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ich_schau_hin
neu an Bord!
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D91207 Lauf M, 41
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Fri, 27.Oct.06, 17:16 Häusliche Gewalt |
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Es hat lange gedauert, ein Forum zu finden, wo über häusliche Gewalt nicht nur geschwiegen wird.
Das Thema schien für mich weit weg. Zum einen war ich mal als junger und unreifer Bursche selbst eine Art Täter. Ich hatte das Glück gleich vor einem Richter zu landen, der die passende Therapie für mich hatte: ich durfte in einem Frauenhaus meine Stunden ableisten. Da habe ich gesehn, welche Konsequenzen es hat, wenn man als Mann gewaltätig ist. Da hat sich ein 6-jähriger vor die Zimmertür der Mutter auf den Boden schlafen gelegt. Als ich ihn fragte, warum er das tue, sagte er: Wenn Papa wieder die Mama schlagen will, muss er mich erst totschlagen. Eine sehr tief gehende Erfahrung für mich. Das war vor etwa 20 Jahren.
Mittlerweile habe ich begriffen, warum ich so war und habe die Spirale der Gewalt durchbrechen können. Meine drei Töchter und meine Partnerin haben mich nie schlagend erlebt, selbst verbale Attacken gehören der Vergangenheit an.
Vom Saulus zum Paulus
Nun dachte ich, das Thema häusliche Gewalt sei in weite Ferne gerückt, bis meine Partnerin und ich vor einigen Monaten übers Internet eine Bekanntschaft mit einer allein erziehenden Mutter von drei Kindern machten. Ihr "Noch-Ehemann" sitzt für einige Jahre im Knast, weil er seine Stieftochter über fast 10 Jahre vergewaltigt hatte. Wir haben uns der Sache ein wenig angenommen und unterstützen die Familie, vor allem die heute 15 jährige Tochter, sofern sie es wollen. Es gibt nichts Schlimmeres, als Hilfe, die nicht erwünscht ist.
Immerhin, dachten wir, das das Thema häusliche Gewalt weit weit weg sei. Bis wir vor einigen Tagen den Bruder meiner Partnerin nach etlichen Jahren besuchten. Eine heile Welt, so schien es. Dann bat man uns, auf dem Heimweg die älteste Tochter mitzunehmen, um sie bei den Großeltern abzusetzen. Auf dem Weg dorthin erzählte uns die Tochter Unglaubliches: Der Bruder meiner Partenerin schlägt seit 14 Jahren sowohl Tochter wie auch Ehefrau. Mit den üblichen Folgen: Soziale Isolation, Krankenhausaufenthalte der Mutter, der Tochter. Langzeitschäden durch Frakturen, von der verletzten Psyche ganz zu schweigen.
Nun haben wir uns entschlossen zu intervenieren. Ja, wir schauen und schweigen nicht weg, wir wollen uns einmischen. Die Frage ist wie? Im Prinzip sollte der Täter von der Familie isoliert werden. Strafe muss sein, denn sonst sieht er nicht, was er falsch gemacht hat. Aber wie mit dem Opfer umgehen? Viele Opfer sind nach Berichten zu urteilen, so abhängig vom Täter, weil sie sich alleine unfähig fühlen. Viele bekommen ihr Leben nicht mehr auf die Reihe und enden im Suizid. Dort enden aber auch viele Täter. Wir wollen vermeiden, dass etwas Schreckliches passiert. Also weiss der Täter nicht, dass wir im Bilde sind. Die Tochter ist in wenigen Tagen volljährig und hat ihre Flucht gut vorbereitet. Jedoch macht mir die Mutter Sorgen. Sie ist mittlerweile derart hörig, dass sie jedes Hilfeangebot oder Kontaktaufnahme ihrem Mann freiwillig erzählt. Ihr Wille ist total gebrochen und sie funktioniert wie ferngesteuert. Für einen normalen Menschen kaum vorstellbar, was 14 Jahre Gewalt aus einem Menschen machen können.
Die Frage ist, wie sollten wir vorgehen? Gibt es hier einen Experten unter Euch?
Vielen Dank
Burnett
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_________________ Nick-Name ist Programm. Ich schau nicht weg, sondern mische mich ein. |
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Toughy
[nicht mehr wegzudenken]
1312
Dtld W, 29
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Fri, 27.Oct.06, 17:58 Re: Häusliche Gewalt |
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Hallo & Willkommen!
ich_schau_hin wrote: | Der Bruder meiner Partenerin schlägt seit 14 Jahren sowohl Tochter wie auch Ehefrau. (...) Jedoch macht mir die Mutter Sorgen. Sie ist mittlerweile derart hörig, dass sie jedes Hilfeangebot oder Kontaktaufnahme ihrem Mann freiwillig erzählt. Ihr Wille ist total gebrochen und sie funktioniert wie ferngesteuert. |
Ich fürchte, Du und Deine Partnerin macht gerade Bekanntschaft mit Hilflosigkeit, was Eure Schwägerin angeht. Sie selber muss entscheiden, was gut und richtig für sie ist; Ihr habt da wenig Einfluss drauf. Das muss man erst mal aushalten (lernen). Schaut da auf Euch, damit Ihr Euch nicht zu sehr aufreibt und am Ende ausgebrannt seid. Macht Euch bewusst, dass das Leben dieser Frau in ihren Händen liegt, dass sie die Verantwortung für sich trägt - nicht Ihr. Lasst los von der Idee, jeden retten zu müssen/wollen. Mal ganz grundsätzlich...
Quote: | Viele Opfer sind nach Berichten zu urteilen, so abhängig vom Täter, weil sie sich alleine unfähig fühlen. |
Richtig, schaut Ihr auf die Gründe, die die Frau dazu bringen, bei diesem Mann, der sie und ihre Tochter ins Krankenhaus beförderte, zu bleiben. Die hat in ihrem subjektiven Erleben gute Gründe, sonst wäre sie längst weg. Die Angst vor dem, was auf sie zukäme, wenn sie ginge, wird (derzeit noch?) größer sein als die Angst davor, wieder im Krankenhaus zu landen. Es mag für Außenstehende verrückt klingen, aber sie findet eine gewisse Form der Sicherheit zu Hause.
Quote: | Wir wollen vermeiden, dass etwas Schreckliches passiert. Also weiss der Täter nicht, dass wir im Bilde sind. |
Deine Argumentation kann ich nicht ganz nachvollziehen. Ihr habt da direkt die Lösung des Problems i.S. einer Trennung im Auge? Und diese Lösung könnte dann womöglich den Suizid des Bruders Deiner Partnerin bedeuten, weswegen Ihr ihm gegenüber schweigt?
Für meinen Geschmack sind das zu viele Eventualitäten und Spekulationen (Und auch hier wieder: Übernahme von Fremdverantwortung). Sich zu positionieren, halte ich dagegen grundsätzlich für okay. Dann muss man auch nicht so "hintenrum" und heimlich mit der Frau sprechen, sondern kann das Problem offen(er) angehen. Sonst sieht das für die Betroffenen womöglich auch zu sehr nach Intrige aus, was tendenziell eher Abwehr auslöst.
Quote: | Die Tochter ist in wenigen Tagen volljährig und hat ihre Flucht gut vorbereitet. |
Das finde ich klasse! Und vielleicht hat die Tochter in dieser Hinsicht auch eine Vorbildfunktion: Sie kann zeigen, dass man gehen und dennoch (oder erst recht) zurechtkommen kann. Kann sein, dass sich die Mutter denkt "Meine Tochter kann das, dann schaffe ich das vielleicht auch" und mutiger wird.
Viele Grüße,
Toughy
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_________________ Es ist wichtig, jemanden dort abzuholen, wo er gerade ist. Aber manchmal ist es auch wichtig, jemanden dort zu lassen, wo er gerade sein will. |
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Jadee
Forums-InsiderIn
295
Wien W, 40
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Sat, 28.Oct.06, 7:14 Re: Häusliche Gewalt |
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Hallo!
Also ich findes es gut, dass du auch etwas unternehmen willst. Dass das Mädchen von der Gewalt daheim erzählt hat, zeigt, dass sie Hilfe sucht. Ich wollte, jemand hätte mir damals geholfen, als ich mich auf der Toilette einsperrte, um Hilfe schrie und mein Mann die Türe einschlug. Es hat jeder gehört und niemand hat geholfen.
Meine Hochachtung und gebt bitte nicht auf. Den beiden MUSS geholfen werden.
Viel Glück
Jadee
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Tomart
Helferlein
63
Wien M, 39
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Tue, 31.Oct.06, 10:54 Re: Häusliche Gewalt |
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Das Wichtigste ist, die Spirale des Schweigens zu unterbrechen. D.h. die Tatsache der Gewaltausübung muss offengelegt werden.
Ich persönlich würde vorschlagen eine Art Familienrat einzuberufen (also mit Leuten, die dem Gewalttäter nahestehen, evtl. auch Freunde) und ihn auf eine ruhige und Sachliche Weise mit seinem Verhalten zu konfrontieren.
Es wird für ihn ein ziemlicher Schock. Wenn er aber seine Familie liebt, danach die richtigen Schritte einleitet (Anti-Gewalt-Training, Therapie), dann wird er euch in 1-2 Jahren dafür dankbar sein.
Ich bin nicht unbedingt der Meinung, dass der Ruf nach Strafe, der erste Impuls sein muss. Das Wichtigste ist jetzt einmal, das gewalttätige Verhalten zu beenden.
Falls er Uneinsichtig bleibt, ist immernoch genug Zeit für Strafe.
LG, Tomart
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syvoh
Helferlein
83
Deutschland W, 37
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Tue, 31.Oct.06, 12:21 Re: Häusliche Gewalt |
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Hallo!
Wie wäre es, erst einmal in der Gegend, in der ihr wohnt, euch nach einer entsprechenden Beratungsstelle umschauen, um dort Informationen von Experten zu bekommen, die sich mit solchen Fällen auskennen?
Ich denke da z.B. an eine Frauenberatungsstelle. Vielleicht wäre es auch eine Möglichkeit, sich mit einem Frauenhaus telefonisch in Verbindung zu setzen. Die Mitarbeiter dort helfen bestimmt weiter und dürften über genügend Erfahrung verfügen.
Ich denke, solche Fälle, in denen häusliche Gewalt an der Tagesordnung ist und von der gesamten Familie nach aussen hin vertuscht wird, sollte man niemals überstürzt angehen, es sei denn, es läge nun ein akute Notsituation vor, in der eingegriffen werden müsste. Alles andere wäre ja auch unterlassene Hilfeleistung.
Ich bin der Ansicht, dass ihr euch erst ganz genau informieren solltet, bevor ihr etwas unternehmt.
Ich denke aber auch, dass dafür dieses Forum allein nicht ausreicht.
Daher mein Tip, sich an entsprechende Beratungsstellen zu wenden.
Viel Glück!
Gruss,
syvoh
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ich_schau_hin
neu an Bord!
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D91207 Lauf M, 41
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Tue, 31.Oct.06, 12:43 Re: Häusliche Gewalt |
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Hallo Leute,
erst einmal Danke für eure Threads. Ich hatte bereits eine längere Antwort geschrieben, diese ist aber als fatal error 404 nicht durchgegangen (Hinweis an die Administratoren).
Nun kam es erst mal, wie es kommen musste: Das Mädchen, das uns ansprach und um Hilfe bat, hat einen Rückzieher gemacht. Sie wurde aggressiv und drohte mit Kontaktabbruch, wenn wir uns weiter einmischen würden. Die totale Kontrolle des Vaters funktioniert also.
Ich gehe davon aus, dass er von der Sache Wind bekommen hat, ebenso die Mutter (wir nehmen an, sie hat es ihm selbst erzählt, was letzlich im Ergebnis unerheblich ist).
Wir haben mit dem zuständigen Jugendamt Kontakt aufgenommen. Eine typische abspeisende Wischi-Waschi-Antwort: Ja da war mal vor längerer Zeit irgendwas, aber sie kenne nicht die Aktenlage.
Zum allgemeinen Verständnis: Körperverletzung ist ein Officialdelikt. Das bedeutet, selbst wenn das Opfer keine Strafanzeige stellt, ist der Staat und seine Vertreter zur Strafverfolgung verpflichtet. Ansonsten gilt das Prinzip der Beihilfe, der Strafverreitelung und/oder -begünstigung mit dem Zusatz "im Amt".
Hier hätte das Jugendamt eingreifen müssen: Strafverfolgung als Mittel zur Beendigung von häuslicher Gewalt. Gewalt ist nicht nur Prügel, sondern auch Kontrolle. Wieder einmal ein Amt, das offensichtlich versagt hat. Ich werde jetzt bei der Staatsanwaltschaft Recherchen anstellen und notfalls eine Fauchaufsichtsbeschwerde beim Jugendamt, sowie Strafanzeige wegen Begünstigung einer Straftat im Amt stellen. Manche Ämter müssen zu ihrem Glück gezwungen werden.
Ich bin auch dafür, dass für Strafe noch Zeit ist. Nur der totale Druck und die totale Kontrolle, die derzeit ausgeübt wird, zerbricht sowohl Kind als auch den Rest der Familie. Ihm ist sehr wohl die Unrichtikkeit seiner Taten bewußt, sonst würde er nicht soviel Energie für die Vertuschung aufbringen. Bleibt nur die grobe Kelle. Da Jugendamt versagt, bekommen die für ihre Unfähigkeit gleich eine mit. Damit die aufwachen, bevor mal wieder ein Kind tot aus der Mülltonne gezogen wird.
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_________________ Nick-Name ist Programm. Ich schau nicht weg, sondern mische mich ein. |
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