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Micky
Forums-InsiderIn
213
Schweiz W, 49
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Sat, 11.Sep.04, 11:12 Loslösen aus der therapeutischen Beziehung |
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Ich habe ein riesengrosses Problem, das mich immer näher ans Ende aller Kräfte treibt.
Ich bin seit bald drei Jahren wegen verschiedenen gravierenden psychischen Störungen und seelischen Leiden bei einem ärztlichen Psychiater in Therapie. Als ich bei ihm die Therapie begann, war ich am Boden zerstört, weil meine frühere Therapeutin die Therapie mit mir nach mehr als vier Jahren von einer Stunde auf die andere abgebrochen hatte, angeblich weil sie mir nicht mehr weiterhelfen konnte.
Mit der neuen Therapie bin ich an und für sich mehr als zufrieden und sehr dankbar dafür, dass es mir im wesentlich besser geht als je zuvor. Aber, zwischen meinem Therapeuten und mir hat sich eine sehr nahe und intensive therapeutische Beziehung entwickelt, die mir sehr geholfen hat und auch heute immer noch hilft. Es findet - im erlaubten Rahmen - regelmässig Körperkontakt statt und er erzählt mir auch immer wieder viel Privates. Es geht mir nicht darum, dass und weshalb es zu dieser Nähe gekommen ist und es gibt auch keine Vorwürfe; ich habe diese Nähe sehr gesucht und er wolllte mich nicht erneut verletzen und hat sie mir gewährt.
Nun zu meinem Problem. Natürlich habe ich es trotz grosser Anstrengung nicht vermeiden können, mich in den Menschen, der hinter dem Therapeuten steht, zu verlieben. Das war vor ungefähr zwei Jahren; weil mir die Therapie hilft, habe ich immer versucht, diese unerfüllte und unerfüllbare Liebe auszuhalten. Zwischenzeitlich war dies so schwierig, dass ich sogar angefangen habe, mich zu schneiden. Das habe ich zwar wieder im Griff, dennoch spüre ich, dass ich mit diesem Problem immer näher an meine Grenzen komme und die dafür notwendigen Kräfte immer schwieriger aufzubringen sind. Nun möchte ich mich aus dieser starken emotionalen Abhängigkeit lösen. Aber wie schaffe ich das?
Ich möchte diesen Prozess von innen heraus machen können und nicht mit "Gewalt", das heisst, indem ich mir zum Beispiel die Umarmungen mit meinem Therapeuten verbiete oder er mich auf den Stuhl (ich sitzte während den Gesprächen bei ihm) verweist. Aber es ist so sehr schwierig.
Hat jemand Erfahrungen mit solchen Loslösungs-Prozessen oder einen guten Ratschlag, der mir helfen könnte. Ich bin für jede noch so kleine Hilfe dankbar.
Lg Micky
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Aisha
Forums-InsiderIn
187
Schweiz W, 44
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Sat, 11.Sep.04, 11:21 Re: Loslösen aus der therapeutischen Beziehung |
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Hallo Micky,
zu diesem Problem gibt es hier bereits einen langen Thread. Ich glaub der heisst, verliebt in den Therapeuten. Benutz doch mal die Suchfunktion.
Ich würd sagen, der beste Ansprechpartner für dieses Problem ist Dein Therapeut. Hast Du ihm schon von Deinen Gefühlen erzählt?
liebe Grüsse
Aisha
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_________________ Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. (Ellie Wiesel) |
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Micky
Forums-InsiderIn
213
Schweiz W, 49
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Sat, 11.Sep.04, 11:34 Re: Loslösen aus der therapeutischen Beziehung |
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Hallo Aisha
Vielen Dank für deine Antwort. Die entsprechenden Threads habe ich alle gelesen. Ohne Erfolg.
Mit meinem Therapeuten spreche ich oft darüber und ich sehe viele Zusammenhänge und komme auf der Verstandesebene mit meinem Problem auch gut zurecht. Wir arbeiten intensiv daran, dennoch schaffe ich es emotional nicht. Diese enorme Spannung zwischen Kopf und Herz ist dermassen zermürbend und kräfteraubend und macht mich nicht nur ohnmächtig hilflos, sondern öfters auch wütend.
LG MIcky
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Aisha
Forums-InsiderIn
187
Schweiz W, 44
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Sat, 11.Sep.04, 12:23 Re: Loslösen aus der therapeutischen Beziehung |
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Hallo Micky,
hm, kommt mir grad vor als wolltest du mit Gewalt das Problem von innen lösen . Ich glaube die Aenderung des Settings und keine oder sehr reduzierte Umarmungen, könnten allenfalls schon etwas hilfreich sein. Du siehst dann nämlich auch allein von Aussen schon besser, dass er Dein Therapeut ist und keinen Mann den Du haben kannst.
Versuch mal in den Therapiestunden rein äusserlich etwas mehr auf Distanz zu gehen und fühl in Dich rein was passiert.
Was anderes kommt mir grad nicht in den Sinn.
liebe Grüsse
Aisha
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_________________ Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. (Ellie Wiesel) |
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CocoCourrial
Helferlein
137
Tübingen W, 28
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Sat, 11.Sep.04, 13:55 Re: Loslösen aus der therapeutischen Beziehung |
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Liebe Micky,
Du scheinst Dich in einem Catch 22 zu befinden. Du Arme. Auf der einen Seite möchtest Du Dich von Deinem Therapeuten lösen, möchtest allerdings nicht auf dessen Nähe verzichten. Wenn Du Dich allerdings (innerlich) gelöst hättest, wäre die Nähe wiederum ja nicht mehr so wahnsinnig wichtig. Echt schwierig.
Ich kann Dir leider gar keinen klugen Tipp geben, denn ich glaube, dass das Problem jedes unglücklich Verliebten ist.
Ich drücke Dir einfach nur die Daumen, dass Du und Dein Therapeut das soweit hinbekommt, dass es wieder eine etwas angenehmere Balance zwischen schmerzhafter Nähe und schmerzhafter Distanz geben kann. Denn letztendlich ist es doch eigentlich toll, dass die Person, in die Du unglücklich verliebt bist, mit solchen Gefühlen umgehen kann und sie für die therapeutische Arbeit nutzen kann. Und Du hast die Gelegenheit, Dich, Deine Gefühle und Deine Ängste in einem solch sicheren Rahmen besser kennenzulenen. Wenn Du einfach in "irgendwen" unglücklich verliebt wärst, gäb es dazu ja wahrscheinlich keine Gelegenheit.
Trotzdem ist das ganze natürlich hart...
Ich wünsche Dir sehr viel Kraft,
Liebe Grüße,
Coco
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Ele
Helferlein
139
Deutschland, Hamburg W, 49
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Sun, 12.Sep.04, 23:13 Re: Loslösen aus der therapeutischen Beziehung |
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Hallo, liebe Micky,
wenn ich Dich richtig verstanden habe, möchtest Du Dich aus dieser Nähe bzw. wie Du schreibst "emotionalen Abhängigkeit" lösen, weil es Dir - die unerfüllte Liebe - einen sehr großen Leidensdruck verursacht.
Hm. Klingt wirklich schwierig.
Denn einerseits hilft Dir diese Nähe und Du brauchst sie und anderseits schmerzt sie, weil es keine Erfüllung dieser Liebe gibt.
Frage mich gerade, wie Dein Therapeut zu Dir steht.
Und wie er diese "im erlaubten Rahmen" auch körperliche Nähe zu Dir haben kann und dabei weiß, dass Du in ihn verliebt bist.
Kann mich da schwer hineinversetzen. Wenn einer meiner Klienten in mich verliebt wäre und ich wüßte es, dann könnte ich nicht mit ihm nahe zusammen sitzen, seine Sehsucht spüren und gleichzeitig wissen, dass ich diese nicht erfüllen kann. Hätte Sorge, ihm dann letztendlich noch mehr weh zu tun. Hm. Und ich würde denken, dass er dann nicht frei ist für eine mögliche Beziehung, wenn er so an mich gebunden ist.
Nach meinem Wissen und Erfahrung finde ich es wichtig, die Eigenkräfte zu stärken, so dass eine "Abhängigkeit" sich wenn möglich nicht in der Intensität und in dem langen Zeitraum aufbaut.
Das soll aber nicht heißen, dass ich hier Deine Therapie bewerten möchte.
Es gibt ja auch das Konzept eines "Nachnährens" (Hilarion Petzold) und Dein Therapeut wird sich ja bei der Therapie mit Dir etwas denken.
Finde es halt einfach schwierig, vor allem, weil Du dabei zwar einserseits diese Nähe fühlst, sie Dir wohl auch gut getan hat und doch andererseits so leidest.
Was mir einfällt ist, dass diese Nähe mit ihm für Dich eine Erfahrung ist und diese Erfahrung bleibt Dir, Du hast sie erlebt.
Und wenn jetzt Dein Verstand oder ein Teil in Dir sagt, dass Du Dich aus dieser Abhängigkeit lösen möchtest, wird das wohl "Arbeit" bedeuten.
Den Gefühlen kann man ja nicht einfach befehlen, aufzuhören.
Bist Du denn in dieser Therapie gut bei Dir selbst angelangt ?
Das finde ich ganz wichtig - dass Du Dich selbst hast, für Dich da sein und Dich selbst trösten kannst.
Auch damit Du, der sehnsüchtige Teil, Deine Deine Gefühle für eine Loslösung bereit sind und wissen, dass es zu schaffen ist.
So wie ich denke, wird es leichter sein, wenn das Innen und das Außen so gut wie möglich übereinstimmen, d.h. zu versuchen, die körperliche Nähe langsam ausklingen zu lassen.
Und wenn dieses nicht hilft, u.U. daran zu denken, ob eine Pause in der Therapie helfen könnte - wie hast Du denn bisher Deine oder seine Urlaube erlebt ?
Wünsche Dir, dass Du es schaffst.
Mit liebem Gruß,
Ele
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_________________ Bevor Du anfängst, jemanden zu bewerten, laufe 30 Meilen in seinen Mokassins |
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panther77
Helferlein
99
Deutschland W, 29
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Mon, 13.Sep.04, 22:41 Re: Loslösen aus der therapeutischen Beziehung |
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Ele wrote: |
Es gibt ja auch das Konzept eines "Nachnährens" (Hilarion Petzold) und Dein Therapeut wird sich ja bei der Therapie mit Dir etwas denken.
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Hi Ele,
kannst Du mir das Konzept eines "Nachnährens" vielleicht kurz erklären?
Danke! Panther
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_________________ Alle Lust will Ewigkeit - F. Nietzsche |
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Micky
Forums-InsiderIn
213
Schweiz W, 49
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Tue, 14.Sep.04, 0:23 Re: Loslösen aus der therapeutischen Beziehung |
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Ganz lieben Dank an alle die mir im Forum, mittels PM oder E-Mail geantwortet haben. Jedes Posting und mit ihm das Gefühl, wenigstens für einen Augenblick mit diesen für mich übermächtig gross gewordenen Schwierigkeiten nicht ganz alleine zu sein, hat mir gut getan.
@ele
Danke für deine interessanten Zeilen. Ich würde mich gerne bei dir mittels PM melden. Dem Wunsch von panther 77 nach einer kurzen Erklärung deines erwähnten Konzepts eines "Nachnährens" möchte ich mich anschliessen. Danke!
Lg Micky
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Sophie
sporadischer Gast
25
Deutschland W, 25
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Wed, 15.Sep.04, 7:08 Re: Loslösen aus der therapeutischen Beziehung |
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Oh ja, das würde mich auch sehr interessieren, hab auch immer das Gefühl in meiner Therapie nachgenährt werden zu müssen
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Ele
Helferlein
139
Deutschland, Hamburg W, 49
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Wed, 15.Sep.04, 23:23 Re: Loslösen aus der therapeutischen Beziehung |
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Liebe Panther77, Micky und Sophie,
so kurz kann ich das nur recht oberflächlich erklären:
der Begriff des "Nachnährens" geht auf den Psychoanalytiker Sandor Ferenci zurück.
Die "aktive und elastische Psychoanalyse" nach Ferenci wird als eine therapiepraktische Quelle der integrativen Therapie bezeichnet.
Ein Handlungskonzept in der integrativen Therapie heißt "Parenting" und bedeutet eine Art "Nachbeelterung" und "Nachsozialisation".
Der Therapeut nimmt die Rolle des "guten" Elternteils ein und ermöglicht somit korrektive Erfahrungen.
Hierzu Hilarion Petzold ("Die Mythen der Psychotherapie", 1999, Seite 215): " Nachnähren (was ein "zwischenleibliches" Milieu erfordert, in dem auch Körperkontakt durch Berührungen des Haltens, des Trostes, der Stütze erfolgen kann. ...) ".
Hierbei ist es wichtig, nicht ausschließlich "Nachzunähren", sondern ein Aushandeln des Prozesses von "Gewähren" und "Versagen".
Durch ausschließliches "Nachnähren" kann sich eine zu große Abhängigkeit von den TherapeutInnen entwickeln.
Falls Ihr mögt, unter "Google" könnt Ihr einfach den Begriff "Nachnähren" eingeben, dort sind einige Informationen zu finden.
Besonders lesenswert finde ich den Artikel von Dr. H.W. Schuch: "Bedeutsame Akzentverschiebungen - Von der Genitaltheorie zur Elastischen Psychoanalyse" (Einige Aspekte der Entwicklung des theoretischen und theorietechnischen Werkes Sonandor Ferencis).
In diesem Artikel (ab Kapitel 7) wird u.a. beschrieben, dass Ferenci die von Freud vorgegebene abstinente Haltung des Psychoanalytikers radikal kritisierte, da nach seinen Erfahrungen Abstinenz dazu geeignet war, die PatientInnen zu retraumatisieren - indem sie diese erneut in bereits erlittene Versagungssituationen bringt. Ferenci setzte auf eine derzeitig neue Begegnung mit den PatientInnen, welche von Sympathie, Empathie und nicht zuletzt Wechselseitigkeit (Mutualität) geprägt war.
"Ferencis besondere Leistung bestand darin, seine Rolle als Psychoanalytiker mit seiner Absicht, den Patienten für seine früheren Entbehrungen und Schädigungen in der Therapie Wiedergutmachung erfahren zu lassen, zu verbinden." (Seite 14).
"Mit seiner Hinwendung zum ehemaligen kindlichen Erleben des Patienten und der Betonung der Bedeutung der therapeutischen Beziehung von Patient und Arzt setzte er deutlich andere Akzente als Freud und viele Psychoanalytiker jener Zeit. Insbesondere seine Ansicht, mit Hilfe therapeutischer Zuwenung erfahrenes Leid wiedergutzumachen und zu kurz gekommene Patienten "nachnähren" zu sollen, passten damals noch nicht in die Vorstellungswelt der Psychoanalyse." (Seite 15).
Weitere Informationen finden sich auch unter "Google": "Integrative Therapie" (nach Hilarion Petzold).
Es ist wohl anzunehmen, dass in einer hilfreichen Therapie dieser Aspekt des "Nachnährens" und u.a. die Aspekte der
Weiterentwicklung von Selbständigkeit und Kompetenzen zum Tragen kommen - eben in einer individuell passenden, bedarfsentsprechend veränderbaren Balance.
Mit liebem Gruß,
Ele
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_________________ Bevor Du anfängst, jemanden zu bewerten, laufe 30 Meilen in seinen Mokassins |
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panther77
Helferlein
99
Deutschland W, 29
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Thu, 16.Sep.04, 15:15 Re: Loslösen aus der therapeutischen Beziehung |
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Hi Ele,
danke fuer die Antwort! Lieben Gruss, Panther
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_________________ Alle Lust will Ewigkeit - F. Nietzsche |
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Sophie
sporadischer Gast
25
Deutschland W, 25
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Thu, 16.Sep.04, 21:59 Re: Loslösen aus der therapeutischen Beziehung |
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Hu Ele,
ich danke dir für deine tolle Ausführung und werde mal ein bißchen googeln und mir deine Literaturhinweise anschauen, ich glaube das ist ein Thema mit dem ich mich näher beschäftigen möchte.
Liebe Grüße an alle,
Sophie
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