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Hiob
Forums-Gruftie
607
Berge M, 32
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Tue, 10.Oct.06, 7:53 Zitate-Liebelei |
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Hallo Forum.
Mich interessiert, warum die Menschen heute in ihrem Bestreben freier zu sein, sich und die Welt zu erkennen und sich von altem und belastendem zu lösen, trotzdem so sehr begeistert von Zitaten bekannter Denker und Literaten, Religionsgrößen und Politiker, ja sogar von Sportlern oder Journalisten sind.
Mein Empfinden ist, je mehr ich mich mit alledem beschäftige, desto weniger kann ich einzelne Personen verehren, desto weniger kann ich bestimmte Richtungen für „einzig richtig“ anerkennen und desto kritischer, vielleicht auch respektloser, sehe ich Bewegungen und Gruppen. Warum ersetzen die Menschen alte Dogmen durch neue? Ist darin sone Art selbstgewählte Unfreiheit zu verstehen? Wofür? Warum setze ich den Weidezaun 3 Meter nach außen, warum lasse ich ihn nicht ganz weg oder hüpfe drüber?
Liebe Grüße
Hiob
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thorn
Forums-Gruftie
944
BRD W, 24
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Tue, 10.Oct.06, 8:37 Re: Zitate-Liebelei |
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Hi Hiob,
ich lass mir von einer Internetseite ein "tägliches Zitat" zukommen, weil ich wohl einer der "Begeisterten" bin. Das von heute geht übrigens so:
Quote: | Religion wird ihre alte Macht nicht wiedergewinnen, bis sie Änderungen
ebenso ins Gesicht sehen kann wie die Wissenschaft.
Alfred North Whitehead |
Ich muss sagen, dass mich die Verfasser der Zitate meist eher wenig interessieren. Mir geht's da mehr um die formulierten Gedanken, die, selbst wenn sie schon uralt und tausendfach wiedergekäut sind, mich in eine neue Richtung lenken, mir neue gedankliche Impulse geben können. Ich mag außerdem, wie bei Aphorismen, die pointierte und prägnante Art, mit der oft richtige und wichtige Dinge gesagt werden. Daran kann ich mich als sprachlich und gedanklich aktiver sowie humorvoller Mensch gleichermaßen erfreuen. Ist das jetzt oberflächlich?
Viele Grüße,
thorn
P.S.: Warum liest der Mensch Bücher, statt ausschließlich selbst welche zu schreiben?
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UncleK
Forums-Gruftie
796
Deutschland M, 35
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Tue, 10.Oct.06, 15:09 Re: Zitate-Liebelei |
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Hallo Hiob,
Hiob wrote: |
[...] sich von altem und belastendem zu lösen [...]
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Zitate würde ich per se nicht als belastend empfinden - es sei denn solche tollen Teile wie "Lehrjahre sind keine Herrenjahre! ". Ganz im Gegenteil, in einer schweren Phase bekam ich einmal eine Postkarte mit dem Spruch "Wege entstehen dadurch, daß man sie geht" (Franz Kafka), und gerade dieser Spruch, zur rechten Zeit übermittelt, hatte für mich etwas Befreiendes. Jemand hatte lieb an mich und meine Situation gedacht.
In Zitaten finden sich oft sehr denkenswerte Aussagen, bisweilen köstliche Formulierungen. Auf Weisheit und Lebenshilfe aus sowie Denkspaß und Genuß an Zitaten möchte ich keinesfalls verzichten.
Hiob wrote: |
Mein Empfinden ist, je mehr ich mich mit alledem beschäftige, desto weniger kann ich einzelne Personen verehren, desto weniger kann ich bestimmte Richtungen für „einzig richtig“ anerkennen und desto kritischer, vielleicht auch respektloser, sehe ich Bewegungen und Gruppen.
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Volle Zustimmung! Um nicht zu sagen: zitierfähig. Alles muß kritisch hinterfragt und überprüft werden, auch jemand wie Ghandi. "Prüft aber alles, und das Gute behaltet." (Paulus, 1. Thess 5, 21). Schon wieder'n Zitat.
Ich teile Deine Auffassung, was Personen, Bewegungen und Gruppen angeht. Früher war ich auch diesbezüglich enthusiastisch. Und dann schaute ich genauer hin - und wünschte mir oft danach, nicht genauer hingeschaut zu haben ... allein ich konnte und kann nicht anders. Es ist essentiell, ent-täuscht zu werden, auch wenn's wehtut.
Nebenbei: Wüßte ich nicht, daß obiger Satz von Dir kommt, so hätte ich glatt an Hermann Hesse gedacht.
Hiob wrote: |
Warum ersetzen die Menschen alte Dogmen durch neue? Ist darin sone Art selbstgewählte Unfreiheit zu verstehen?
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Viele Menschen haben Angst vor Freiheit, genauer: totaler Freiheit, Losgelöstheit von allem, Haltlosigkeit. Sie bauen an ihrem Lebensgerüst auch mit Dogmen, die häufig - und das ist gerade das Beklagenswerte - unbesehen übernommen werden, manchmal vielleicht nur, weil sie so toll und einfach klingen wie "Tschakkaaa!". Alte Dogmen werden eiligst durch neue ausgetauscht, um die Lücke im Gerüst zu schließen, es könnte ja zusammenkrachen. Vielleicht wär's oft fruchtbarer, es einfach mal richtig krachen zu lassen? Bringt's einen gleich um? (Hmmm ... erinnert mich irgendwie an "Alexis Sorbas". Die von ihm gebaute Seilbahn bricht zusammen, aber statt sich zu grämen, erinnert er sich plötzlich, daß er noch was auf dem Feuer hat und ruft "Der Hammel wird verkohlen!" Danach wird erst einmal fürstlich gespeist und gelacht. Lebenskunst?)
Grüße
UncleK,
der jetzt aus Zitate-Liebelei - und völlig gratis! - einen seiner persönlichen Lieblingssprüche bringt:
"Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwöre ich dich: wirf den Helden in deiner Seele nicht weg! Halte heilig deine höchste Hoffnung! - Also sprach Zarathustra." (F. Nietzsche)
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Therese28
Forums-InsiderIn
331
Niederösterreich W, 28
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Tue, 10.Oct.06, 21:04 Re: Zitate-Liebelei |
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Nun, du könntest ebenso fragen, warum man Fremdwörter in seinen Ausdruck einflicht oder weshalb man verschachtelte Sätze formt, anstatt sich mit zwei bis drei lapidaren Sätzchen zu begnügen.
Ganz einfach: Zitate, Aussprüche oder Redewendung sind eine Ausschmückung -ja, eine Bereicherung unserer Alltagssprache.
Es ist eine Frage des Stils, für einige auch der Ästhetik, welchen Umgang man mit seiner Sprache pflegt.
Endlich bedient man sich auch eines Gedankengutes, das eigenständig zu formulieren, kaum einer im Stande ist. Anders herum betrachtet, ist es auch wenig sinnvoll, das Rad stets neu zu erfinden. Zitate dokumentieren auch z.T. Weltgeschichte.
Hiob wrote: | ... je mehr ich mich mit alledem beschäftige, desto weniger kann ich einzelne Personen verehren, desto weniger kann ich bestimmte Richtungen für „einzig richtig“ anerkennen ... | oft solls opportun sein zwischen den Zeilen zu lesen.
thorn wrote: | ich lass mir von einer Internetseite ein "tägliches Zitat" zukommen | was es heutzutage schon alles gibt...
vllt. magst du hier, um ein weiteres Scherflein beizutragen, für die Allgemeinheit einen Link legen.
gruß
menis
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thorn
Forums-Gruftie
944
BRD W, 24
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Tue, 10.Oct.06, 21:36 Re: Zitate-Liebelei |
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maechtlinger62
Helferlein
103
Arnsberg/Sauerland M, 44
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Tue, 10.Oct.06, 22:22 Re: Zitate-Liebelei |
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Hallo zusammen...
... ein interessantes Thema.
Ich bin ein absoluter Aphorismen-Liebhaber, ich "lebe" sozusagen in vielen Momenten mit den Weisheiten, Erkenntnissen, Weitsichten weiser Menschen... Weil sie mir in vielen Momenten helfen, "zu sehen". Denn in der Kürze der Worte liegen oft so viel Tiefe drin, die ich mir dann einfach gönne - sie tun gut.
Ich verspüre darin keine selbstgewählte Unfreiheit - im Gegenteil! Ich nehme mir die Freiheit, fremdes Gedankengut zu benutzen, um Erkenntnisse und Einsichten zu gewinnen. Es sind Bereicherungen meines Lebens. Warum soll das eine Unfreiheit sein? Oder ich hab's falsch verstanden...
Alles wird gut
Frank
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_________________ "Wer von der Hoffnung lebt, tanzt ohne Musik" |
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heis phronesis
Forums-InsiderIn
248
Graz M, 30
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Wed, 11.Oct.06, 9:19 Re: Zitate-Liebelei |
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zitate sind keine dogmen; ich würde sagen, sie sind spitzfindige gedanken.
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_________________ Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. |
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Hiob
Forums-Gruftie
607
Berge M, 32
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Wed, 11.Oct.06, 16:33 Re: Zitate-Liebelei |
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Danke euch erstmal.
Hmmm. Verwendet man die Worte anderer nicht weil man sie mag und für wahr hält, weil sie „stimmig klingen“ oder aus einem Hintergrund kommen, dem man blind vertraut? Verehrt? In wie weit behindert euch das oder erleichtert es euch, eigenes zu entdecken. Eigene Zusammenhänge zu erkennen und eure Erfahrungen zu machen.
Währ nicht gerade das, was ich selbst entdecke und empfinde wahr, egal wattn großer Blödsinn das ist? Ab wann ist das, was andere sagen wahr?
Es klingt sehr spitzfindig, glaub ich, das ist auch Absicht.
In wieweit „schmückt“ man SICH mit den Gedanken anderer und großen Namen?
Weil du, lieber OnkelK, hier Nietzsche zitierst. Du kennst von ihm bestimmt auch den Satz (nur sinngemäß, weil ich es eh immer vergesse) mit dem „mich zu finden war schon recht schwierig, aber mich zu vergessen wird wirklich schwer werden“. *frech kuck *
Hiob
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UncleK
Forums-Gruftie
796
Deutschland M, 35
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Wed, 11.Oct.06, 18:31 Re: Zitate-Liebelei |
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Hallo Hiob!
Hiob wrote: |
Hmmm. Verwendet man die Worte anderer nicht weil man sie mag und für wahr hält, weil sie „stimmig klingen“ oder aus einem Hintergrund kommen, dem man blind vertraut? Verehrt? In wie weit behindert euch das oder erleichtert es euch, eigenes zu entdecken. Eigene Zusammenhänge zu erkennen und eure Erfahrungen zu machen.
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Man kann sich davon tatsächlich beeinflussen lassen. Machten und machen sicher auch viele, ich früher auch. Aber wenn jemand erst einmal begonnen hat, selbstständig zu denken, wenn er/sie zu einem kritischen, selbstbewußten Geist heranreift, wird er/sie immer unabhängiger.
Ich habe mal Schopenhauer gelesen wie einen Philosophengott, ließ mich also beeinflussen: großer Name, kompliziertes Werk, altes Deutsch - oho, das muß was taugen! Er hat sein eigenes philosophisches System, seine eigene Sicht auf die Welt, und hat versucht, alles schön logisch aufzubauen. Dann ist mir eines Tages aufgefallen, daß Schopenhauer ja so etwas wie die Quantenphysik oder die moderne Psychologie gar nicht kannte - und allein diese beiden dürften seiner etwas zu einfachen Weltsicht ganz schön nagen. Der große Name Schopenhauers hat mich also eine Zeitlang behindert. Bis ich meine eigenen Gedanken anstellte.
Hiob wrote: |
Währ nicht gerade das, was ich selbst entdecke und empfinde wahr, egal wattn großer Blödsinn das ist?
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Solange Dich niemand widerlegt und Du die Widerlegung akzeptierst, könnte man das so sagen.
Hiob wrote: |
Ab wann ist das, was andere sagen wahr?
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Ab dem Zeitpunkt, ab dem Du es für Dich als wahr akzeptierst. Hoffentlich nach gehöriger Prüfung.
Hiob wrote: |
In wieweit „schmückt“ man sich mit den Gedanken anderer und großen Namen?
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Das liegt im Auge des Betrachters. Wenn Du gegenüber einem Neidhammel Bildungsprunk zeigst, wird er Dich nicht sympathisch finden.
Hiob wrote: |
Weil du, lieber OnkelK, hier Nietzsche zitierst. Du kennst von ihm bestimmt auch den Satz (nur sinngemäß, weil ich es eh immer vergesse) mit dem „mich zu finden war schon recht schwierig, aber mich zu vergessen wird wirklich schwer werden“. *frech kuck *
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Ich kannte den Ausspruch noch nicht, habe ihn aber soeben nach reiflicher Überlegung aufgrund meines Erfahrungswissens als wahr akzeptiert.
Cheers!
UncleK
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