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Anne1997
Helferlein
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Post Wed, 09.Aug.06, 19:44      Die Therapie dauert so lange oder: Geduld haben Reply with quoteBack to top

Hallo,

schreibe einfach mal hier relativ emotional rein. Komme gerade von der letzten Therapiestunde (Nr. 51!!!) und bin froh und wütend zugleich:

1a. Froh darüber: mein Therapeut versteht mich, er ist ganz für mich da, er gibt mir Anregungen, er will meine Gefühle (die ich oft nicht einmal im Ansatz benennen kann - bzw. ich sage: "ich fühle gar nix"; bei solchen Aussagen von mir komme ich mir schon wie der letzte "Volltrottel" vor, immerhin hab ich ja mal x - Jahre studiert (vor langer Zeit). Laughing und arbeite auch noch höchst erfolgreich in einem "helfenden, beratenden Beruf". Na prima.) genau wahrnehmen bzw. mich wahrnehmen , spüren lassen. Ich kann gut "reden".

1b. Mir fällt es immer noch schwer angesichts z.B. des Nahostkonflikts oder den Schicksalen von Arbeitslosen, Alleinerziehenden mit kaum Geld etc. meine Bedürfnisse ernst zu nehmen. Weiß darum, versuche sie ernst zu nehmen, muss mir das aber immer wieder klar machen, dass auch diese wichtig sind.

2. Wütend und zornig darüber: Ich leide immer noch unter der Beziehung meiner Eltern (mit gerade mal 40 Jahren und schon 20-jähriger örtlicher Distanz....!): Vater (Alkoholprobleme schon immer; ich habe als Kind jahrelang auf meinen Vater gewartet, um zu sehen, dass er sicher heimkommt; andere Frauenbeziehungen); Mutter: verachtet ihn teilweise dafür, sucht sich Traummänner, Traumberufe, wertet meinen Beruf ab, da mein Vater im selben Beruf arbeitete; ich kann dies benennen und erklären, mich distanzieren und leide trotzdem. Erschwerend kam der Tod meiner Schwester durch Krebs hinzu (vor paar Jahren). Beide Elternteile sind auf ihre Art sehr liebenswürdig und hochkompetent. Manche in meiner Umgebung verstehen nicht, dass ich Probleme mit meinen Eltern habe, da sie doch alle so nett sind. Klar, das sind sie auch. Wenn beide zusammen sind, fühle ich mich aber gestresst.

3. Ich selbst mach mir das Leben schwer, dass ich mir immer noch vorwerfe, mein Zweitstudium nicht beendet zuhaben, da ich mit dem Erststudium eine Stelle gefunden habe.

Ich werfe mir auch vor erst mit 38 Jahren so kaputt gewesen zu sein, dass ich auf die Idee einer Therapie gekommen bin (nach dem Motto "Verpasste Lebenschancen"). Weiß, dass das nicht so ist, aber dennoch.

4. Ich fühle mich einsam, richtig vernachlässigt (ich habe wirklich gute Freunde und dennoch: dieses Gefühl) wie so ein kleiner Hund, der nach Zuwendung hechelt.

Bin ein Wissensfanatiker (habe die gesamte Psychotherapieliteratur gelesen, na ja, nicht ganz, aber fast.... Cool) . Bin froh darüber, dass sich mein Horizont erweitert hat, aber dennoch....

5. Ich bin froh, eine Therapie vor 1 1/2 Jahren begonnen zu haben, fühle mich aber halt immer noch von Zeit wie ein Kleinstkind, dessen Grundbedürfnisse (einfach so umarmt und gehalten werden) nicht befriedigt worden sind und komme mir vor wie der größte "Jammerlappen" (der ich nicht bin, das weiß ich).
Ich heule nicht dem nach, dass ich noch nicht verheiratet bin und momentan keinen Partner habe, ich sehe die Krise klar auch als Chance, aber dennoch....
Ach "Mann", bin grad "fertig" und freue mich schon fast wieder auf die nächste Stunde nächste Woche - ein quasi Paradoxon. Wann ist man da durch, ich bin doch nicht traumatisiert, oder doch?

Vielleicht hat ja einer von euch einen Rat für mich, bin gerade etwas gefrustet - obgleich ich nicht aufgeben werde. Krise = Chance.

Liebe Grüße, Anne Cool


Last edited by Anne1997 on Wed, 09.Aug.06, 20:42; edited 1 time in total
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Post Wed, 09.Aug.06, 20:11      Re: Die Therapie dauert so lange oder: Geduld haben Reply with quoteBack to top

Hallo Anne,

die 51. Stunde? D. h. Du zählst mit. Bist eher ein Kofpmensch?!?!

Du bist kein Volltrottel, wenn Du nichts fühlst. Das sind Blockaden. Ein echter Volltrottel würde solche Situationen nicht einmal erkennen. Aber Du tust es. Du bist kein Trottel.

In einem beratenden Beruf zu arbeiten schließt nicht aus, dass man selbst mal Hilfe braucht.

Quote:
1b. Mir fällt es immer noch schwer angesichts z.B. des Nahostkonflikts oder den Schicksalen von Arbeitslosen, Alleinerziehnden mit kaum Geld etc. meine Bedürfnisse ernst zu nehmen. Weiß darum, versuche sie ernst zu nehmen, muss mir das aber immer wieder klar machen, dass auch diese wichtig sind.


Vermindertes Selbstwertgefühl. Aber das weißt Du selbst.

Die Beziehung zu den Eltern kann lange ein Thema sein. Aber das Du das erkannt hast ist der wesentlliche Schritt. Da spielt Dein Alter keine Rolle.

Quote:
ich kann dies benennen und erklären, mich distanzieren und leide trotzdem.


Ja, der Verstand ist eine Sache, das Gefühl eine andere.

Du solltest Dir wegen des Zweitstudiums keine Vorwürfe machen. Ich selbst beginne in ein paar Tagen eine Ausbildung (nebenberuflich) und ich mache mir keinerlei Gedanken darüver, ob das klappt oder nicht. Das wäre vor einigen Monaten noch undenkbar gewesen. Da hätte ich mich verrückt gemacht. Aber heute? Nein.

Quote:
Ich werfe mir auch vor erst mit 38 Jahren so kaputt gewesen zu sein, dass ich auf die Idee einer Therapie gekommen bin (nach dem Motto "Verpasste Lebenschancen"). Weiß, dass das nicht so ist, aber dennoch.


Ich habe mit 41 Jahren eine Therapie begonnen und dachte ähnlich. Aber es ist nicht so. Méin eigentliches Leben beginnt jetzt. Das Leben bis heute musste so laufen, um mich an diesen Punkt zu bringen, das jetzt hier so zu schreiben.

Quote:
4. Ich fühle mich einsam, richtig vernachlässigt (ich habe wirklich gute Freunde und dennoch: dieses Gefühl) wie so ein kleiner Hund, der nach Zuwendung hechelt.


Ja, wie ein kleines Kind, das nie genug bekommt, was verständlich ist, weil es früher so war.

Ich bin jetzt 1 3/4 Jahre in Therapie und beginne jetzt so langsam zu begreifen, was Sache ist. Und ich halte mich nicht für blöd. Jeder braucht seine Zeit. Und ja......gehalten werden, das ist es, was wir brauchen.

Quote:
Ach "Mann", bin grad "fertig" und freue mich schon fast wieder auf die nächste Stunde nächste Woche - ein quasi Paradoxon.


Nein, das ist nicht paradox. Sei froh, dass Du Dich freust. Mir ging es oft schlecht und ich freute mich nicht, obwohl die Therapei gut läuft.

Klammere Dich nicht an dem Begriff "traumatisiert". Prüfe jeweils, wie Du Dich fühlst. Du bist durch, wenn Du durch bist.

Ich fühle mich gerade Dir sehr verbunden.

Liebe Grüße

Whoopie
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at_lantis
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Post Thu, 10.Aug.06, 19:46      Re: Die Therapie dauert so lange oder: Geduld haben Reply with quoteBack to top

Hallo Anne,

du hast mir vor einiger Zeit auf meine panische Frage "Bilde ich mir nur ein, dass ich Therapie brauche?" so wunderbar geantwortet und ich musste grinsen, weil ich ständig dachte "hm, kenne ich!" So auch hier.

Es ist doch toll, dass dein Therapeut dich versteht und nicht drängelt und dass es auch kein Limit von der Kasse gibt. Dein Therapeut zählt bestimmt nicht die Stunden, oder? Was du gegen die Ungeduld machen kannst, weiß ich auch nicht. Die kenne ich auch, zähle auch die Stunden mit (nächste Woche Nr. 52!) Ich glaube am besten ist so eine Haltung wie: Es ist Samstag und du gehst irgendwann schlafen und weißt, dass du irgendwann am Sonntag aufstehen wirst, es ist aber völlig egal wann. Irgendwann wachst du auch, schläfst noch ein bisschen weiter, die Sonne scheint oder es riecht nach Kaffee und du hast Lust aufzustehen. So stelle ich mir das gerade vor. Dass ich irgendwann ganz einfach erkenne, dass jetzt genug ist. Ohne die Gedanken "Ich nerve, erzähle immer das Gleiche, der Therapeut langweilt sich, etc."

Weißt du was richtig übel wäre? Wenn du in deinem Beruf nicht erfolgreich wärst und wenn du anderen nicht helfen könntest. Und deine Bedürfnisse kennst du doch auch! Ist dir vielleicht unangenehm sie auszusprechen und dir darüber klar zu werden. Aber du kennst sie.

Quote:
Manche in meiner Umgebung verstehen nicht, dass ich Probleme mit meinen Eltern habe, da sie doch alle so nett sind. Klar, das sind sie auch.


auch ist das richtige Wort. Sie sind auch nett, aber eben auch ein dicker Brocken für dich. Hat das "vernachlässigt fühlen" denn etwas damit zu tun, dass um etwas trauerst, was du von deinen Eltern nicht bekommen hast? Und jetzt als Erwachsene so wie du es die gewünscht hättest auch nicht mehr kriegen wirst? Hm, ich verliere mich in Spekulationen - das ist nicht gut.

Quote:
Ich werfe mir auch vor erst mit 38 Jahren so kaputt gewesen zu sein, dass ich auf die Idee einer Therapie gekommen bin (nach dem Motto "Verpasste Lebenschancen"). Weiß, dass das nicht so ist, aber dennoch.


Absolut okay. Kenne ich perfekt den Gedanken und hinterher immer auch den Gedanken "das weiß ich doch - aber was kann ich denn dagegen machen?" Mein Therapeut hat mal nach so einer Selbst-Fertigmach-Salve gesagt "Lassen Sie es einfach sein". Auf meine Frage "Wie?" hat er nur geantwortet "sein lassen". Und klar, jetzt ahne ich langsam auch, dass ich nur ganz allein rausfinden kann wie ich das "sein lassen" kann. Mir hilft es schon mal sehr keine Psychotherapiebücher mehr zu lesen und es hilft mir noch viel mehr nicht mehr alles aufzuschreiben, was so an Selbstfertigmacherei in meinem Kopf vor sich geht. Das habe ich nämlich immer alles aufgeschrieben und dann in ganz düsteren Stunden gelesen - als eine Art Beweis dafür, dass ich ja echt das Allerletzte bin.

So, jetzt wird der Platz hier eng. Ich hoffe du konntest damit was anfangen und eigentlich glaube ich auch, dass es dir mittlerweile wieder besser geht!
liebe Grüße,
anchoa
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Anne1997
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Post Fri, 11.Aug.06, 1:07      Re: Die Therapie dauert so lange oder: Geduld haben Reply with quoteBack to top

Hallo Anchoa,

danke für Deinen Eintrag! Very Happy Hat mich sehr gefreut (genauso wie der letzte Austausch)!
Klar, da gibt es anscheinend paar Ähnlichkeiten in unserem Therapieverlauf.
Tja, und diese Ungeduld ist nur schwer "zu bändigen" (so wie ich auch).
Natürlich zählt mein Therapeut keine Stunden - er verdient ja damit auch sein Geld (obwohl er sicherlich nicht von sich aus verlängert - das "krieg ich schon selber hin" und zwar ziemlich gut Laughing ).

Wenn ich keinen Erfolg im Beruf hätte und wüsste, dass ich meinen mir anvertrauten "Leuten" nicht helfen könnte, wäre das wirklich schlimm. Und sicher: kann viel, viel besser als vor 1/2 bzw. 1 Jahr meine Bedürfnisse, Ängste benennen und schäme mich nicht mehr so dafür. Das finde ich schon klasse.

Das Thema mit meine Eltern und dem Nachtrauern um etwas, was ich evtl. nicht bekommen habe, ist natürlich noch nicht "durch".
Generell: ich habe es in der Hand für mich vieles nachzuholen - ich habe die Verantwortung für mich.
Das ist oft natürlich nicht sehr leicht (obwohl ich ja so selbständig erscheine...). Ja, mir hat mein Vater schon oft gefehlt und: dass wir nie über Gefühle geredet haben und es heute auch nur sehr wenig tun. Das tut mir schon verdammt weh.
Ich finde es momentan äußerst schwierig, meine Gefühle im Bezug auf meine Eltern zu artikulieren, denn ich will ihnen nicht weh tun, ich will nicht "ungerecht" sein. Dass ich teilweise sehr unter meinem Vater bzw. der Bez. meiner Eltern litt und glaubte, einfach "stehen zu bleiben", unterschätze ich dennoch nicht.

Deinen Tipp mit dem Satz Deines Therapeuten "Lassen Sie es einfach sein." werde ich im Hinterkopf behalten.

Lieben Dank und alles Gute! In der Tat: es geht mir wieder besser, bin dennoch gespannt auf die nächste Sitzung.

An Whoopie: Danke für Deine Antwort und PM zurück!
Und klar: bin auch ein Kopfmensch, ziemlich rational, analytisch veranlagt, aber auch chaotisch strukturiert.
Du hast mir viel Mut gemacht, dass mein Alter nicht die wichtige Rolle spielt (das ist nicht einfach zu realisieren) und dass eine Therapie es ermöglicht, sein Leben "neu" zu leben.
Ich fühle mich immer noch wie ein kleiner Kindskopf, der sich die Welt neugierig anschaut, aber seinen Platz noch finden wird (im Beruf habe ich diesen - aber auch dort entwickle ich mich weiter).

Herzliche Grüße,
Anne Cool
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