Neues Forum! [Info]
Post new topic Reply to topic    Print
Author Message
DarkRacer
sporadischer Gast
sporadischer Gast


Posts 16
Wohnort Zürich CH
M, 21


Post Thu, 14.Jul.05, 1:31      Vergangenheitsbewältigung Reply with quoteBack to top

Ich war schon immer ein Mensch, der keinerlei Selbstbewusstsein aufbauen konnte. Weder als Kind, Jugendlicher oder jetzt Erwachsener. Von vornherein sagte man mir, ich sei ein Nichts und würde nur stören - von Verwandtschaft und so genannten "Freunden". Ich war immer sehr naiv und habe geglaubt, was man mir eintrichterte. Durch all die Jahre hinweg wurde ich in der Schule ein krasser Aussenseiter, habe danach eine miese Lehre hinter mich gebracht und lebe jetzt seit drei Jahren in Arbeitslosigkeit...

In der Schule habe ich lernen müssen, mich abzuschotten. Ich habe gewaltige Mauern um mich herum gezogen. In der Lehre ging es mir gesundheitlich nicht gut. Ich hatte zwei Jahre unentdeckte Blutarmut und anstatt das man mich einmal anhörte (da ich wusste, mit meinem Körper stimmt was nicht), hat man mich in der Lehre vor die Wahl gestellt: Entweder Psychologe oder ich kann gehen (weil alle sagten, das sei eine psychische Wahnvorstellung von mir)... ich habe sehr schlechte Erfahrungen mit Ärzten in meinem Leben gemacht und bin deshalb auch gegangen, habe die Lehre aber in einer anderen Firma beenden können.

Nach der Lehre bin ich sofort in die Arbeitslosigkeit gekommen und fand nie einen Job - aufgrund meines Wechsels mitten in der Lehre und den miesen Arbeitszeugnissen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eine derart harte Schale um mich, dass kein einziger Mensch mehr in der Lage war, zu mir vorzudringen.

Letztes Jahr lernte ich dann einen Menschen kennen, der im Sturm mein Herz eroberte und diese ganzen Mauern einfach so einbrechen konnte. Innerhalb eines Jahres bin ich ein vollkommen anderer Mensch geworden, Leute von früher erkennen mich nicht wieder. Ich bin froh darum habe aber ab und an immer noch Probleme mit der Vergangenheit. An manchen Tagen holt sie mich einfach so ein ohne das etwas passiert oder gesagt worden ist. Dann stürze ich ab... mein Partner hält extrem zu mir. Als einziger Mensch. Ich kann es nicht verstehen, warum er bleibt aber ich bin dankbar - und will, dass ich diese Abstürze, die mich immer vier, fünf Tage kosten, verjagen kann.

Wie kriege ich die letzten Spuren meines alten Lebens weg? Ich kämpfe ständig mit mir und wünschte mir einfach, ich könnte die letzten zwanzig Jahre einfach vergessen - was aber nicht geht. Mein Partner sagt, ich sei ein gebranntes Kind - aber auch Verbrennungen heilen doch einmal...

Wenn jemand einen Rat oder Tipp weiss, wär ich froh, wenn er drauf los schreibt. Und sonst tut es einfach mal gut, auszuschreiben, was in einen vorgeht Smile

_________________
Gewinne erst, kämpfe später!
Find all posts by DarkRacer
Werbung
Mitz
Helferlein
Helferlein


Posts 47
Wohnort Deutschland
W, 40


Post Thu, 14.Jul.05, 3:51      Re: Vergangenheitsbewältigung Reply with quoteBack to top

Hallo DarkRacer,

ich denke, das wir im Grunde nie 100%-ig die ganze Vergangenheit auslöschen können und ich halte das auch nicht unbedingt immer für zwingend.
Ich sage Dir auch warum ich so denke ...
Die Vergangenheit hat uns zu dem gemacht, was wir Heute sind und selbst eine Mauer um einen herum prägt einige Charakterzüge des Menschen. Sicher ist Einsamkeit keine schöne Sache, aber in dieser Zeit gehen wir auch so tief in uns hinein, damit wir lernen und verstehen können, was hinter der Mauer vor sich geht. Man sollte nicht immer davon ausgehen, dass derjenige einen Fehler gemacht hat, der sich zurückgezogen hat, sondern auch dabei nicht vergessen, dass die Menschen hinter der Mauer einen großen Teil zum zurückziehen beigetragen haben.
Deine Einsamkeit brachte Dich zum Nachdenken, so das Du anfingst Selbstanalyse zu betreiben. Du suchtest nach Fehlern und nach Lösungen ..
Das ist doch sehr gut und ist allemale besser als wegzuschauen.
Heute weißt Du vielleicht auch, was Du hättest damals anders machen können und natürlich möchtest Du Deine neuen Erkenntnisse dafür nutzen, das es nicht wieder vorkommt. Sozusagen "Aus Fehlern lernt man". Hier ist der springende Punkt. Ohne die Mauer wärest Du Heute nicht der, der Du bist und glaube mir auch Heute bist Du ein Mensch der liebenswert ist. Genauso wie damals! Nur was kann man dafür, wenn man von außen in eine bestimmte Schublade gesteckt wird? Hättest Du allerdings jemals Dich selbst analysiert, wenn die Vergangenheit besser gewesen wäre? Nein, wir beginnen erst dann uns mit uns zu beschäftigen, wenn uns etwas bedrückt. D.h. es müssen auch erst Fehler passieren um daraus lernen zu können und um sich darüber bewußt zu werden, was man aus der Vergangenheit machen möchte. Erst nach einem Ereignis suchen wir uns einen Weg aus, den wir weiter gehen wollen.

Lange Rede, kurzer Sinn ...
Nutze Deine Vergangenheit und setze Sie als Waffe gegen die Zukunft ein! Du kannst anderen Menschen sicher hilfreiche Tipps geben, so dass Deine Vergangenheit zur helfenden Hand wird. Dies kann einem sehr viel Kraft geben ... Denn ändern können wir die Vergangenheit nicht mehr, aber wir können ihr zeigen, dass sie uns nicht unterkriegen kann.

Im Grunde nach, sind wir beide uns sehr ähnlich ... Ich bin auch eher jemand, der einsam mit dem Wolf tanzt, aber dennoch versucht meine traurige Vergangenheit dafür zu nutzen, anderen Gutes zu tun.
Man fragt sich vielleicht warum man anderen etwas Gutes tun soll, obwohl einem selbst doch viel Leid angetan wurde und auch keiner da war, der einem half. Tja, aber was können denn die anderen dafür? Das Motto <wie man mir, so ich anderen> mag ich nicht, denn wenn wir alle so denken würden, wäre die Welt noch schlimmer dran, als ohnehin schon.
Sicher habe auch ich meine Tiefpunkte, aber es liegt an uns selbst wie lange wir diesen Punkt zulassen wollen. Je öfters wir diese Punkte erleben und je öfters wir da wieder herauskommen, um so mehr werden wir merken, dass wir von Tag zu Tag stärker werden.

So, ich weiß nun nicht, ob es Dir weiterhilft, aber ich wollte es doch wenigstens nicht unversucht lassen.

Viele Grüsse

Mitz
Find all posts by Mitz
lilu
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]


Posts 1154
Wohnort wien
W, 32


Post Thu, 14.Jul.05, 9:40      Re: Vergangenheitsbewältigung Reply with quoteBack to top

was du schreibst kommt mir - bis auf den glücklichen umstand in dem alter einen partner zu finden durch den man sich öffnet - sehr bekannt vor. sogar das mit der anämie stimmt. und auch ich war nach der ausbildung drei jahre arbeitslos. mutlos. hoffnungslos...

meinen partner, durch den ich mich geöffnet habe, habe ich erst wesentlch später kennen gelernt. da dachte ich schon, bereits zu verschrullt zu sein um wirklich je einem menschen nahe zu sein. ich ging steil auf die 30 zu und kannte keine nahen menschlichen kontakte...

und auch wenn erst zehn jahre später - sich stecke - auch in dieser krise. man merkt, das einem die kindheit/jugend intensiver geprägt hat, als man es je wahr genommen hat. erst durch liebe, nähe und den intensiven mitmenschlichen kontakt brechen diese alten wunden auf, spürt man sie so offen wie davor nicht. davor litt ich still, ahnungslos an den folgen ohne einzelheiten zu erkennen. jetzt wo ich quasi die folgen verändert habe durch eigenes zutun, wird mir der weg zu dem was ich bin klar - und das oft schmerzlich.

ich kenne diese totalen einbrüche. wie dumpfe schatten schiebt sich die vergangenheit über das gemüt und man ist unempfänlich für das schöne, liebende, zuversichtliche. es gibt da bei mir meist einen ultimativen tiefpunkt auf den ich zusteuere und dann den kater davontrage quasi. nach ein paar tagen geht es wieder. mir kommt dann dieses leid so falsch vor, aufgesetzt, nicht sinnvoll, weil ich da mit 31 jahren an etwas leide das mit mit 5, 12 oder 16 jahren passierte. es erscheint mir unverhältnismäßig, ich will mir dieses leid verbieten...

seit einiger zeit aber versuche ich mir zeit zu nehmen für das leid. wenn ich spüre es kommt, dann wehre ich mich nicht mehr (was oft alles noch schmerzlicher macht) sondern versuche einzutauchen. ich sage mir: jetzt ist die zeit wo ich dafür offen bin, nun gehe ich auch durch. meist ist es dann viel weniger schlimm als wenn ich verzögere, ignoriere, abwehre und dann dennoch stürze.

ich denke, das es sinnlos ist, seine vergangenheit, das wodurch man dieser wunderbare mensch ist, für nicht existent erklären zu wollen oder sie ganz ablegen zu wollen. in unserer gesellschaft gilt es wohl als schick, easy, leicht, locker, hysterisch fit und glücklich, unbeschwert zu sein und das leid gänzlich auszuklammern. man soll der gesellschaftliche partytiger sein der sich über jägermeister kringelig lacht, und der seine ansprüche im leben auf mp3 - player, einen waschbrettbauch (bei sich oder dem wunschpartner) beschränkt.
ich bin dieser mensch nicht. will es nicht sein. und ich mag mich mit solchen menschen auch nicht gerne umgeben. mit manchem muss man wohl, aber sie sind nicht meine vorbilder.
ich glaube, zum menschsein gehört das leid einfach dazu. auch wenn das in den medien abgewehrt wird. wir lernen, das alles perfekt sein muss, man immer glücklich sein muss, und wer leidet oder an dem gesellschaftswahn nichts findet muss krank sein oder verrückt. sehe ich nicht so. leid hat immer dazugehört. wenn man es annimmt, kann man bei weitem besser damit umgehen, als wenn man es für etwas "untypisches" hält. wenn ich glaube, leid wäre ein nicht normaler menschlicher zug, sitze ich einer lüge vom wesen mensch auf.

wunden, egal wie verheilt - können immer mal aufreissen - oder bei wetterumschwung schmerzen. wie die körperlichen so auch die seelischen. es bleiben narben. auch das. aber genau das macht den menschen zum menschen - zum individualisten.

_________________
Glück ist kein Recht sondern eine Einstellung
Find all posts by lilu
DarkRacer
sporadischer Gast
sporadischer Gast


Posts 16
Wohnort Zürich CH
M, 21


Post Thu, 14.Jul.05, 14:37      Re: Vergangenheitsbewältigung Reply with quoteBack to top

Ich danke euch beiden Smile

Manchmal hat man das Gefühl, man stehe allein mit all diesen Dingen auf der Welt da und dann lernt man Menschen kennen, die genau das gleiche (ihren Umständen entpsrechend natürlich) durchgemacht haben. Es ist nicht Mitleid oder zu wissen, dass man allein da steht, was einem hilft. Sondern vielmehr der Gedanke, dass es da draussen Menschen gibt, die einfach zuhören und verstehen.

Ich probiere das nächste Mal diese Stimmungsschwankung zu verstehen. Vielleicht ist es sogar ein Hinweis auf etwas... anstatt dagegen anzukämpfen muss ich es eventuell zulassen. Mal probieren - und hoffen, dass der Partner das noch einige Male weiter mit durchmacht Wink

_________________
Gewinne erst, kämpfe später!
Find all posts by DarkRacer
Werbung
Display posts from previous:      
Post new topic Reply to topic