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schiso
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Post Sat, 25.Feb.06, 16:41      Theorie über Psychotherapie Reply with quoteBack to top

hallo leute,

jetzt werd ich sicherlich geköpft, dass ich in einem psychotherapieforum so ein thema anschneide Smile

also ich hab letztens mit einem arbeitskollegen geplaudert und schlussendlich hat er folgende theorie verlautbart (puh, jetzt muss ich das in worte fassen):

"früher war es so, dass die eltern, der bürgermeister, der pfarrer noch viel mehr einfluss auf unser leben hatten und uns gesagt haben, in welche richtung unser leben gehen sollte. das hatte den nachteil, dass wir unser leben nicht selbst bestimmen konnten. andererseits hatte es aber auch den vorteil, dass man nicht viel nachdenken musste.

(so nun kommt die theorie) heutzutage ist es genau umgekehrt. die leute gehen zum psychotherapeuten, zur lebensberatung, etc., weil sie jemanden wollen, der ihnen sagt, in welche richtung ihr leben gehen soll."

nun meine frage dazu: ist das nicht ABERWITZIG, dass wir solange um unabhängigkeit gekämpft haben, individuell sein wollen, etc. und nun nicht damit umgehen können??? und uns wieder anleitung fürs leben holen?

bin schon ziemlich neugierig auf eure antworten!

(Hinweis Admin: Betreffzeile von "theorie" auf obige praezisiert.)

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Stöpsel2
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Post Sat, 25.Feb.06, 16:57      Re: theorie Reply with quoteBack to top

Hallo schiso,

mehr Freiheit und Unabhängigkeit bedeutet auch mehr VErantwortung für einen selber und das muß man erst mal lernen, damit umzugehen. Das ist einem ja nicht in die Wiege gelegt. Therapeuten/Berater sollten EIGENTLICH auch nicht vorgeben, in welche Richtung das Leben gehen soll und sollten sich mit ihrer eigenen Meinung zurückhalten. Sie sollten stattdessen einem dabei helfen, rauszufinden, was man selbst will. "eigentlich" schrieb ich deshalb, weil ich das in der Therapie auch schon anders erlebt habe und genau damit meine Probleme hatte.

Viele Grüße
Stöpsel
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Post Sun, 26.Feb.06, 6:02      Re: theorie Reply with quoteBack to top

naja, das trifft es imho nur teilweise. man muss schon auch bedenken, wie vielfältiger und komplexer unsere umwelt und auch unser persönlicher gestaltungsspielraum geworden ist. auch wenn einem früher nicht gesagt worden wäre: ´du übernimmst den betrieb deines vaters´ hätte es niemals so viele alternativen gegeben. bzw: es gab oftmals wirklich keine. wenn der einzige sohn den hof nicht übernommen hat war der rest der familie oftmals in der tat am ende. wer keine möglichkeit hatte, ein dorf zu verlassen war darauf angewiesen sich nicht das dorf zum feind zu machen. heute ist man dank bundesweit gleicher sozialer absicherung und der dienstleistungsgesellschaft viel eher in der lage, sein umfeld zu wechseln => weniger abhängigkeit von diesem.

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Gregor Samsa
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Post Sun, 26.Feb.06, 6:25      Re: theorie Reply with quoteBack to top

Moing oder Abnwd,

Nun ja, mal ganz objektiv ist der Mensch ein Wesen, ein Tier mit Bedürfnissen und Trieben. Er ist mit Sicherheit kein Einzelgänger, so wie die Eisbeeren. Das menschliche Wesen ist es seit Ewigkeiten gewohnt sich einer Gruppe einzuordnen. Wie diese Gruppe aussieht, ist verschieden (Familie, Freunde, usw.) und mittlerweile hat sich diese Gruppendynamik auf einen ganzen Staat bzw die gesamte Welt ausgedehnt. zB werden viele Menschen für ihren Psychiater eine Reise auf sich nehem, während man früher nahezu alles im Dorf, in der Sippe, zur Verfügung hatte. Es gibt mittlerweile die verschiedensten Ausformungen dieser Gewohnheiten, Traditionen. Gott sei Dank denkt man schön langsam weitflächiger, globaler, jedoch leiden am allermeisten die Kinder unter dieser Entwicklung. Es ist üblich sein kind aus seiner Verantwortung zu geben, in den Unterricht zu schicken. Früher blieb das Kind zu Hause, lernte im Dorf und wurde in das Dorfgefüge integriert. Heute bleiben Zuneigung, Geduld, Liebe für Kinder, alles unheimlich wichtige Dinge, auf der Strecke.

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Last edited by Gregor Samsa on Sun, 26.Feb.06, 8:34; edited 1 time in total
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katma
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Post Sun, 26.Feb.06, 8:25      Re: theorie Reply with quoteBack to top

schiso wrote:

ABERWITZIG, dass wir solange um unabhängigkeit gekämpft haben, individuell sein wollen, etc. und nun nicht damit umgehen können??? und uns wieder anleitung fürs leben holen?


zum einen können längst nicht alle nicht mit ihrem leben umgehen und benötigen hilfe!
und abgesehen davon, gab es sicher auch "damals" menschen, die mit ihrem obrigkeitsvorgegebenen dasein nicht klarkamen und bestenfalls rebelliert haben - ohne im heutigen sinne gleich zum psychodoc zu müssen, nur gabs diese art der gleichschaltung damals noch nicht!

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Post Sun, 26.Feb.06, 11:35      Re: theorie Reply with quoteBack to top

schiso wrote:
nun meine frage dazu: ist das nicht ABERWITZIG, dass wir solange um unabhängigkeit gekämpft haben, individuell sein wollen, etc. und nun nicht damit umgehen können??? und uns wieder anleitung fürs leben holen?

Nein, ist es nicht. Wer (vermeintlich) die freie Wahl hat, Entscheidungen für sein Leben allein treffen kann und muss, für sein eigenes Leben damit voll verantwortlich ist, kommt in die Situation, unsicher und überfordert zu werden. Denn jede Wahl und Entscheidung kann auch falsch sein. Außerdem haben wir nicht immer die freie Wahl, aber uns wird das suggeriert - und wir glauben es und fühlen uns unfähig, wenn wir etwas nicht erreichen.

Offensichtliche Beschränkung bedeutet auch Sicherheit: Da geht's lang, und nur da. Bei der Vielfalt an Möglichkeiten kommt es halt auch zur Orientierungslosigkeit.

Wirklich unabhängig sind allerdings die wenigsten Menschen. Was heißt denn Unabhängigkeit oder Freiheit? Selbst im Rahmen der uns zugestandenen Freiheit (die halt durch gesellschaftliche Strukturen beschränkt ist) sind nicht viele Menschen frei in ihren Entscheidungen. Für mich persönlich hat aber Therapie aber genau dieses Ziel: eigene Ziele definieren; erkennen, wann man die freie Wahl hat und sich von (vermeintlichen) Beschränkungen (meistens Angst) weitgehend frei machen.

Wir werden meistens nicht dazu erzogen, wirklich frei, unabhängig und individuell zu sein. Eine (gute) Therapie gibt keinen Weg vor, eröffnet aber die Möglichkeit, seinen eigenen Weg zu finden und zu gehen.

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Post Sun, 26.Feb.06, 13:48      Re: theorie Reply with quoteBack to top

shisho meint:
Quote:
nun meine frage dazu: ist das nicht ABERWITZIG, dass wir solange um unabhängigkeit gekämpft haben, individuell sein wollen, etc. und nun nicht damit umgehen können??? und uns wieder anleitung fürs leben holen?

Als widersinnig empfinde ich es nicht unbedingt. Mit den (für mich normalen) Vorstellungen von Freiheit und Unabhängigkeit (meiner und anderer Menschen) habe ich nie Probleme gehabt. Bis ich feststellen musste das es auch andere Denkungsweisen als meine gab.
Toughy meint:
Quote:
Wir werden meistens nicht dazu erzogen, wirklich frei, unabhängig und individuell zu sein.

Ich wurde dazu erzogen. Laughing
Nun aber, da ich leider auch andere Denkungsweisen, obwohl mir vorgegaukelt wurde das man die gleichen Denkungsweise wie ich selbst hätte, erkennen musste sieht das etwas anders aus.
Zuvor habe ich das als einfach nur als fehlerhaftes denken abgetan und mich von solchen Menschen fern gehalten.
Was mir fehlt ist das Wissen und die Weisheit der Altvorderen......die wenn sie nicht schon längst nicht mehr lebten .....hätte zu Rate ziehen können.
So bin ich nun durch, Umstände die sich meiner Denkungsweise entziehen, auf die Hilfe von anderen Menschen und auch die von meinem Therapeuten angewiesen.
Ich fühle mich noch immer frei, unabhängig und auch als individuell an. Jedenfalls im gewissen Rahmen.
Muss nun aber damit umgehen können das dieses nicht gern gesehen wird und man mich versucht hat zu unterdrücken.
Das hat mein Weltbild so durcheinander gebracht, das ich gerne Hilfe annehme um mir sicher sein zu können, das ich bleiben kann wie ich bin.
Und mich erfolgreich auch gegen andere Meinungen und Absichten durchsetzen zu können.
Ich fühle mich heute keineswegs mehr orientierungslos ......nur manchmal hole ich mir zusätzlich die Meinung meines Therapeuten und anderer Forenteilnehmer ein.

l. g. wakatonka

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Post Sun, 26.Feb.06, 16:15      Re: Theorie über Psychotherapie Reply with quoteBack to top

Hallo schiso,

Quote:
(so nun kommt die theorie) heutzutage ist es genau umgekehrt. die leute gehen zum psychotherapeuten, zur lebensberatung, etc., weil sie jemanden wollen, der ihnen sagt, in welche richtung ihr leben gehen soll."


Ich bin der Meinung, dass es auch eine Reihe ganz anderer Gründe gibt, warum Menschen zum Psychotherapeuten gehen, als "weil sie Jemanden wollen, der ihnen sagt, in welche Richtung ihr Leben gehen soll".

Stimmst du dem zu, oder plädierst du für die Abschaffung der Psychotherapie?

Und wenn ja, was schlägst du vor, wie man dann, deiner Meinung nach mit den Problemen der Menschen, die hier im Forum schreiben, verfahren soll?
Was ist deine Alternative?

lg

Nele
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Post Sun, 26.Feb.06, 16:33      Re: Theorie über Psychotherapie Reply with quoteBack to top

Hallo sag
Ja es könnte mich auch interessieren was und wie schiso das sieht.

l.g. wakatonka

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Hiob
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Post Sun, 26.Feb.06, 23:03      Re: Theorie über Psychotherapie Reply with quoteBack to top

Ich finde PT kann in vielen Fällen dem Betroffenen auf humanistische Art das Handwerkszeug für eigenes Entdecken und Leben geben. Aber man sollte sich schon im Klaren sein, dass es einerseits auf den Thera und den Betroffenen selbst ankommt und andererseits die PT mehr oder weniger nur die Persönlichkeit (das ICH) behandelt. Wenn ein Thera nur ein Nachfolger der Eltern ist, wie Justitz, Pfarrer oder Armee oder Ratgeber, bildet er sehr schnell nur einen Ersatz, eine Scheinlösung. Dort ist (auf etwas subtilere Art) ebenso die Gefahr von beispielsweise Psychogruppen oder der „Denk positiv-Bewegung“ uvm. zu sehen.

Irgendwann kommt aber m.E. jeder an den Punkt, wo die Gebiete nicht mehr eindeutig abgrenzbar sind...wo Philosophie oder Spiritualität, Elemente aus den Religionen oder nur die Lehre vom muttersprachlichen Wort(-sinn) mit einfließen...usw. ...wo die Grenzen verwischen. Und wer verstanden hat, dass sich „die Dinge“ in allen Wissenschaften und Lehren wiederholen, der wird die Gefahr und die Bevormundung oder das „auf Linie bringen“ im Rahmen einer PT einzuschätzen wissen und keine Scheu mehr davor haben. Aber dazu braucht es Zeit und leider etwas Glück, an den/die richtige oder das für einen selbst geeignete Material zu geraten. Leider wird jeder Ratgeber behaupten, er sei der Gute.

Wer sich damit beschäftigen möchte, dem empfehle ich, die östlichen Lehren (Sai Baba, Sri Aurobindo, Bhagwan, Laotse...) mit den Westlichen zu vergleichen und eigene Schlüsse zu ziehen. Im Osten hat man von der Persönlichkeit eine sehr spezielle Auffassung. Man will sie ausblenden, zerstören, teilweise auf sehr gefährlicher Art und Weise (Gefahr neuer Abhängigkeit). Im Westen perfektioniert und lobt man die „starke Persönlichkeit“. Aber gerade in diesen Zusammenhängen ist vielleicht der Anfang von eigenem Weltverständnis zu finden. Und es geht nicht darum, einer Weltanschauung eines Therapeuten oder eines Meisters oder eines gutmeinenden Ratgebers zu folgen, sondern DEINER. Aber diese zu erkennen, das ist das Problem...und auf diesem Wege tummeln sich in Psychotherapie ebenso wie in allen anderen Gebieten genügend Menschen, die sich selbst nicht erkannt haben (im biblischen, wie im phil. Sinne)...und eigentlich sind „nur“ die wirklich gefährlich.

Viele Grüße
Hiob
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