Erinnerungen ans Kindsein

Forums-Gruftie 944 BRD W, 24

Heute hatte ich einen leider unproduktiven, aber sehr schönen Tag. Mehr oder minder zufällig ist mir nach langer Zeit eine bestimmte Musik wieder in die Hände gefallen und ich habe sie mir über Stunden - eigentlich den ganzen Nachmittag und Abend - angehört. Erstaunlich, wie schnell die Zeit vergehen kann ...

Es handelt sich um Lieder von Queen, mit denen ich eine ganz bestimmte Erinnerung an meine Kindheit verbinde. Damals - ich schätze, von meinem 5. oder 6. bis zum 9. oder 10. Lebensjahr - verbrachte ich oft viele, viele Stunden damit, aus kleinen Plastikzäunen und -tieren und Holzhäusern immer neue Landschaften zu bauen. Vornehmlich kleine Farmwelten, weil man mit Kühen und Schweinen und Pferden und vielleicht ein paar Enten so viel anderes nicht machen kann. Ich saß da, alleine oder zusammen mit meinen Brüdern, versunken auf diese Art, wie es wohl nur Kinder können, und doch immer lebhaft dabei: "Neiiin, das Haus kannst du da nicht hinstellen, da ist doch das Tor im Zaun!" Besonders intensiv erinnere ich mich an das - nicht sehr flauschige - Gefühl und an das Aussehen unseres Teppichs, dieses Karomuster in Braun und Ocker, wie man es heute nur noch auf alten Fotos ehemals ostdeutscher Familien findet *schmunzel*. Ich habe keine Ahnung, wie die Wände aussahen oder gar die Decke - damals war ich noch klein, der Boden war mir viel näher.

Und immer wenn wir da saßen, hörten wir diese eine Kassette. Manchmal bestimmt auch andere, aber daran erinnere ich mich kaum; in der Hauptsache war es die eine: Seite A - Queen, Seite B - Nena. Eine ausgefallene Mischung, denkt man heutzutage, aber ich finde sie perfekt. Wenn eine Seite zu Ende war, drehten wir die Kassette um - immer und immer und immer wieder. Nie wurden wir es müde oder zumindest ich nicht. Für mich konnte es zum Farm-Landschaft-Bauen keine bessere Musik geben.

Nena habe ich heute nicht gehört, obwohl mir so wunderbare Lieder wie Feuer und Flamme, Lass mich dein Pirat sein, Leuchtturm oder Nur geträumt allein beim Lesen des Titels ein wohliges Gefühl übermitteln. Ein Gefühl, das ich nur mit "Kindsein" umschreiben kann. Es ist so warm und absolut sicher, es ist auf eine gewisse Art losgelöst und schwebt unsterblich im Universum - weil ich damals nicht über dieses Gefühl nachdachte, vielleicht. Weil ich es damals komplett lebte und fühlte, wie ich es jetzt nicht mehr kann.

... Aber heute war ich nahe dran. Es ist nicht das Kindergefühl von damals, sondern ein neues, ebenso eigenes, ausgelöst durch das, was die Musik von Queen mich fühlen lässt. Ein Teil davon ist natürlich trotzdem "Kindsein" und wird es immer bleiben, und darüber freue ich mich.

Habt ihr auch solche Kindheitserinnerungen? Solche, die unzerstörbar sind, egal wie viel Schreckliches es drumherum gegeben haben mag? Kleine Szenen, die vielleicht losgelöst in der Erinnerung sind, die als Ereignisse mit einer ganz eigenen, unvergleichlichen Atmosphäre immer wieder mal durch euren Kopf geistern? Ich würde hier gerne einen Thread entstehen lassen, der solche Erinnerungen sammelt und damit vielleicht dieses eine aufleben lässt, was so kostbar, so wunderschön und so lange her ist: Kindsein.

sporadischer Gast 8 Mannheim M, 22

Hi Thorn,
seltsam, dein Thread steht jetzt schon mehrere Tage hier und niemand hat bisher etwas dazu beigetragen. Bisher war ich weder passiv (lesen) noch aktiv (schreiben) besonders aktiv in diesem Forum, aber dein Beitrag war bisher der schönste! Wieso hat niemand darauf geantwortet.Besonders die Dichter Rilke (er bezeichnet die Kindheit als "unendlichen Schatz") oder H. Hesse ( für mich nur noch Hermann) haben doch in und durch ihre Werke so sehr auf die herausragende Rolle der Kindheit in Leben eines jeden von uns hingewiesen. Umberto Ecko meinte sogar das Leben sei einzig die Aufarbeitung unserer Kindheit. Ja, die Kindheit..oft kommen mir Erinnerungen aus der Kindheit in den Sinn. Manchmal wenn ich meine Freundin im Arm Halte und sie sanft streichele denke ich daran wie mich meine Mutter als Kind sanft streichelte(und nein, während ich Sex habe denke ich nicht an sie, habe aber glaube ich schon mal davon geträumt, weiß nicht kam mir auf jeden Fall so vor).
Da ich auch mit Kindern Arbeite denke ich recht oft an meine eigene Kindheit. Und so wie so wird mir oft bewußt wie entscheidend meine Kindheit, meine Herkunft (nein, bin kein Ausländer, aber deutscher Weltbürger) mich geprägt hat. "The rememberance of today is the feeling of tomorow" sang Bob Marley (für mich nur Boby). Gerade weil mir klar ist wie stark unsere eindrücke unser sein prägen bemühe ich mich mit schönen Dingen zu umgeben. Mich in eine positive Richtung zu lenken, abgestumpft im Zapp wirrwar zwischen Hans Meiser und je 5 Minuten News, Sport und Wetter (=Tagesschau) bin ich lange genug. Oskar Wilde zeichnet in seinem Buch das Bild eines Mannes der ein Kunstwerk an sich ist, der es vermag durch sein Wesen und seine Worte andere Manschen zu inspirieren. Solche Menschen die mich in meinem innersten berührten traf ich mehrerein meinem Leben. Der Kontakt war manchmal stark, manchmal sporadisch oder nur einmalig, aber ich zehre von jeder dieser Begegnungen.
Oh, so gerne würde ich weiterschreiben muss aber leider los. Danke für deinen Beitrag Thorn. Sobald mir eine schöne Erinnerung an meine Kindheit bewusst schreibe ich sie nieder und poste sie hier.

-Soulution

Forums-InsiderIn 368 Österreich W, 27

Liebe thorn,
dem Himmel sei Dank dass Soulution diesen Thread aktiviert hat - ich hätte ihn sonst auch übersehen! Embarassed

Dein Post ist wunderschön und tröstlich, ja. Danke dir dafür.

Ich hab so ein Gefühl, wenn mir mein Freund eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht. Das ist für mich der Inbegriff sorgender Zärtlichkeit, die ich, zum Glück, von meiner Mutter auch erlebt habe.

Kindsein, das ist für mich auch in Omas Ahornbaum klettern. Dort war ich sicher und mit meinen Gedanken allein. Dort war ich ich.

Dahin möchte ich wieder, so wie du es schreibst - als Erwachsene mit Wurzeln.

Forums-Gruftie 944 BRD W, 24

Sätze, die direkt ins Herz treffen, es erwärmen und trösten, das Kindsein zurückholen. Vielen Dank euch beiden.

Helferlein 36 NRW W, 20

Hey thorn und alle die ihre Kindheit wieder aufleben lassen,

kann auch nur Danke sagen für diesen tollen thread.
Auch wenn ich nicht immer positive Erinnerungen mit meiner Kindheit verbinde, aber sich an die dennoch vielen positiven Dinge zurück zu erinnern, ist einfach toll.

Auch ich habe oft stundenlang oft dem Boden gesessen und Playmobil oder Lego gespielt und damit meine eigene Welt geschaffen. Aber noch viel bedeutender war meine kleine Welt mit einer Familie, kennt sich jeder diese Baby Born Puppen, für sie habe ich damals eine eigene kleine Wohnung unter meinem Hochbett geschaffen und konnte da meine Träume ausleben.
Hier war ich frei und konnte der sein, der ich bin. Da hatte ich keine Ängste, ich konnte einfach Kindsein. Ich war oft total versunken darin und bekam um mich herum gar nichts mehr mit.
Und bis heute hab ich noch diesen Traum einer solchen Familie, und wenn ich Kinder sehe, denke ich sofort an diese Zeit zurück wie ich unter dem Bett saß und für meine Puppe da war. Ich stelle mir direkt vor, wie meine Familie einmal sein soll und hoffe, dass es wahr wird. Natürlich kann sie niemals so perfekt werden, aber immerhin ein bisschen.
Das sind auch nicht die einzigen Erinnerungen...ich könnte da noch einige mehr aufzählen. Und bei diesen Gedanken wird mir total warm ums Herz. Deshalb war diese Zeit auch meine bisher schönste Zeit meines Lebens,
dort konnte ich frei sein, ich sein, ohne bedeutende Sorgen oder Ängste.
Kindsein ist einfach wunderschön, deshalb möchte ich auch unbedingt mit Kindern später arbeiten und für sie da sein, damit sie eine möglichst schöne Kindheit haben, weil sie das verdient und ein Recht darauf haben.

Noch mal danke für diesen anstoßenden Gedanken
*vom Kindsein weiterträum*
Anne

[nicht mehr wegzudenken] 1277 München M, 24

Och wie schön Very Happy

Ich hatte eine wunderbare Kindheit und erinnere mich gerne zurück. Ich habe auch viel Lego gespielt und immer neue Häuser und Flughäfen und Burgen gebaut. Zum Glück waren sehr viele Steine da, da waren der Kreativität fast keine Grenzen gesetzt. Meine Schwester hatte Playmobil-Figuren, aber die waren so groß und klobig, mit denen wollte ich nicht so recht was anfangen. Sie kam dann öfter rüber in mein Zimmer und wir haben Nachmittage lang Lego gespielt und uns Geschichten ausgedacht. Ich kann mich heute noch sehr gut daran erinnern, wie wir die Figuren benannt haben und welche Geschichten es gab. Haben z.B. aus einem Bettlaken eine Skisprungschanze gebastelt und dann damit eine Winterolympiade veranstaltet.

Überhaupt habe ich meine Kindheit sehr viel mit meiner Schwester erlebt. Wir waren stundenlang im Wald und haben "Reisen" gemacht, haben den Plätzen verschiedene Namen gegeben und haben uns dann Routen ausgedacht oder neues Land erkundet. Mich wundert heute, dass meine Eltern keine Angst hatten oder zumindest nicht so restriktiv waren, hätte ja sonstwas passieren können, sind ja z.B. genug Felswände da. Bin auch mal aus ziemlicher Höhe von einer runtergeflogen beim Klettern, glücklicherweise stand ein Tannenbaum da.

Leider sehe ich meine Schwester nur mehr sehr selten und die Zeiten sind lange vorbei, wir machen nur noch wenig zusammen. Ja, jedesmal wenn ich sie sehe, muss ich daran zurückdenken, es war schon eine tolle Zeit, so völlig sorgenfrei, wie man eben als Kind ist.

Auch wenn ich an die Orte zurückkehre, muss ich natürlich zurückdenken grinsend

Lieder aus der Zeit weiß ich nicht, ich habe nie Radio gehört damals, Kasetten gab es keine und den Plattenspieler durfte ich nicht benutzen. Dafür hatte ich meine Gitarre grinsend

Als dann der PC und MP3s kamen, hatte ich so Sachen wie Lenny Kravitz - Fly Away, Loona - Mamboleo und andere, die mich auch an damals erinnern.

Wenn es um Literatur geht, halte ich es mit Erich Kästner, dass der größte Fehler wäre zu vergessen, dass man mal ein Kind war.

vlg
Sparkle

Helferlein 57 deutschland W, 23

der duft des sommers war ein anderer. es roch nach honig und erde und blauem himmel und sommerregen auf staubigen asphalt. ich saß auf dem fenstersims meines zimmers und legte die nackten füße auf das aufgeheizte dach. ich sah die menschen mit eimern und körben in ihre schrebergärten gehen, hörte kinder lachen und bäume rauschen. das war so ein gefühl von zu hause-sein, frei-sein, glücklich-sein. ich saß gern da oben.

der lichtdurchflutete dachboden war mein versteck. er roch nach holz und vergangenen jahren, die mir so fremd waren wie die erinnerungen meiner großeltern. fremd und doch faszinierend. manchmal hing die wäsche zum trocknen da, dann durchzog ein feiner seifengeruch den raum.
wenn es regenete war der ganze wäscheboden musik und ich tanze über knarrende bodenbalken.
ich trug gern ein altes kleid meiner mutter. es war rostrot und sehr lang und schön. unterm dach war meine eigene kleine welt die mir keiner nahm. wenn die nachbarin zum wäscheaufhängen kam beobachtete ich ihre violetten hausschuhe von meiner höhle aus alten matratzen aus.

schnee war für mich ein großes wunder. ich erinnere mich mit meinem vater durch eine lupe einzelne schneeflocken betrachtet zu haben. keine flocke wie die andere. wenn es dunkel wurde erschienen die schneewolken am himmel rotorange. ich saß auf meinem schlitten allein in der dämmerung und lauschte in die stille. die stille war unendlich groß und erdrückte mich fast und das leise knistern der einzelnen flocken, die auf meine jacke fiehlen berührte mich seltsam.

Forums-Gruftie 944 BRD W, 24

Eine meiner Lieblingserinnerungen stammt aus der Kindergartenzeit und umfasst leider im Grunde nur ein oder zwei Bilder und ein verschwommenes Gefühl, aber ich mag die Vorstellung so sehr - Leben in seiner reinsten Form ...

Da gab es eine Gruppe, mit der ich oft zusammen war; kommt mir im Nachhinein wie eine Kindergartenclique vor, obwohl ich gar nicht sicher bin, dass das immer dieselben Kinder waren. Wir in dieser Gruppe also haben, gegen alle Widrigkeiten, in den Büschen Agenten gespielt. Krochen durchs Gehölz, rissen uns dabei vermutlich immer wieder Haut und Kleider auf und verdreckten von Kopf bis Fuß, während wir komplett in eine Phantasiewelt eintauchten. Dabei sammelten wir eifrig, was, von anderen Leuten einfach weggeworfen, in die Büsche geweht worden war, und bauten es fließend in unser Spiel ein. Besonders beliebt waren unsachgemäß entsorgte Kassenzettel, die kurzerhand zu geheimen Botschaften mutierten, mit denen unsere oft brandgefährlichen Aufträge übermittelt wurden ...

Viele Grüße an die Lego-Generation Very Happy

Helferlein 113 Österreich W, 26

Hm, sehr schönes Thema...

Ich muss in letzter Zeit sehr viel über meine Kindheit und Jugend nachdenken, und dann stoße ich auch noch auf diesen Thread und bin zu Tränen gerührt wenn ich eure wunderbaren Worte lese und mich in manchem wiedererkenne zwinkernd..

Ich weiß nicht, warum ich jetzt so sentimental bin dass ich wegen sowas gleich weinen muß, aber wahrscheinlich bin ich gerade mitten in einem Prozeß, von dem ich selbst noch nicht so recht weiß wo er mich hinführen wird.

Jedenfalls erinnere ich mich nur an wenig aus der Kindergartenzeit, nur daran, dass ich ein Kleid mit einer auf die Brust aufgenähten rosaroten Katze hatte, und diese Katze hat mir so gefallen dass ich mit jedem darüber reden wollte.
Und ich erinnere mich daran, dass meine Mutter mich oft zu spät abholen kam, ich war die Letzte und saß auf der Bank und wartete, und jedes Mal wenn die Tür aufging, hoffte ich es wäre meine Mutter... ich beobachtete die Putzfrauen und fand die Atmosphäre in dem mehr oder weniger ausgestorbenen Kindergarten bedrückend und seltsam. Ich kann mich noch so genau an meine Gefühle erinnern als wäre es gestern gewesen... ich fühlte mich so einsam und allein gelassen, und hoffnungslos. Wahrscheinlich waren es nur ein paar Minuten die ich warten musste, für mich waren es aber Stunden...

Bei Musik fällt mir ein, dass meine Eltern immer Kassetten aufgenommen haben, die wir dann vor allem bei Fahrten in den Urlaub gehört haben... wenn eines dieser Lieder heute im Radio gespielt wird, erinnere ich mich ganz genau. Mit ABBA verbinde ich sehr viele Erinnerungen, und mit den Beatles - die waren die ersten, die ich mir bewusst angehört habe.

Tja, danke für diesen schönen Thread, schön zu wissen dass da auch andere sind, die sich gerne an solche Dinge erinnern grinsend

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