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Lotta
sporadischer Gast
5
Ba-Wü , 27
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Thu, 30.Jun.05, 0:51 Borderline im Alltag |
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Mein Name ist Lotta und ich bin eine Borderline-Persönlichkeit.
Ich weiß erst seit ca. einem Jahr, dass mein Lebensgefühl von wegen "ich bin irgendwie anders" einen realen Hintergrund hat. Mache eine Therapie, die mir sehr hilft (viel nonverbale Arbeit, unter anderem am und mit dem Körper, malen, tanzen, imaginieren, Rollenspiele). Ich hatte da auch schon einige "Durchbrüche", so dass ich mich schon viel besser fühle (im wahrsten Sinne, ha ha) als noch vor Beginn der Therapie.
Was nach wie vor aber überhaupt nicht klappt, ist die Organisation meines Lebens. Das berührt jetzt alle möglichen Bereiche. Fangen wir mal mit was ganz praktischem an. Ich kriege es dann zum Beispiel nicht gebacken, mich um meine finanziellen Angelegenheiten zu kümmern. Weder, wenn es darum geht, Gelder, die mir eigentlich zustehen zu beantragen, noch Rechnungen usw. zu überweisen. Das ist so ein Bereich, da will ich gar nicht hingucken. Und das merke ich dann gar nicht, dass das so ist. Wie in so einer Art Trance. Also ich lege ankommende Rechnungen mit einem schlechten Gewissen auf den Stapel, "das mach ich später", und dann mache ich es natürlich überhaupt nicht. Hab da eine ganz krasse Abwehr, mich auf den Scheiß einzulassen. Und das bescheuertste ist ja noch, dass ich, wenn ich mich dann mal kümmere, mich dabei eigenltich immer voll gut fühle. Also dafür, dass ich den Kram erledige und nicht erst wieder warte, bis der Brief von der Inkasso-Firma eintrudelt oder auch mal vom Vollstrecker.
Ich kapiere das selbst nicht, was ich da für ein Muster wiederhole. Wider besser Vernunft. Das hat was ganz Zwanghaftes an sich. Hab schon überlegt, ob das nicht eine besonders perfide Form selbstschädigenden Verhaltens ist, was der Borderliner "an sich" ja gerne mal zelebriert. Weil ich WEISS ja, dass ich es einfach nur machen muss. Aber ich mache es einfach nicht. Also ich meine, ich kann dann nicht. Und ich will auch nicht. Und ich will nicht, weil ich sowieso nicht kann. Und ich kann nicht, weil ich nicht will. Und habe da nur einen mords Hass und eine irrsinnige Abwehr und mache das nicht.
Ja, und so ist das auch, wenn ich an der Uni eine Hausarbeit schreiben muss. Ohje. Jetzt betreten wir sensibles Gebiet. Empfinde es gerade als ganz, ganz gefährlich, mich diesem Thema, und dann auch noch öffentlich, zu "stellen", mich da zu öffnen und damit angreifbar zu machen. Weil mit Angriff in irgendeiner Form rechne ich da automatisch. Ist nämlich so, dass ich mittlerweile im 12. Semester bin, und in meinem ganzen Studium erst eine einzige Hausarbeit geschrieben habe. Übrigens eine 1,0, bezeichnenderweise. Und ich studiere eine geisteswissenschaftliche Kombination, wo Hausarbeiten noch und nöcher gefordert werden. Es ist unglaublich, dass ich überhaupt so weit in meinem Studium gekommen bin. Jetzt stehen jedenfalls seit geraumer Zeit wieder so einige Hausarbeiten an, und ich schreibe sie nicht. Genau, wie bei den Rechnungen. Ich will ja, aber ich kann nicht. Aber eigentlich will ich auch gar nicht. Ich bin drei Jahre alt und habe einen Trotzanfall.
Also das waren jetzt mal so zwei Bereiche meines Lebens, wo es hinten und vorne nicht klappt und diese bescheuerte Abwehr mich blockiert und ich mich im Kreis drehe, und eigentlich schon alles WEISS, aber nichts TUN kann.
Vielleicht kennt jemand von Euch ja ähnliches und hat ne Idee, wie ich meine Abwehr irgendwie austricksen könnte.
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Hans-Jörg
Forums-Gruftie
581
Süddeutschland M, 40
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Thu, 30.Jun.05, 10:50 Re: Borderline im Alltag |
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Hi Lotta,
meinst Du, dass Du Dich dagegen (unbewusst) wehrst, weil Du es tun musst? Oder magst Du diese Dinge einfach nicht, würdest etwas Ähnliches auch freiwillig nie in Erwägung ziehen?
Also ich habe die ganzen letzten 10 Schuljahre mich erfolgreich geweigert Hausaufgaben zu machen und trotzdem einen Abschluß bekommen. - Ist natürlich etwas anderes an der Uni.
Diese Finanzgeschichten, auch solche, bei denen man Geld bekommt, mache ich auch nicht gerne und verpasse da sicherlich das Eine oder Andere. Wut bekomme ich dann eher auf das umständliche System, das einen zu soetwas nötigt, als auf mich selber.
Wie Du die Abwehr austricksen könntest, weiß ich auch nicht. Wenn ich etwas nicht will, bleibe ich in der Regel recht stur, was nicht immer zu empfehlen ist.
In einem anderen Thread schreibst Du:Quote: | ...Für mich bedeutet Borderline als tausendjähriges Kind zu leben. Mein Verstand ist wach und schnell, aber er kann meine emotionale Unreife nicht kompensieren. |
Siehst Du Deine Emotionen generell eher als kindisch an oder nur in manchen Bereichen?
Warum möchtest Du diese "emotionale Unreife" kompensieren? - Weil es nicht in das Gesellschaftsbild eines Erwachsenen passt?
Ich habe auch kindische Züge an mir (bin aber kein Borderliner), empfinde sie jedoch nicht als störend oder fremd, auch nicht als Gegensatz zu einen wachen Verstand. Wollte sie wohl gar nicht missen.
LG Hans-Jörg
PS: wäre gern ein tausendjähriges Kind
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Lotta
sporadischer Gast
5
Ba-Wü , 27
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Thu, 07.Jul.05, 8:00 Re: Borderline im Alltag |
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Hallo Hans-Jörg.
Du wunderst Dich vielleicht, dass ich jetzt erst antworte. Es ging mir mit dem Forum wie mit den Hausarbeiten und den Rechnungen...
Hans-Jörg wrote: | meinst Du, dass Du Dich dagegen (unbewusst) wehrst, weil Du es tun musst? Oder magst Du diese Dinge einfach nicht, würdest etwas Ähnliches auch freiwillig nie in Erwägung ziehen? |
Na die Rechnungen mag ich einfach nicht. Mit meinem Studium bin ich nicht so sicher. Im Grunde interessieren mich die Inhalte ja schon. Und ich möchte ja auch irgendwann mal einen Abschluss haben. Das weiß ich so halbwegs, aber ich fühle es nicht. Was ich fühle ist: ich muss.
Quote: | Siehst Du Deine Emotionen generell eher als kindisch an oder nur in manchen Bereichen?
Warum möchtest Du diese "emotionale Unreife" kompensieren? - Weil es nicht in das Gesellschaftsbild eines Erwachsenen passt?
Ich habe auch kindische Züge an mir (bin aber kein Borderliner), empfinde sie jedoch nicht als störend oder fremd, auch nicht als Gegensatz zu einen wachen Verstand. Wollte sie wohl gar nicht missen. |
Das ist sehr schwierig für mich zu beantworten. Ich sehe meine Emotionen nicht generell als kindisch an. Bei "kindisch" schwingt mir auch sone kleine Abwertung mit. Möchte das lieber als kindlich begreifen.
Meine Struktur basiert auf einem versäumten Individuations- oder Ablöseprozess. Genau wie ein kleines Kind kriege ich jeden Gefühlseindruck in seiner vollen, nicht relativierten Breitseite ab, ich hab keine Möglichkeit, dies zu regulieren. Den Entwicklungsschritt "Gefühlsregulativ" hab ich nie vollzogen. Und weil die erwachsene Psyche anders als die kindliche diese Spannungen nicht halten kann, haben sich dann Spaltungs-, Verdrängungs- und andere Abwehrmechanismen entwickelt. Das meine ich mit emotionaler Unreife. Wenn die Spannung zu stark wird, bin ich dem hilflos ausgeliefert. Das ist dann zB. so, wenn ich wütend werde, bebt die Erde. Ich mache Schönes kaputt oder sage zu Menschen die mir nahe stehen Dinge, die unverzeihlich sind. Und Intellekt ist keine Hilfe. Es ist im Gegenteil ja gerade so schrecklich, auch in jenen Momenten zu wissen, wie das alles funktioniert, WAS gerade mit mir passiert, dass ich mein Verhalten später bereuen werde - und trotzdem nicht anders kann.
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Hans-Jörg
Forums-Gruftie
581
Süddeutschland M, 40
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Thu, 07.Jul.05, 13:23 Re: Borderline im Alltag |
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Hallo Lotta,
na, hier im Forum ist es aber total freiwillig.
Was ich meinte, wenn Du keinerlei Druck, sei es von innen oder außen hättest, ob Du dann solche Dinge, wie die Hausarbeiten des Studiums in Erwägung ziehen würdest.
Mir geht es öfter so, sobald ich nicht meine zu müssen, macht es mir Spaß.
Aber manipulieren lässt sich das natürlich nur schwer.
Kindisch - kindlich, ist müßig diesen Unterschied herauszudefinieren.
Mit dem Individuationsprozess habe ich wohl keine Probleme. Ich glaube eigentlich ziemlich genau zu wissen, wer/wie ich bin. Beim Ablöseprozess hingegen mag es schon etwas anders aussehen.
Du schreibst, wenn Du wütend wirst, machst Du Schönes kaputt, weißt dass Du dieses Verhalten später bereuen wirst - und trotzdem nicht anders kannst.
Hier sehe ich einen Ansatzpunkt an Dir/Deinem Verhalten zu arbeiten.
Meiner Meinung nach hast Du auch in solchen Situationen eine gewisse Kontrolle über Dein Handeln - sonst wären die Auswirkungen viel gravierender.
Ich z.B. schaffe es auch in großer Wut noch zu selektieren, was ich zerstöre. Also quasi etwas weniger Wertvolles zu nehmen.
Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich an verschiedenen Stellen im Haus extra Sachen mit mäßigem Wert plazierte, um sie griffbereit zu haben, im Falle eines großen Wutanfalles.
Videokasetten kann ich übrigens sehr empfehlen. Wirft man sie mit Kraft auf den Boden zerplatzen sie wunderschön mit lautem Knall und ihre Scherben fliegen meterweit im ganzen Zimmer herum. Das hat mir oft eine Befriedigung/Erleichterung verschafft. Und doch sind ihre Plastikteile beim Aufräumen mit Glasscherben nicht zu vergleichen.
Bei mir allerdings war es so, je größer die Wut, desto größer der Wunsch etwas wirklich Wertvolles zu zerstören.
Ich habe aber auch gelernt, immer öfter erst abzuwägen, ob das jetzt überhaupt nötig ist.
Im Laufe der Zeit konnte ich (teilweise unbewusst) diese Kontrollmöglichkeit stets weiter ausbauen.
Heutzutage klappt es recht gut, meine Wut im Zaum zu halten.
Wie sieht es bei Dir mit anderen (positiven) kindlichen Eigenschaften aus? Ich z.B. lache sehr gerne, über fast jeden Mist. Da zieht kein anderer mehr mit.
Liebe Grüße
Hans-Jörg
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slave
Forums-Gruftie
785
CH W, 24
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Thu, 07.Jul.05, 13:37 Re: Borderline im Alltag |
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hier noch mein senf:
Ich KANN, weil ich WILL, was ich MUSS war glaub ich von lenin ....
lg
slaVe
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_________________ Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
Don't cry.... say f*ck you and smile! |
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al-musafir
sporadischer Gast
11
Leipzig M, 22
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Sat, 09.Jul.05, 20:13 Re: Borderline im Alltag |
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hi lotta!
ja... doch... das kommt mir irgendwie bekannt vor. ging mir lange zeit ähnlich. es fiel mir immer unglaublich schwer, die dinge zu überblicken! so viel kram zu erledigen... und nicht wissen, wo man anfangen soll... und es dann am besten aufschieben, weil da auch so eine vage angst mitschwingt. ich habe probleme dabei, aufgaben und zeiträume auf einander abzustimmen. ich kann mir zieträume schlecht vorstellen - und deshalb würde ich ohne terminplaner, kalender und to-do - listen nicht überlebensfähig sein. ich hänge quasi in einem endlosen JETZT fest und kann mir MORGEN oder NÄCHSTE WOCHE nicht richtig vorstellen. und alles was ich mir nicht vorstellen kann, macht mich nervös und wütend...und das semester ist vorbei und man guckt in die röhre. mir hilft ein korsett aus festen gewohnheiten durch die zeit zu kommen. keine ahnung, ob das gut ist oder schlecht, aber gute planung ist der halbe erfolg - auch an der Uni...
liebe grüße!
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