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Ellen
Helferlein
100
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Sun, 29.Jun.03, 13:03 Leben im Leeren |
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Hallo ihr alle,
ich lese schon eine Weile immer mal rein ins Forum (tolle Seite hier!) und möchte mich heute mal wagen, zu Wort zu melden. Hoffe, ich krieg überhaupt diesen Text hier zustande, ich vergess nämlich grad schon wieder, was ich eigentlich mitteilen will.
Kennt ihr das Gefühl, nicht in Zusammenhängen zu leben? Ich komme mir vor, als wäre mein bisheriges Leben eine Kreidelinie hinter mir, und als wäre ich fortwährend damit beschäftigt, die Linie wegzuwischen. Ich erkenne keinen Sinn in meinem Leben, keinen Weg. Mein Leben erscheint mir leer, arm, bezugslos. Ich vergesse viel (Ereignisse, Erkenntnisse) und messe meinem Leben anscheinend keine wesentliche Bedeutung zu.
Alles überschwemmt mich und ich muß mich ständig schützen. Ich fühle mich, als würde ich ohne Haut rumlaufen oder als wär ich lange bettlägerig gewesen und würde nun seit Wochen das erste Mal wieder auf die Straße gehen.
War ich gerade eben noch voller Zuneigung für jemanden und hab mich nahe gefühlt, hab ich im nächsten Moment das Gefühl, der andere will mir schaden, mich manipulieren, klein machen, gibt mir unterschwellig Botschaften. Sofort dominiert das Gefühl, ich müßte mich grundsätzlich abwenden vom anderen. Nun, ich weiß, andere sind tatsächlich auch keine Engel, aber mir fehlt immer schon der Maßstab, die Selbstgewissheit, die Fähigkeit, mich im richtigen Maß davon distanzieren zu können, ohne gleich die ganze Person abschreiben zu wollen.
War eine Begegnung sagen wir mal zu 95 % positiv, sind das, was hinterher bei mir hängenbleibt, garantiert die 5% negatives und ich stelle womöglich gleich die ganze Person in Frage. Wobei es schon ein lichter Moment ist, wenn ich die 95% positiv so überhaupt sehe.
Ich spüre oft in mir eine ungeheure Wut, Gereiztheit und Aggressivität und habe manchmal Angst, daß ich einfach mal ausklinke und die Kontrolle verliere. Nach außen hin wirke ich kühl, abweisend, robust und seit jeher "komisch". Auf jeden Fall kontrolliert, und ich funktioniere ja auch gut.
Ich mache mir unheimlich schnell Stress, auch bei kleinen Dingen. Ich traue mir sehr wenig zu, bin schnell entmutigt, fange vieles an und gebe schnell wieder auf, weil ich schnell das Gefühl hab zu scheitern.
Besonders an Wochenenden, an denen ich nichts vorhabe, geht’s oft ab in den Keller. Selbst wenn ich morgens noch ganz zuversichtlich bin und denke, der Tag liegt vor mir und ich könnte dies und jenes machen, kommt irgendwann im Lauf des Vormittags dieses niederdrückende Gefühl der Freudlosigkeit und Leere, Angst, Erschöpfung und Selbsthass, die Wahrnehmung, überall auf Ablehnung zu stoßen (weswegen ich kaum rausgehen mag). Und diese ewigen wiederkehrenden Monologe und Gedanken. Ich kann mich dann auf nix länger konzentrieren, sondern fange allen möglichen anderen Kram an, den ich mechanisch ausführe und der mir wie eine Betäubung oder Ablenkung vorkommen, nur um nicht zur Ruhe zu kommen. Denn wenn ich zur Ruhe komme, bin ich leer und wie erstarrt, oder heule bestenfalls. Und ich kann den Schalter dann einfach nicht umlegen. Höchstens darauf hoffen, daß es sich von einer Minute auf die andere von selber wieder ändert.
Eigentlich weiß ich gar nicht, wer und wie ich bin. Was ich gestern noch gedacht hab, kommt mir heute wie Quatsch vor. Ich bin süchtig nach Feedback, aber wenn ichs dann habe, versickert es unnütz.
Obwohl das Zusammensein mit anderen für mich fast immer auch anstrengend ist (wg. der negativen Wahrnehmung), ist es oft der unmittelbare Kontakt mit einem Gegenüber, das mich über Wasser hält, so als könnte ich mich nur im Kontakt mit jemand anderem selbst vergewissern, wer oder was ich überhaupt bin.
Ich würde mich nicht wundern, wenn mir niemand antwortet, aber die kleine Hoffnung ist doch da, daß irgendwer sich angesprochen fühlt, denn das schlimmste ist für mich das Grundgefühl, daß ich irgendwie aus dem Rest der Menschheit "rausfalle" wie ein Alien, daß alle, egal wie verschroben und merkwürdig sie sind, letztlich aber doch Teil der Menschheit sind. Und sich darüber einig sind, daß ICH es NICHT bin.
Ein Gruß von Ferne,
Ellen
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Time
[nicht mehr wegzudenken]
2687
Deutschland W, 70
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herzlich willkommen ellen,
das was du beschreibst kennen hier sehr viele zur genüge und nennt sich ambivalenz-intoleranz.
die unmöglichkeit beide seiten gleichwertig nebeneinander zu sehen, sondern das gefühl zu haben immer "eindeutigkeit" herstellen zu müssen und das auch noch sehr wechselnd.
auch deine gefühls-oder stimmungsschwankungen sind hier einigen bekannt. ein alien bist du also keinesfalls
na jau und leeregefühle sind ja sehr depressionsähnlich und depression ist ein "nichtgefühl" das sehr quälend sein kann.
warst oder bist du in behandlung?
alles liebe
Time
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Ellen
Helferlein
100
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Hallo Time, danke für deine Antwort.
"Ambivalenz-Intoleranz" klingt irgendwie passend. Ich muß sagen, ich leide schon ziemlich darunter. Vor allem bin ich mir selber nie richtig klar darüber, ob ich jetzt "richtig" fühle (wobei ich immer sehr viel fühle), oder ob ich nicht manchmal ein bißchen paranoid bin. Mal lieben mich alle und mal sind alle gegen mich? Kann doch nicht sein.
Ja, ich war und bin in Therapie. 3 Therapien hab ich im Lauf der letzten 10 Jahre abgebrochen, jetzt hab ich aber wieder eine angefangen. Die Auslöser für die Therapien waren auch immer ganz unterschiedlich, mal Soziophobie/Unsicherheit/Zukunftsangst, mal absolute Angst, auf die Straße zu gehen, und jetzt in erster Linie wg. Depression. Irgendwie weiß ich immer gar nicht so genau, was eigentlich mein Kernproblem ist. Naja, immer wieder versuchen ...
Schönen Gruß,
Ellen
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