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tabbycat
Helferlein
33
Ruhrgebiet W, 45
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Tue, 19.Jul.05, 23:27 Neurasthenie u. Dermatillomanie |
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Seit dem 15. Lebensjahr leide ich unter mehr oder wenige starken Depressionen. Ich habe schon früh Hilfe gesucht, wurde aber nicht ernst genommen (es hieß: Pubertät, einfach Stress, kerngesund...). Nach außen war ich immer die Starke. Es wurde von mir erwartet und ich habe die Erwartungen erfüllt. Die Zusammenbrüche hat kaum einer mitbekommen und wer es mitbekam, hat es einfach nicht verstanden. Schließlich stand ich ja immer wieder auf.
Ich brauche ständig etwas Neues und kann mich dann daran begeistern, mich hochziehen, mich damit motivieren: Wohnung, Katzen, neue Wohnung, erstes Kind, Fernstudium, Job, neue Wohnung, zweites Kind, drittes Kind, Fortbildung, Studium, Scheidung, Job + Freizeitstudium, neuer Mann, neue Stadt, Haus, Renovierung ohne Ende, viertes Kind, Trennung und Umbau, neuer Job, Auszug und neue Wohnung und neuer Mann und wieder neuer Job ...
Ich steiger mich in eine neue Idee rein und power mich dann daran total aus und dann kommt die Depression - Gefühl von totaler Überforderung (wegen Kleinigkeiten) und Tränen, Tränen, Tränen bis zur Erschöpfung...
Vor gut 10 Jahren war ich schon mal bei einer Therapeutin und wurde wegen "Erschöpfungsdepression" behandelt. Erschöpft war ich in der Tat. Die Therapie hat aber eigentlich dazu geführt, dass ich starke Veränderungen an meinem Leben vorgenommen habe, was mich dann wieder ein paar Jahre ganz schön beschäftigt hat und mir den nötigen Kick gab.
So und nun ist seit ca. 2 Jahren der meiste Stress weg. Im Vergleich zu früher ist mein Leben jetzt eigentlich das reinste Zuckerschlecken. Und was passiert? Ich stürze so tief wie vor der ersten Therapie! Ich hab selbst eine Therapeutin bezahlt, um meine Existenz (Job) nicht zu gefährden und weil ich Angst hatte, ich könnte mir selbst was antun. Ne Weile ging es dann. Dann bekam ich endlich eine von der Kasse bezahlte Therapeutin. Alles scheint gut und dann, ganz plötzlich, fühl ich mich todkrank, komme nicht aus dem Bett, selbst im Liegen dreht sich der Raum, mein Herz rast und ich denke nur noch "Ich will nicht mehr funktionieren!!!". Und nur ganz nebenbei erwähnt: ich knibbel mir zwanghaft das ganze Gesicht kaputt und es was noch nie so schlimm und unkontrolliert.
Mein jetziger Mann liebt mich, aber manchmal ist es schwer mit ihm, weil er total antriebslos ist und immer wegen irgendwas leidet. Meine Kinder sind gar keine Belastunge mehr. Finanzielle Sorgen hab ich immer wieder in den Griff bekommen. Im Job gibts Frust, aber hauptsächlich weil ich mich total unterbezahlt fühle und seit einem Jahr nach einem neuen Job suche. Hab ja was in Aussicht, aber das zieht sich nun schon seit Monaten hin.
Freunde haben wir keine, er nicht, ich nicht, wir nicht. Meine einzige und beste Freundin ist meine Mutter - Gott sei Dank!
Ich habe einen Traum: ich möchte in Italien leben. Wegen des Klimas (ich leide schrecklich unter dem Klima hier - zu dunkel, zu nass, zu kalt - immer schon) und wegen der Mentalität der Menschen. Ich sehe um mich herum nur Frust und Verzweiflung. Ich habe immer schon nach diesem Ziel gesucht, Jahr um Jahr. Von heut auf morgen war mir klar, dass das mein Lebensziel ist . Nicht Karriere, nicht ein Haus, keine dicken Autos und schon gar nicht Shoppen und in der Welt rumreisen. Ich möchte einfach nur dort in der Sonne leben und im Grünen. Wenn ich das hier mal hab, geht es mir super gut, bis mir klar wird, wie kurz dieser Moment sein wird und dann kommt der Absturz.
Aber was, wenn das mit Italien ist wie mit allem anderen in meinem Leben? Wenn ich tatsächlich erst mal da bin, wonach suche ich dann? Und wie soll ich das überhaupt schaffen? Ich bin sooo müde. Möchte morgens nicht aufstehen, könnte mittags im Büro einschlafen, sage immer häufiger "ich kann nicht" oder "ich will nicht", mag abends dann nicht schlafen gehen, bin einsam ... und hab grad wieder mein ganzes Gesicht zerknibbelt.
Gibt es unter euch Leidensgenossen? Dann erzählt mir von euch, bitte! Grüße von Tabbycat
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_________________ Alles muss man selber machen. |
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Hans-Jörg
Forums-Gruftie
581
Süddeutschland M, 40
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Wed, 20.Jul.05, 5:03 Re: Neurasthenie u. Dermatillomanie - Suche Leidensgeno |
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Hi Tabbycat,
ich weiß nicht recht, ob ich mich als Dein Leidensgenosse betrachten soll. Schnell langweilig wird mir jedenfalls bei Routiniertem. Suche auch stets das Neue.
Vielleicht muss man es akzeptieren und das Gewohnte halt dauernd gegen Ungewohntes eintauschen um sich wohlzufühlen. Bist Du denn dann für eine kurze Zeit richtig zufrieden / glücklich oder lenkt es eigentlich nur vorübergehend von der allgemeinen Unzufriedenheit ab?
Mit dem tollen Wetter in Italien, das wäre schon einen Versuch wert, finde ich.
Aber könnte natürlich sein, dass die ewige Suche früher oder später trotzdem weiterginge.
Warst Du denn mal eine längere Zeit dort? Und empfandest Du die letzten Tage noch als genauso gut, wie die ersten?
Vermutlich wären nicht alle Deine Probleme in Italien schlagartig gelöst, aber vielleicht empfändest Du sie als deutlich kleiner!
Ich kenne ja Deine Lebenssituation nicht, aber wenn es Dir möglich ist, mache doch mal einen längeren Urlaub dort. Wie sieht es mit der Sprache aus? Was hält Deine Familie von dieser Idee? Und das Finanzielle?
Wenn das alles machbar wäre, ich glaube, ich würde dahinziehen. Na ja, kommt auf Deine Einschätzung an. Da gibt es natürlich auch noch viele Kleinigkeiten, die bedacht sein wollen.
Wie sieht es bei Dir mit Hobbys, Sport etc. aus? Man sollte schon etwas haben, für das sich das Aufstehen lohnt.
Wenn man keine Freunde hat, ist das auf Dauer natürlich auch nicht gerade gut - es sei denn, man bricht hier sowieso seine Zelte ab. Dann lässt man weniger zurück.
Aber ob jetzt hier oder später in Italien, um Freunde solltet Ihr Euch schon bemühen.
Auch um ein paar Hobbys, (die ja sogar einfacher austauschbar sind als der Job z.B.) um dem Alltagsfrust ein bisschen zu entfliehen.
Stress. Es gibt ja positiven und negativen Stress. Ist eigentlich nur von der eigenen Einstellung abhängig, um welchen es sich nun handelt.
Sieht man eine Aufgabe / ein Problem als Herausforderung an, an der / dem man sich mal messen kann, so handelt es sich wohl um den ersteren.
Hingegen, wenn man sich einer Situation gegenüber als hilflos ausgeliefert fühlt, etwas aufgezwungen bekommt, es machen muss, so wird daraus schnell der negative Stress, der auch die Gesundheit gefährdet. Während der positive Stress eher als immunsystemstärkend angesehen wird.
Hat man nun gar keinen Stress mehr, nur Langeweile, keinen Grund morgens aufzustehen, so ist es auch nicht recht, und die Gefahr sich in etwas "hereinzusteigern" nimmt deutlich zu.
Vermutlich ist das Mittelmaß mal wieder das Ideale. - Die Kunst der Gradwanderung.
Also setze Dir Ziele, an denen Du Spaß hast, ob nun Italien, Hobbys, Freunde zu gewinnen oder etwas ganz anderes und versuche sie zu verwirklichen. Auch wenn es dauernd neue sind, dann machst Du halt etwas solange bis Du es über bist und suchst Dir dann etwas anderes. - Ist besser als in Depression zu verfallen.
LG Hans-Jörg
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tabbycat
Helferlein
33
Ruhrgebiet W, 45
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Wed, 20.Jul.05, 11:23 Re: Neurasthenie u. Dermatillomanie |
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Ciao Hans-Jörg,
danke, danke, danke für deine Antwort. Ich hatte mit Kritik gerechnet (in vielen Foren sind die Leute damit schnell bei der Hand), aber deine Zeilen machen Mut und lassen mich mein Leben plötzlich aus einer ganz anderen Perspektive sehen.
Von meinem Vater habe ich nie anerkennende Worte gehört, trotz immer guter Leistungen. Aber die Kritik, dass ich immer alles anfange und nichts zu Ende bringe, sitzt immer noch tief. Du bist wirklich der erste Mensch in meinem Leben, der mal sagt, dass es so ok ist, wenn’s mir dabei gut geht. Und ich bin bei einer Veränderung dann tatsächlich für eine ganze Weile richtig gut drauf. Ich brauche diesen positiven Stress - wie du ihn nennst - wie die Luft zum Atmen. Fehlt der, dann wird jede noch so kleine Pflicht - die ich sonst mit Links schaffe - zu einer ungeheuren Last.
Mit Hobbys hab ich’s natürlich versucht. Was ich schon alles durch habe: Ballett, Judo, Bodybuilding, Volleyball, Basketball, Surven, Jazztanz, Bauchtanz, Photographieren, Zeichnen, Innenarchitektur ... Gerade habe ich - nach drei Jahren - den Klavierunterricht abgebrochen. Drei Jahre - das scheint so eine Art magische Zahl zu sein, spätestens dann ertrag ich’s einfach nicht mehr (auch den Job nicht). Wird mir dann einfach zu langweilig und Langeweile stresst mich total.
Die einzigen Beschäftigungen, die sich halten, sind solche, die man nicht regelmäßig machen muss und problemlos aussetzen kann. Ich handwerke leidenschaftlich gerne. Mein Ältester zieht aus und für einen überschaubaren Zeitraum kann ich mich da austoben (verputzen, Laminat verlegen, tapezieren...). Für Sport hab ich seit längerem keine Energie. Na, und Italienisch lerne ich - natürlich. Aber vorerst autodidaktisch, damit ich nicht Geld für einen Kurs rausschmeiße, den ich ja doch abbreche.
Mit Italien, das hab ich vorher schon gut durchdacht. Bevor ich so eine Idee ernsthaft zulasse, prüfe ich immer erst, ob es überhaupt eine Chance gibt, das zu realisieren. Zweifel daran, dass ich das schaffe, hab ich eigentlich nicht. Mir fehlt nur ein wenig der Zuspruch von anderen. Bis jetzt nimmt mich diesbezüglich nämlich keiner ernst und mein Mann ist mit der ganzen Idee überfordert und hofft einfach, dass das vorbei geht. Ich glaube, der wird sich irgendwann wundern.
Wenn es also gar nicht so schlimm ist, dass man immer wieder was anderes anfängt, dann bleibt doch eigentlich nur ein Problem: Freundschaften. Die entstehen ja bekanntlich hauptsächlich durch Gemeinsamkeiten. Aber spätestens nach 3 Jahren (s. o.) gibt es die Gemeinsamkeit nicht mehr - und die vielleicht gerade wachsende Freundschaft auch nicht. Nur, wenn ich jemanden fände, der so ist wie ich und ständig etwas Neues macht, daraus könnte was werden. Ich glaube, allen anderen bin ich einfach zu anstrengend, zu chaotisch und einigen macht das auch Angst, weil sie da gar nicht mitkommen.
Ich glaube, was mich am meisten runterzieht, ist das Gefühl, mit meiner Art zu leben nicht akzeptiert zu werden. Ich definiere mich - immer noch und immer wieder - über die Meinung anderer. Ich kann’s nicht lassen. Der Mensch ist eben ein Herdentier und will irgendwo dazugehören, aber obwohl ich sehr kontaktfreudig und aufgeschlossen bin, pass ich leider in keine Herde hinein.
So, genug lamentiert. Im Moment geht es mir sehr gut. Und das verdanke ich dir, Hans-Jörg, durch deine Sicht der Dinge.
Trotzdem würd ich mich über weitere Antworten freuen. Vielleicht findet sich ja doch noch ein Leidensgenosse?
Grüße von Tabbycat
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_________________ Alles muss man selber machen. |
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freundin007
neu an Bord!
1
berlin W, 25
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Mon, 23.Jul.07, 20:09 Re: Neurasthenie u. Dermatillomanie |
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Hallo tabbycat,
Ich habe deinen beitrag gelesen und mich daraufhin angemeldet !
Ich musste dir einfach Antworten.
Ich kann gut nachvollziehen, wie du dich fühlst. Mein Leben ist identisch, naja zum Teil.
Ich muss ständig neue Aufgaben finden, ich bin jedesmal völlig unzufrieden, wenn es geschafft ist, mein Fernziel ist nicht Italien, dafür Canada. Meine Ängste sind die Gleichen und es ist niemand da der es versteht.
Habe mir mittlerweile auch überlegt in Therapie zu gehen, doch die Richtige finden... nicht gerade einfach.
Zu diesem Zwang, muss ich mich natürlich auch noch mit Dermatillomanie herumschlagen, großes Wort, habe ich auch gerade erst gelernt.
Bezeichnet im Prinzip genau das von dir beschriebene. Zwanghaftes, krankes herum machen im Gesicht und sonst überall, wo sich was finden lässt...
Was hast Du mittlerweile unternommen ? Geht es dir besser ? Was macht Italien ?
Würde mich freuen von dir zu hören.
Freundin007@web.de
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