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Tintenherz
Helferlein
74
BaWü W, 43
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Sun, 31.Oct.04, 22:13 fühle mich wie Don Quichote |
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hallo,
ich glaub ich möcht gar nicht, daß all zu viele zurückschreiben, zu dem was ich erzählen möchte, ich glaub, ich möchte wenn überhaupt nur ein paar liebe Worte hören.
Also, heute früh, und nach einer heftigen Nacht in der alle Geräte liefen, also Sauerstoff, Monitorüberwachung der Vitalwerte, Absauggerät, fast vierzig Fieber - war dann klar, wir schaffen es nicht, wir müssen in die Kinderklinik.
Wißt ihr, mein Sohn war so oft im Krankenhaus, das ich inzwischen die fünfte DinA4 Seite mit seinen Klinikaufenthalten begonnen habe.
Die Lungenentzündung die er diesmal hat, ist auch nicht so schlimm wie manch eine andere zuvor. Wir sind sehr lieb aufgenommen worden, alle Untersuchungen sind gut und feinfühlig gemacht worden, ich fühlte mich ernst genommen, und die ersten Blutwerte und das Röntgenbild bestätigten auch, daß ich genau richtig gehandelt habe, denn sonst wäre es wömöglich die Intensivstation geworden, oder wir hätten uns daheim heillos überfordert.
Als dann etwas Ruhe einkehrte, mein geliebter kleiner Sohn seinen Zugang hatte, versorgt war und auch endlich ruhiger wurde, löste sich auch bei mir die Anspannung una alle Professionalität entglitt mir am Bett meines Kindes.
Ich weinte wie schon lang nicht mehr, ein tonloses Tränenmeer bahnte sich seinen Weg, wollte auch keon Taschentuch, nur weinen...
Wenn nicht etwas unvorhergesehenes eintritt, wird mein Spätzchen auch diese Hürde schaffen - er hat schon ganz andere geschafft, weil er ein unheimlich starkes Kind ist, weil er sein Leben liebt, und weil er weiß, daß ich ihn liebe.
Aber plötzlich war da diese Kraftlosigkeit bei mir, und damit meine ich nicht die Angst vor seinem Tod, das war es gar nicht.
Ich saß an seinem Bett, ich hielt die kleinen, fieberwarmen Hände, ich liebkoste mit den Augen sein geliebtes Gesichtchen, und ich weinte, weil ich an den Himmel denken mußte, und wie lange sich mein Kind noch quälen muß mit jeder weiteren Pneumonie und jedem weiteren Krampfanfall.
Ich dachte wirklich für einen Moment, nimm ihn doch jetzt zu dir, jetzt wo er so friedlich schläft, nicht erst wenn die kleine Lunge komplett dicht ist und er an seinem Schleim erstickt.
Natürlich wird er Medikamente bekommen, wenn es soweit ist, aber ich habe Angst, daß seine Augen mir in jenem letzten Moment etwas anderes sagen werden, nämlich daß er nicht versteht was mit ihm geschieht.
Und ich muß ihm dann sagen, mein geliebtes Kind, jetzt weiß auch deine Mama nicht mehr weiter, und ich habe Angst, daß das ganz schlimm für ihn sein muß, weil er sich immer auf mich verlassen konnte und ich immer bei ihm war.
könnt ihr verstehen was ich meine ?
Wir wohne nur fünf Minuten von der Kinderklinik entfernt, und ich habe mich entschlossen daheim zu schlafen, weil ich morgen wie immer von sieben bis zum Abend bei ihm sein werde.
Die Nachtschicht, die ich sonst ja seit über sechs Jahren zuhause auch noch mache, ich brauch einfach mal etwas Abstand.
Ich geh jetzt gleich ins Bett, dann geht es morgen auch wieder, und dann werde ich ihm vom Regenbogen erzählen, oder wie es war als er noch in meinem Bauch war. Er liebt diese Geschichten so sehr.
liebe Grüße, Tintenherz
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_________________ Eigenliebe ist der Beginn einer lebenslangen Romanze (Oscar Wilde) |
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Annemarie
Moderatorin
1682
Oberösterreich W, 45
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Sun, 31.Oct.04, 22:33 Re: fühle mich wie Don Quichote |
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Liebe Tintenherz, ich wünsche Dir ganz viel Kraft!
Ich möchte Dir sagen, ich denke an Euch und weine mit Dir..
Alles Gute!
Annemarie
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_________________ Liebe ist das Fundament des Lebens |
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Pims
sporadischer Gast
25
.at W, 18
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Sun, 31.Oct.04, 22:55 Re: fühle mich wie Don Quichote |
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Als ich das gelesen habe musste ich weinen...
Dein Sohn hat ein Glück, so eine starke Mutter zu haben, und du hast Glück, so einen starken Sohn zu haben...
Ich wünsch euch alles Liebe...
*ganz fest drück*
Pims.
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Naomi
[nicht mehr wegzudenken]
2093
Wien W, 42
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Mon, 01.Nov.04, 21:25 Re: fühle mich wie Don Quichote |
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liebe tintenherz,
auch ich fühle mit euch. ich bewundere dich und deine kraft. ich wünsche euch beiden noch eine wunderschöne zeit miteinander, und es ist so schön, dass dein junge den weg seiner krankheit nicht alleine gehen muss, sondern von dir so liebevoll begleitet wird. in wahrheit ist es doch so, dass wir alle früher oder später sterben müssen und wir es gerne verdrängen, nur dir ist es durch deinen schwerkranken jungen ganz bewusst. du wirst andererseits bestimmt mehr davon wissen, was das leben eigentlich ist, und wirst jeden moment des glücks genießen können. ist es nicht so? auf der anderen seite ist die traurigkeit. was machst du eigentlich, um selbst wieder kräfte aufzutanken?
ja, und der "don quijote" hat zwar gegen ein imaginäres heer gekämpft (windmühlen), aber er hatte jedenfalls träume von der liebe zu seiner dulcinea und seinem rittertum, denen er treu geblieben ist, und das ist doch viel wert, wenn ich das mal so sagen darf.
alles gute dir und deinem jungen und dir viel kraft.
lg, naomi
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_________________ I beg your pardon, I never promised you a rose garden. |
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Tintenherz
Helferlein
74
BaWü W, 43
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Mon, 01.Nov.04, 22:46 Re: fühle mich wie Don Quichote |
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Hallo ihr Lieben,
jetzt haben mich eure lieben Worte wirklich etwas aufgemuntert, und es ist auch genau das richtige Maß gewesen.
Wißt ihr, mein Sohn und ich werden an manchen Tagen überschüttet mich Mitleid, und das können wir beide nicht gut ab.
Ich glaub mein Spätzchen schätzt an mir besonders, daß ich ihn immer wie ein Kind behandelt habe, Krankheit hin Krankheit her - Trost und Fürsorge bei Krankheit, aber niemals Worte der Art "ach, mein armes Kind" - denn das ist er nicht.
Und ich auch nicht, im Gegenteil, wir sind reicher als manch ein anderer, weil die Liebe zwischen uns echt ist, und wir uns beide gegen Heucheleien verwehren.
Da setzt selbst er Signale, wohl nicht mit Worten, aber mit seinen Augen oder der Art wie er sich an einem festhält, und in ganz guten Zeiten streckt er auch mal ein Bein aus und wehrt ab.
Ich finde das großartig und habe ihn immer nach Kräften unterstützt in seinem Drang dabeisein zu wollen, das habe ich ihm kurz nach seiner Geburt versprochen, und das gilt bis heute noch.
Zwischen uns ist eine sehr tiefe Liebe gewachsen, und die wird auch bleiben, egal wieviel Zeit noch verbleibt.
Heute hatten wir einen sehr innigen Tag miteinander, haben den kleinen Prinzen gehört, ein wenig Janosch vorgelesen und waren sogar kurz aus dem Zimmer raus.
Wohl mit Sauerstoff und Mundschutz, aber immerhin kurz mal ins Spielzimmer geschaut, wo er auch prompt mit einem anderen sehr kranken Jungen Freundschaft schloß - und ich mit dessen Mutter ein sehr gutes und viel zu kurzes Gespräch führte.
Morgen ist große Visite, und dort treffen wir dann einen Arzt, der uns schon von Anbeginn begleitet, und der durch seine Offenheit mir über all die Jahre eine riesige Hilfe war.
@ Naomi
Kräfte sammle ich oft in einer Tasse Kaffee, oder vereinzelten Gesprächen.
Im Krankenhaus habe ich immer mein Tagebuch dabei und grundsätzlich auch ein gutes Buch - ich lese eh gern und viel.
Wenns paßt und wir Hilfe haben leg ich mich gern auf eine halbe Stunde aufs Sofa und höre Musik über Kopfhörer, du glaubst gar nicht wie gut Maria Callas mir schon geholfen hat mich wieder zu sortieren.
Mittags halten wir meist gemeinsam Siesta in meinem großen Bett, und wenn dann mein Kerlchen aufwacht und mit einer irrsinns Mühe seinen kleinen Arm um meinen Hals legt oder meine Haare fängt -
dann ist eh aller Kummer wie fortgeweht.
Ja - ich weiß um die Bedeutung des Lebens und was mitunter Sekunden bedeuten können.
Und mir tut das Schreiben hier mit euch gut
bis morgen Abend, Ulrike
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_________________ Eigenliebe ist der Beginn einer lebenslangen Romanze (Oscar Wilde) |
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Naomi
[nicht mehr wegzudenken]
2093
Wien W, 42
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Tue, 02.Nov.04, 19:22 Re: fühle mich wie Don Quichote |
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liebe tintenherz,
Tintenherz wrote: |
Ich finde das großartig und habe ihn immer nach Kräften unterstützt in seinem Drang dabeisein zu wollen, das habe ich ihm kurz nach seiner Geburt versprochen, und das gilt bis heute noch.
Zwischen uns ist eine sehr tiefe Liebe gewachsen, und die wird auch bleiben, egal wieviel Zeit noch verbleibt. |
er hat bestimmt sehr viel von deiner kraft und liebe abbekommen, da du ihn immer leben hast lassen. wie alle kinder in dem alter schließt er sofort freundschaften. das ist ein zeichen, dass er trotz allem kind ist und es auch sein darf. ich finde es wirklich bewundernswert, wie du das alles machst, wenn ich das so sagen darf.
kaffe trinken, gute sachen lesen, tratschen, musik hören, das sind auch tatsächlich dinge, bei denen man gut kraft tanken kann. es ist sehr schön, dass dir diese dinge viel geben und du dich dabei auch wieder sammeln kannst. ganz wichtig ist auch, dass du in dem arzt einen guten begleiter gefunden hast. gerade in so schwierigen situationen ist es wichtig, gute leute zu haben. vielleicht findest du ja auch noch eine selbsthilfegruppe, damit du dich mehr mit anderen eltern in deiner lage austauschen kannst. gibt es sowas bei dir in der nähe?
alles liebe euch weiterhin. ich hoffe, deinem kleinen ging es heute wieder ein stückchen besser.
lg, naomi
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_________________ I beg your pardon, I never promised you a rose garden. |
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berjaya
sporadischer Gast
6
Melk W, 51
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Sun, 07.Nov.04, 20:57 Re: fühle mich wie Don Quichote |
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Hallo Ulrike,
habe jetzt erst deine Zeilen gesehen und weiß natürlich nicht, ob du nochmals einsteigst.
Ja, ich weiß aus eigener Erfahrung, wovon du sprichst, jedes einzelne Wort. Habe meinen kleinen Sohn lange Jahre begleitet.
Es freut mich sehr, daß du und dein Kind so eine innige Beziehung habt. Das bleibt. Ich kann aber auch nachfühlen, daß Tränen kommen und man sollte es auch zulassen, es erleichtert.
Es klingt so, als kümmerst du dich alleine um ihn. Es ist aber auch wichtig, daß du jemanden hast, bei dem du dich aussprechen und ausweinen kannst. Laß auch deine Schwäche zu, er versteht es und er weiß bereits viel mehr als wir.
Vielleicht schreib ich etwas durcheinander, wühlt mich auch auf .... Wenn du einmal das Bedürfnis hast, dich "auszureden" , schreib mir
Viel Kraft für euch
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_________________ berjaya |
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Tintenherz
Helferlein
74
BaWü W, 43
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Tue, 09.Nov.04, 21:49 Re: fühle mich wie Don Quichote |
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Hallo ihr Lieben,
ich hab mich in der letzten Woche ziemlich rar gemacht, doch dafür kann ich euch heute erzählen, daß es morgen heim geht
Wir haben gekämpft wie zwei Löwen, sind jetzt zwar reichlich groggy, doch das holen wir wieder auf.
Jetzt bin ich zunächst einfach nur froh mit meinem Sternchen wieder zuhaus zu sein.
Ah ! Fast vergessen - und ich habe jetzt auch nach zähem Ringen 20 Std. Hilfe pro Woche durch die Krankenkasse bewilligt bekommen !
@berjaya : danke für deine Zeilen, und gerne würd ich mal per PN schreiben.
Ich drück euch jetzt alle mal von Herzen
Tintenherz
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_________________ Eigenliebe ist der Beginn einer lebenslangen Romanze (Oscar Wilde) |
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Annemarie
Moderatorin
1682
Oberösterreich W, 45
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Wed, 10.Nov.04, 1:33 Re: fühle mich wie Don Quichote |
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Liebe Tintenherz,
das war so schon ein sooo toller Tag ... aber Deine Nachricht übertrifft alles!
Alles Liebe und erholt Euch nun gut
Annemarie
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_________________ Liebe ist das Fundament des Lebens |
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