auch im Rahmen einer "heilen" Familie geprägt werden. Zumindest über weibliche Homosexualität sind mir da Theorien, bzw. Bindungstypen zu Mutter und Vater bekannt.

Ich glaube durchaus, dass jeder Mensch durch seine Sozialisation geprägt wird. Denn man lernt ja von anderen Menschen - im guten wie im schlechten Sinne. Oder man adaptiert (sei es bewusst oder unbewusst) manches, was man vorgelebt bekommt. Oder man wird durch negative Erfahrungen vielleicht misstrauischer und so weiter. Das Spektrum ist gross... Auch kann ich mir vorstellen, dass ein Homosexueller, der bei homosexuellen Eltern aufwächst, seine Homosexualität vielleicht besser annehmen/leben kann als jemand, der (zunächst) nie Berührungspunkte dazu hatte - Denn er/sie bekommt Homosexualität ja quasi von Anfang an als etwas "Normales" täglich vorgelebt.

Nur als Erklärung im Sinne einer Theorie über Ursachen für Homosexualität kann ich das schwer sehen. Ich beziehe mich dazu mal wieder auf einen Link:
Quote:
Theorien der zweiten Gruppe, die also soziale Faktoren als Ursache der homosexuellen Entwicklung sehen, sind heute ebenso widerlegt. Statistisch gesehen machen homosexuelle Menschen in der Kindheit die gleichen Erfahrungen wie heterosexuelle: Bestimmte Erziehungsstile, Scheidung oder Tod der Eltern und andere einschneidende Erlebnisse sind in der Kindheit homosexueller Menschen nicht öfter anzutreffen als in der Kindheit heterosexueller Menschen. Daraus folgt, dass der Erziehungsstil, eine etwaige Scheidung, der Tod eines Elternteiles oder andere Vorkommnisse in der Kindheit keinen Einfluss darauf haben, ob jemand hetero- oder homosexuell wird.

Quelle: http://www.wien.gv.at/queerwien/theor.htm

@ Brimborium

Was in meinen Augen absolut dafür spricht, dass soziale Faktoren die sexuelle Orientierung ebensowenig determinieren, ist in meinen Augen die Tatsache, dass sich die sexuelle Orientierung nicht durch "Umkehrung" von "sozialen Faktoren" ebenso umkehren lässt.

LG
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Post Tue, 31.Oct.06, 15:00      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

sternenmeer wrote:
Ich habe z.B. mal gelesen, dass einige Jungs in der Pubertät zunächst sexuelle Erfahrungen mit dem gleichen Geschlecht machen - und zwar insbes. auch heterosexuelle Männer. Und ehrlich gesagt: Einer meiner Exfreunde erzählte mir das ebenfalls von sich selbst, wobei er nicht schwul war/ist


Hi, Sternenmeer!

*gg* im Ernst, ich glaube, es sind nicht nur "einige" Jungs, deren erste sexuelle Erfahrungen in gemeinschaftlichem W*** mit anderen Jungs bestehen... oute mich da auch mal Laughing Laughing
Wenn die alle schwul würden!? Nene, keine Bange.

Zu der anderen Sache mit der "Ursachenforschung". Das ist natürlich für Betroffene eine heikle Sache wegen der Gefahr der Ausgrenzung, klar! Aber es ist insofern verständlich, die Frage aufzuwerfen, wenn man bedenkt, dass der Urzweck der Sexualität überhaupt ja mal die Arterhaltung war (mittlerweile nicht mehr ausschliesslich), der aber Homosexualität beim besten Willen nicht dienen kann.

Ich denke, dass man deswegen vom rein biologischen Standpunkt aus schon begründen kann, dass HS nicht "normal" ist, allerdings muss man deswegen noch lange nicht HS stigmatisieren und verbieten, wie es früher geschah, denn sie ist bestimmt nicht "ansteckend", wie manche Altvorderen zu befürchten schienen. Und bei der heutigen Überbevölkerung wäre HS sicher sogar als Modell für die Zukunft anzusehen... Wink
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Post Tue, 31.Oct.06, 21:26      Re: Homosexualität aus tiefenpsychologischer Sicht Reply with quoteBack to top

@ Spätzündi:
Quote:
*gg* im Ernst, ich glaube, es sind nicht nur "einige" Jungs,...

Laughing ...Ich hatte erst das Wort "viele" bebraucht..., wollte mich aber mangels Erfahrungwerte dann doch nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Aber wenn du meinst... Wink.
Quote:
Aber es ist insofern verständlich, die Frage aufzuwerfen, wenn man bedenkt, dass der Urzweck der Sexualität überhaupt ja mal die Arterhaltung war ..., der aber Homosexualität beim besten Willen nicht dienen kann.


Ich denke, dass man deswegen vom rein biologischen Standpunkt aus schon begründen kann, dass HS nicht "normal" ist, ...

Ich verstehe wie du das meinst und bin soweit absolut d'accord, denn es ist eine absolut berechtigte Frage - soweit sie eben nicht dazu dient Homosexualität (unterschwellig) zu pathologisieren. Interessant finde ich daran insbes., dass man Homosexualität trotz vieler Theorien und Ableitung statistischer Zusammenhänge noch nicht gesichert erklären kann - was in meinen Augen daran liegt, dass so ein komplexes Zusammenspiel vieler Faktoren ist oder sie einfach nicht erklärbar ist.

Aber um mal auf die Biologie zurückzukommen - und mit dem Vorab-Hinweis, dass mir durchaus bewusst ist, dass man Erkenntnisse aus dem Tierreich nicht 1:1 auf den Menschen übertragen kann Wink: Aber wäre Homosexualität aus biologischer Sicht nicht "normal", so gäbe es sie vielleicht auch im Tierreich nicht. Denn "unfunktionelle Verhaltensweisen", welche insbes. nicht zur Arterhaltung beitragen, würden früher oder später im Zuge der Evolution ausselektioniert werden. Aber das macht die Natur im Tierreich eben nicht, denn es soll 450 Tierarten geben, bei denen ebenfalls Homosexualität zu beobachten ist. Und auch diese Tatsache kann man trotz etlicher Thesen und Erklärungsversuche nicht eindeutig klären, weswegen eine jüngere These wie folgt lautet:
Quote:
Weshalb die Homosexualität im Tierreich einen festen Platz hat, obgleich sie der Fortpflanzung und der Evolution nicht zu nützen scheint, darüber gibt es zahlreiche Thesen. Der jüngste Beitrag stammt von dem Biologen Bruce Bagemihl, der in zehnjähriger Arbeit Hunderte von Studien gesammelt hat. In seinem 750-seitigen Buch Biological Exuberance (...) beschreibt er die Vielfalt der Homosexualität im Tierreich - und stellt die provokative These auf, es sei Unsinn, beim Anblick schwuler Giraffen oder lesbischer Eichhörnchen über einen rationalen Sinn zu grübeln. Vielmehr sei die Homosexualität Ausdruck der Spielfreude der Natur - mehr nicht.

Und auch wenn sich diese an sich schöne Very Happy und plausible Sichtweise nicht auf den Menschen übertragen sollte nixweiss, so bleibt in der Tat festzuhalten:
Quote:
Eine spitze Bemerkung kann sich der Biologe aber nicht verkneifen: Der Mensch sei die einzige Spezies, die Homosexualität als etwas Abnormes betrachte.

Quellen: http://www.zeit.de/archiv/1999/33/199933.schwule_viecher_.xml?page=1 sowie http://www.zeit.de/archiv/1999/33/199933.schwule_viecher_.xml?page=2

@ Brimborium:
Quote:
Als ich mit 15 auf dem Gymnasium war, entwickelte sich doch eine sehr enge Freundschaft zu einem Klassenkameraden. ... ich fand meinen damaligen Freund in der Anfangszeit nicht unbedingt sexuell attraktiv oder empfand Liebe für ihn, dies kam erst im Laufe der zwei Jahre, zum Schluß immer intensiver.

Hm, also wenn ich von mir ausgehe war es in mind. einer Beziehung auch nicht "Liebe auf den ersten Blick". Liebe entwickelt sich eben manchmal erst im Laufe der Zeit, was nicht ungewöhnlich ist. Und na ja Embarassed, mit 15 hatte ich für meinen Teil auch weniger sexuelle Interessen... mach' dir keinen Kopf deswegen! So, Fortsetzung folgt später.

LG
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