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der_stille
sporadischer Gast
29
M, 34
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Mon, 15.Nov.04, 1:54 ... weil wir uns nicht (er)kennen, zerstören wir uns... |
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Hallo @all!
... in einer Gesellschaft, die getrieben wird von einem permanenten Denken an die Zukunft, wird die Gegenwart gegenstandslos... wir jagen einer Zukunftsvision hinterher, um dann - wenn angekommen - wieder enttäuscht zu sein...
... durch die ständige Suggestion, individuell, flexibel und global zu sein, ist eine dekadente Masse entstanden, eine Generation Planlos, die gemessen wird an den Erfolgen ihrer Eltern... wie ein Damoklesschwert schwebt über uns der Druck der Zeit endlich anzukommen und doch haben viele mit 35 noch keine Hafen gefunden und rudern ziellos in einer diffusen Reizüberflutung... alles macht Angst und wird zu Angst...
... die Vorgaben, wir, sind so ambivalent, dass viele sich jeden Tag neu erfinden müssen, um diesen Druck standzuhalten... und Authentizität wird sogar in der Beziehung zum Makel... wir wägen sogar Gefühle in Hinblick auf ein eventuelles Risiko ab und werfen das Handtuch, um vielleicht einen besseren Zug in die nächste Misere zu bekommen...
... dabei verlernen wir uns zu erkennen und haben als Konsequenz Angst davor... wir können nicht mehr mit uns allein sein, denn die private Person wurde eliminiert... sie wurde einem zweifelhaften Morgen geopfert, indem alles wieder gut wird...
... wir betreiben Raubbau mit unserem seelischen Gleichgewicht und wundern uns, wenn sich unser Bewusstsein gegen uns wendet... wir zerstören uns dabei immer ein Stückchen mehr...
... laute Worte in einer leisen Nacht
... der stille
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Tintenherz
Helferlein
74
BaWü W, 43
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Mon, 15.Nov.04, 13:27 Re: ... weil wir uns nicht (er)kennen, zerstören wir uns... |
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Hallo ,
da hast du zu später Stunde etwas sehr wahres niedergeschrieben,
etwas worüber ich schon sehr lange nachsinne und es in wachsendem Maße in unserer Zeit und Gesellschaft wiederfinde.
Ich stelle auch mit gewisser Sorge sogar hier im Forum fest, daß viele der insbesonderen jüngeren Schreibenden den Eindruck vermitteln gar nicht in ihrer ganz eigenen Mitte zu sein.
Fast kann man sagen, es gibt sogar eine dezente Tendenz sich die Probleme anderer wie eine Ersatzhaut überzustreifen, weil man über sich selbst kaum was zu erzählen hat, bzw. sich in seinem Sein nicht genügend wiederfinden kann.
Das meine ich in keinster Weise böse, sondern eher besorgniserregend,
denn in meinen Augen birgt dies die Gefahr relative Probleme überzugewichten oder unnötig auszuweiten.
Leider kann ich mich auch des Verdachts nicht erwehren, daß in unserer Gesellschaft sich ein Phänomen ausbreitet, welches ich als Überdruss, ja, mitunter Langeweile bezeichnen würde -
etwas was in in einem 3.Weltland nicht passieren würde.
Ich wage mal zu behaupten, daß in den ärmeren Ländern unserer Welt Depressionen und psychische Erkrankungen weit weniger verbreitet sind.
Ich persönlich bin auch nicht immer und ausschließlich im Gleichgewicht, doch hab ich viel getan um mich selbst zu finden bzw. mich nicht aus den Augen zu verlieren.
So lebe ich nun bereits seit fast sieben Jahren sehr bewußt allein mit meinem Sohn, halte einen überschaubar großen Kontakt und Austausch zu mir wichtigen Menschen, und fühle mich damit endlich weitestgehend gut.
Früher war das sehr anders. Ich war nur am rennen, von Ort zu Ort, von einer Beziehung in die nächste -
hauptsache rennen, um nur nicht mir selbst zu begegnen.
Also, danke nochmal für den Denkanstoß, und alles Gute
Tintenherz
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_________________ Eigenliebe ist der Beginn einer lebenslangen Romanze (Oscar Wilde) |
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GGG
Forums-InsiderIn
150
Hamburg M, 22
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Mon, 15.Nov.04, 20:45 Re: ... weil wir uns nicht (er)kennen, zerstören wir uns... |
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der_stille wrote: | und doch haben viele mit 35 noch keine Hafen gefunden und rudern ziellos in einer diffusen Reizüberflutung... alles macht Angst und wird zu Angst... |
In diesem Sinne beneide ich die Menschen die einen Glauben haben. Ich halte es für sehr verlockend, seine Existens an einen Gott zu klammern. Die Menschen im Mittelalter haben ihr Leben als "irdisches Jammertal" gesehen, welches sie zu durchschreiten hatten um dann die Erlösung im Himmel zu finden.
Orientierungslosigkeit stellt immer eine Gefahr dar. Es ist leichter, einen ziellosen Menschen in eine bestimmte Richtung zu lenken. Viele Sekten setzt hier an.
Die Menschen sehnen sich nach "Normalität", nach einer festen Ordnung, vor allem etwas an dass sie glauben können. Ich denke die Nationalsozialisten habe das in Deutschland ausgenutzt. Einer ziellosen Epoche (der Weimarer Republik) konnte eine feste Ordnung und vor allem der allzu verlockende Glaube an die Überlegenheit der eigenen Rasse entgegengesetzt werden. Dieser Glaube ließ uns deutsche bis zum allerletzten Atemzug kämpfen.
Ein schreckliches Beispiel dafür, was passiert, wenn ein ganzen Volk den falschen Hafen gefunden hat...
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marie32
Forums-InsiderIn
334
Rhein-Main W, 34
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Sun, 21.Nov.04, 13:43 Re: ... weil wir uns nicht (er)kennen, zerstören wir uns... |
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hallo stiller,
hab lange nachgedacht, was ich zu deinem "düsteren" posting sagen möchte...
ich denke, wir haben immer zwei möglichkeiten, mit entwicklungen, die uns "negativ" erscheinen, umzugehen. wir können sie ausmalen und in düstere hoffnungslosigkeit versinken. oder wir können dem bewußt etwas positives entgegensetzen.
ich glaube, dass es haufenweise menschen gibt, die auf der suche sind. die ganz genau spüren, dass es das, was du beschreibst, NICHT ist. dass sie eben nicht gelebt werden wollen, sondern selber leben möchten.
ich glaube, dass es ein unendliches geschenk ist, dass wir uns jeden tag neu entscheiden können. dass wir immer und immer wieder bis zu unserem tod die möglichkeit haben, unsere haltung zu verändern. und durch diese (hoffnungsvolle, liebevolle, achtsame, positive oder wie auch imemr man es nennen will) haltung die wirklichkeit um uns herum.
ich glaube, dass man sich bewußt für hoffnung entscheiden und dadurch der entwicklung, die du oben beschreibst, etwas entgegensetzen kann, statt sie zu bestätigen. für eine positive lebenseinstellung, die auf nichts äußeres gerichtet ist, sondern lediglich auf den glauben, dass das leben es gut mit uns meint.
kurzum: hab einen text gefunden, der das, was du hier düster ausmalst, postitiv/ hoffnungsvoll (und damit in meinem sinne ) beschreibt:
Was wir sein werden
Die neuen Menschen sind schon unter uns.
Mit ihrem Leben arbeiten sie an einer neuen Wirklichkeit
und wollen sie mit uns teilen.
Der neue Mann und die neue Frau werden nicht das Bedürfnis haben,
gebraucht zu werden, und doch wird die Welt sie brauchen, um zu überleben.
Sie werden gelernt haben, in sich vollständig zu sein.
Da wird keine Rede von der besseren Hälfte sein und kein Wunsch, jemanden oder etwas zu gehören, um wertvoll zu sein.
Sie werden der Konkurrenz absagen, großzügig sein und Situationen schaffen, in denen alle gewinnen.
Sie werden in der sichtbaren Welt zu Hause sein,
sowie in der Welt, die nur mit den Augen der Hoffnung zu sehen ist.
Sie werden allem, das Leben fördert, verbunden sein.
Sie werden wissen, dass die Zeit kostbar ist,
und trotzdem nicht unruhig und ungeduldig werden.
Sie werden realistisch sein und doch die Hoffnung nicht verlieren.
Sie sind Menschen der Wahl und der Selbstbestimmung.
Sie lassen sich nicht von anderen leben und leben nicht das Leben anderer.
Sie haben ihr Leben gewählt.
Sie haben sich für Werte entschieden und sie nicht nur geerbt.
Sie haben ihre Sorge für den Einzelnen mit der Sorge für die Welt verbunden
und opfern die eine nicht für die andere.
Sie werden die Hilflosen ehren und den Leidenden helfen.
Sie werden mit ihrem Wesen wissen, dass wir eine unzertrennliche Familie sind.
Sie wissen, dass alle wahre Veränderung die Veränderung des Herzens ist,
und lassen sich so nicht mit Sprüchen und Lobreden fangen.
Ihr Leben ist ausgewogen, aber nicht ohne Leidenschaft
und doch nicht nur ihren Gefühlen unterworfen.
Sie begreifen, dass regieren dienen heißt und echt sein verantwortlich zu werden heißt.
Sie verstehen, dass hassen morden ist, erst sich selbst und dann, dass was man hasst.
Sie werden durchschauen, was keinen bleibenden Wert hat, und es nicht für sich wählen.
Sie werden ihr Leben nicht anfüllen mit dem, was sie entleert und von dem ablenkt, was ihnen wichtig ist.
Sie werden keine Angst vor der Angst haben,
weil sie schon lange wissen, dass Einsichten aus der Angst erwachsen können und Einsicht oft der erste Schritt zur Veränderung ist.
Ihre Angst lähmt sie nicht, aber sie gibt ihnen eine Dringlichkeit, in der sie sorgfältig und genau arbeiten, mitten in ihrer Vision für eine bessere Welt.
Sie lassen sich nicht entmutigen von dem Gedanken der Erbsünde,
weil sie an den Erbsegen glauben.
Ihr Gott hat eine grenzenlose Leidenschaft für die Welt, und von Gott lernen sie diese Leidenschaft.
Ihr Leben besteht aus einem Stück.
Sie können nicht hier hassen und dort lieben,
sie können nicht gleichzeitig verachten und fördern,
sie können nicht blind für eine und unaufmerksam für eine andere Sache sein,
weil sie schon lange begriffen haben, dass alles miteinander verbunden ist, weil wir nur ein Herz in uns tragen.
Diese neuen Menschen werden eine neue Welt herbeibeten, herbeiglauben, herbeilieben, herbeihandeln.
Sie werden nicht aufgeben, auch wenn es finster aussieht.
Bedingungslos lieben sie die Welt und wollen sie retten,
und nichts wird sie davon abhalten.
Ulrich Schaffer
viele grüße von
marie
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littlemonsta
Helferlein
60
Leipzig W, 23
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Fri, 26.Nov.04, 0:13 Re: ... weil wir uns nicht (er)kennen, zerstören wir uns... |
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@ tintenherz & v.a. marie,
danke, auch wenn ich weine über eure texte und vor allem dein zitat marie.
ich weine im bewusstsein meines lebens das ich führe, und danke für die replikation meiner gedanken.
die leider nicht sind was mein leben (noch) ist.
das monsta
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_________________ kein gedanke
kein wort
und keine tat
geht verloren
alles bleibt
und trägt früchte |
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