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cox
neu an Bord!
3
wiesbaden M, 19
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Fri, 03.Sep.04, 18:18 meine arbeit frisst mich |
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hallo
ich bin 19, und vor kurzem alleine in eine fremde
stadt gezogen, um meinen Zivildienst abzuleisten.
Ich versprach mir davon unabhängigkeit und
neue erfahrungen. Doch nun, nach den ersten Wochen,
bin ich psychisch am Ende. Die ersten Tage waren sehr
schlimm, aber inzwischen geht es mir noch schlechter.
Sobald ich alleine bin, fange ich an zu weinen, ich kann
nicht mehr lachen, ich werde von den anderen nur als
"wandelnde Leiche" bezeichnet. So komisch dieser Ausdruck
auch sein mag, er beschreibt recht gut meine stimmung.
Die Arbeit, die ich machen muss, ist schwere körperliche Arbeit,
Meine "Kollegen" sind Bauarbeiter, Analphabeten und andere Proletariern.
Ich bin nicht arrogant oder eingebildet (wie gern wär ich es), aber
den intellektuellen Unterschied kann man nicht leugnen.
Ich habe das Gefühl, in einem Sumpf aus dumpfen, ekelhaften
Kreaturen zu hocken. Da ich auf dem Gelände meiner Arbeitstelle
wohne, kann ich dem auch nie entfliehen.
Dazu kommt, dass ich keine regulären Arbeitszeiten habe, auf
die vetraglich geregelte 38,5 Stunden woche wird auch keine Rücksicht
genommen, ich muss täglich 10 Stunden arbeiten ("Bei uns gibt es keine Überstunden"), und selbst am Wochenende muss ich arbeiten.
Freie Tage verbringe ich mit schlafen, und wenn ich aufwache,
geht alles wieder von vorne los. Das weinen, das wimmern, es ist
immer in meinem Kopf. Ich vermisse alles aus meinem "alten" Leben,
sogar Dinge, die ich "gehasst" hatte. All das erscheint mir nun
paradiesisch.
Jetzt ist es kurz nach 7, wenn ich in einer halben stunde "zu hause"
bin, werde ich nach etwa 30 minuten vor erschöpfung einschlafen, verzweifelt, mit dem gedanken an den nächsten grauenvollen tag
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conny
sporadischer Gast
7
Klagenfurt W, 28
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Fri, 03.Sep.04, 18:52 Re: meine arbeit frisst mich |
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hallo cox
du hast klar geschildert wie du dich fühlst, du tust mir leid. "kündigen" kannst du deinen "job" nicht und abhauen kannst du auch nicht.
versuche, auch aus diesen erfahrungen lehren zu ziehen die du im späteren leben und im richtigen job anwenden kannst. und zähl die tage, die du noch als zivi verbringen musst. es wird der tag 1 kommen, dann der tag 0 dann bist du frei.
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DeMut
Forums-InsiderIn
150
Rhein/Main M, 38
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Fri, 03.Sep.04, 19:21 Re: meine arbeit frisst mich |
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Hallo cox,
Quote: | Ich versprach mir davon unabhängigkeit und neue erfahrungen. |
Quote: | Ich vermisse alles aus meinem "alten" Leben, sogar Dinge, die ich "gehasst" hatte. All das erscheint mir nun paradiesisch. |
Na jetzt haste doch neue Erfahrungen - nur scheinbar leider anders, als Du Dir vorgestellt hast, oder? Aber der Preis der Unabhängigkeit ist oft, dass man sich selbst um sich und seine Probleme kümmern muss. Das hat etwas mit der Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben zu tun. Du hast Dich für etwas entschieden - Du musst mit den Konsequenzen leben. Klingt hart - aber Du kannst ja andere Menschen um Rat und Hilfe bitten (hast Du ja schon indirekt mit Deinem Beitrag, wenn man mal zwischen den Zeilen Deines "Gejammers" liest).
Quote: | Dazu kommt, dass ich keine regulären Arbeitszeiten habe, auf
die vetraglich geregelte 38,5 Stunden woche wird auch keine Rücksicht
genommen, ich muss täglich 10 Stunden arbeiten ("Bei uns gibt es keine Überstunden"), und selbst am Wochenende muss ich arbeiten. |
Ich denke, Du machst Zivi!? Wer kann Dich da zu Überstunden zwingen? Was passiert, wenn Du "nein" dazu sagst? Hast Du Dich mal erkundigt, welche Möglichkeiten Du hast? Oder hast Du mit dem Nein-Sagen ein Problem?
Du kannst auch versuchen, der Situation etwas Positives abzugewinnen. Warum möchtest Du mit den anderen Menschen in Deiner Umgebung nichts zu tun haben? Und wenn Du tatsächlich mehr "auf dem Kasten hast", warum willst Du Dich dann von Ihnen distanzieren und Ihnen nicht vielleicht sogar helfen? Dabei kannst Du wirklich viel über Dich und andere Menschen lernen. Das wolltest Du doch, oder?
Ich sehe in Deinem Beitrag bisher kein konkretes psychologisches Thema. Eine allgemeine Unzufriedenheit mit einer Situation kann ein Problem sein - dann muss man daran etwas ändern. Mir ist nicht klar, was Du vom Forum erwartest. Also: versuch noch mal genauer zu beschreiben, wo Dich der (psychologische) Schuh drückt. Vielleicht habe ich es auch nur nicht verstanden.
Liebe Grüsse und Kopf hoch,
DeMut
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_________________ Willst Du, was Du noch nie hattest, musst Du tun, was Du noch nie getan hast. |
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Naomi
[nicht mehr wegzudenken]
2093
Wien W, 42
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Fri, 03.Sep.04, 19:45 Re: meine arbeit frisst mich |
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hallo cox,
cox wrote: | ich bin 19, und vor kurzem alleine in eine fremde
stadt gezogen, um meinen Zivildienst abzuleisten.
Ich versprach mir davon unabhängigkeit und
neue erfahrungen. Doch nun, nach den ersten Wochen,
bin ich psychisch am Ende. Die ersten Tage waren sehr
schlimm, aber inzwischen geht es mir noch schlechter.
Sobald ich alleine bin, fange ich an zu weinen, ich kann
nicht mehr lachen, ich werde von den anderen nur als
"wandelnde Leiche" bezeichnet. So komisch dieser Ausdruck
auch sein mag, er beschreibt recht gut meine stimmung. |
ich finde, du machst jetzt eine zwar harte, aber auch sehr lehrreiche erfahrung. du lernst eine arbeit und eine umgebung kennen, in der du dich nicht wohlfühlen kannst. du machst eine arbeit, von der du jetzt weißt, dass es nicht "deins" ist. ich finde, das ist eine wichtige erfahrung auf dem weg herauszufinden, welche arbeit einem eigentlich liegt.
gibt es dort eigentlich so gar niemanden, mit dem du auch mal reden könntest und in deiner freizeit was unternehmen könntest? ich denke, in so einer situation können solche "inseln" sehr hilfreich sein.
und versuche immer daran zu denken, dass diese zeit auch wieder vorbei gehen wird. das macht es dir vielleicht leichter die zeit zu überstehen. diese chefs in der baubranche kümmern sich oft nicht um arbeitszeitregelung und derlei dinge, da geht es den bauarbeitern nicht viel anders als dir, das ist eine ausbeuterbranche.
trotzdem kopf hoch, irgendwann kannst du dann ja auch wieder nach hause fahren und die dinge dann wieder machen, die dir wirklich spaß machen. denkst du, dass das zu schaffen ist?
aber wenn du das gefühl hast, dass du es gar nicht aushältst, und es geht dir ja momentan psychisch sehr schlecht, würde ich beim innenministerium eine beschwerde einreichen oder um versetzung ansuchen. welche arbeit machst du da eigentlich genau? das klingt nämlich so seltsam, gar nicht nach gemeinnütziger tätigkeit.
lg, naomi
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_________________ I beg your pardon, I never promised you a rose garden. |
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cox
neu an Bord!
3
wiesbaden M, 19
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Sat, 04.Sep.04, 17:43 Re: meine arbeit frisst mich |
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hallo
ich danke euch schonmal für die antworten.
jede nachricht, die mir das gefühl gibt, das ganze nicht
umsonst auszuhalten, ist ein trost. Ich kann mehr erdulden,
wenn ich weiss, dass meine zeit dabei nicht verschwendet
wird.
Dass diese Art von Arbeit (offiziell "parkreinung" und "landschaftspflege") nicht meins ist, war mir von Anfang an klar (nicht in dem Maße, zugegeben). Und wenn ich noch ein Leben ausserhalb dieses Ortes führen
könnte, wäre mir auch wohler zu Mute;
Seit gestern habe ich einen Weg gefunden, für ein paar Stunden
meinen Geist abzulenken und von der Arbeit abzuziehen; auch wenn
sie bei uns als illegal bezeichnet wird, bin dankbar für diese schöne,
heilsame pflanze.
wenn mir noch jemand sagen kann, was mir die kommenden 11 Monate
nützen könnten, wenn ich wissen würde, dass es all das depressive gejammer wert wäre... Wäre ich dankbar.
Ich werde nun zurück fahren, ein paar angenehme Stunden verbringen, und morgen früh wieder anfangen, meinen mentalen Zustand am Vorabend zu verachten; Denn nichts ist so schrecklich wie der Morgen.
cox
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Naomi
[nicht mehr wegzudenken]
2093
Wien W, 42
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Sat, 04.Sep.04, 21:22 Re: meine arbeit frisst mich |
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hallo cox,
cox wrote: | jede nachricht, die mir das gefühl gibt, das ganze nicht
umsonst auszuhalten, ist ein trost. Ich kann mehr erdulden,
wenn ich weiss, dass meine zeit dabei nicht verschwendet
wird. |
also setz ich noch eins dazu die zeit ist auch insofern nicht verschwendet, als du eine völlig andere arbeit und arbeitsbedingungen kennen lernst, und was diese bedeuten. und wie das ist, kann man doch erst richtig wissen, wenn man´s selbst erlebt hat, oder?
ja, und versuch die arbeit an der frischen luft ein bisschen zu genießen.
cox wrote: | Und wenn ich noch ein Leben ausserhalb dieses Ortes führen
könnte, wäre mir auch wohler zu Mute; |
das kann ich sehr gut nachvollziehen. aber du kannst ja abends oder an deinen freien tagen raus gehen und das unternehmen, was dir spaß macht, oder?
cox wrote: | Seit gestern habe ich einen Weg gefunden, für ein paar Stunden
meinen Geist abzulenken und von der Arbeit abzuziehen; auch wenn
sie bei uns als illegal bezeichnet wird, bin dankbar für diese schöne,
heilsame pflanze. |
oh, oh, nichts gegen diese pflanze, aber flüchtest du auf diese weise nicht, genau so, wie du vermutlich von zuhause geflüchtet bist?
cox wrote: | wenn mir noch jemand sagen kann, was mir die kommenden 11 Monate
nützen könnten, wenn ich wissen würde, dass es all das depressive gejammer wert wäre... Wäre ich dankbar.
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gute bücher lesen, filme ansehen, dich vielleicht doch mit einem bauarbeiter ein bisschen anfreunden, irgendein netter ist vielleicht doch dabei, und halt einfach über die dinge quatschen, die auch diese leute interessieren und manche bauarbeiter sind auch bestimmt intelligent und hatten bloß nicht die möglichkeit zur bildung, also? irgendwelche gemeinsamkeiten lassen sich vielleicht doch finden?
also, alles gute und kopf hoch.
lg, naomi
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_________________ I beg your pardon, I never promised you a rose garden. |
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Ele
Helferlein
139
Deutschland, Hamburg W, 49
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Sun, 05.Sep.04, 22:46 Re: meine arbeit frisst mich |
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Hi Cox,
war es ein "Kulturschock" - von der Schule (Abi) direkt in diese Zivi-Stelle ?
Das ist dann erst mal hart, keine Frage.
Lass Dir zum Trost sagen, dass Mensch sich an vieles Gewöhnen und es dann auch durchhalten kann.
Habe schon einige (zum Teil sehr stupide) Studenenjobs etc. hinter mir und weiß, dass es zu schaffen ist, wenn die Bereitschaft da ist, sich einzulassen, es einfach zu tun.
Weißt Du, mir geht es heute noch manchmal in meinem Job so, wenn vor meiner Tür viele KlientInnen warten und ich weiß schon, welch schlimme Probleme die haben, dass ich erst mal am liebsten weglaufen und nichts damit zu tun haben möchte. Und dann gibt es erst mal schnell einen Kaffee, dann gehe ich an die Arbeit und es läuft.
Also, Deine Situation kann auch besser werden.
Bei der körperlichen Arbeit wird Dein Körper noch kräftiger, kann mehr leisten und dann wird die Arbeit leichter.
Und - wie schon geschrieben - vielleicht gibt es den einen oder anderen Kollegen, mit dem Du ein gemeinsames Thema finden kannst und wenn es halt ein Alltagsplausch ist.
Und ein ruhiges Nachdenken bei körperlicher Arbeit kann auch sehr schön sein.
Eine "heilsame Pflanze" mag zunächst Trost bieten. Doch sie vernebelt den Geist und die Gedanken.
Frage, ob Du Dich auf diese Situation einlassen magst und ihr und Dir eine Chance gibst.
Vielleicht erstmal für einen Monat. Und dann weiterschauen - ob es schon besser geht.
Mit liebem Gruß,
Ele
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_________________ Bevor Du anfängst, jemanden zu bewerten, laufe 30 Meilen in seinen Mokassins |
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cox
neu an Bord!
3
wiesbaden M, 19
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Tue, 07.Sep.04, 17:44 Re: meine arbeit frisst mich |
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Es ist wieder Abend und alles scheint leichter, und machbar.
Freud schreibt in seiner Arbeit über die Melancholie, dass es seiner Erfahrung nach bei vielen Patienten zu einer Linderung der Symptome
in den Abendstunden kommt. Ist mein Problem ein rein melancholisches?
Mein Zustand ist äusserst labil, zumindest den Tag über. Heute
morgen fühlte ich mich elend, ausgehöhlt von Wehmut. Einige Stunden
später in der Mittagspause las ich ein paar Zeilen aus einem indischen sutra über den Sannyasin, und es gelang mir, die darauffolgenden Stunden sogar mit etwas Genuss zu erleben, das Geschehen um mich als Komödie zu betrachten. Doch dann, kurz nach dem Höhepunkt dieses Gefühls, sagte ein Mitarbeiter neben mir ein paar Worte, und ich erlitt einen Panikanfall, wie ich es bis jetzt nur von
psychedelischen Drogen kenne. Über eine halbe Stunde lang konnte ich kaum sprechen, und jeder Gedanke schmerzte, ich war verzweifelt, einsam, und davon überzeugt, dass es mir nie wieder "gut gehen" kann. Danach erholte ich mich innerhalb von wenigen Minuten, und das abendgefühl trat ein. Deshalb kann ich nun auch so einen mehr oder weniger objektiven Bericht darüber schreiben. Hätte ich vor einigen Stunden dieses Internetcafe betreten, stünden hier nur wirre Hilfeschreie.
Ich frage mich, was das ganze soll, was es wert ist... Ich kann meinen Zustand inzwischen nicht mehr ganz auf die Arbeit zurückführen, es muss mehr dahinter stecken.
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Naomi
[nicht mehr wegzudenken]
2093
Wien W, 42
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Wed, 08.Sep.04, 20:21 Re: meine arbeit frisst mich |
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hallo cox,
cox wrote: |
später in der Mittagspause las ich ein paar Zeilen aus einem indischen sutra über den Sannyasin, und es gelang mir, die darauffolgenden Stunden sogar mit etwas Genuss zu erleben, (...)Doch dann, kurz nach dem Höhepunkt dieses Gefühls, sagte ein Mitarbeiter neben mir ein paar Worte, und ich erlitt einen Panikanfall, wie ich es bis jetzt nur von
psychedelischen Drogen kenne. |
es ist schön, dass du wenigstens ein bisschen genuss finden konntest, nachdem du dieses buch gelesen hast. ja, und was sagte dann eigentlich der mitarbeiter zu dir, dass du einen panikanfall erlitten hast?
was mir noch einfällt: sei bitte vorsichtig mit drogen, auch mit marihuana. drogen können sich wirklich negativ auf deine psyche auswirken.
cox wrote: | Ich kann meinen Zustand inzwischen nicht mehr ganz auf die Arbeit zurückführen, es muss mehr dahinter stecken. |
hast du eine idee, worauf du diesen zustand zurückführen könntest? wie ging es dir denn bevor du den zivildienst angetreten hast?
alles gute
lg, naomi
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_________________ I beg your pardon, I never promised you a rose garden. |
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Incah
[nicht mehr wegzudenken]
1213
@ home W
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Fri, 10.Sep.04, 14:44 Re: meine arbeit frisst mich |
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ich hatte auch mal so einen Job, in dem ich todunglücklich war, und ich hab mich genauso gefühlt, wie Cox es beschrieb.
Es ist die Hölle. Man kann nicht einfach die frische Luft geniessen oder sich doch mit den Bauarbeitern anfreunden.
Es drückt so aufs Gemüt, man ist gar nicht mehr man selber.
Wenn man so viel Zeit mit etwas verbringen muss, das einen so fertig macht, dann kann man die wenige restliche Zeit gar nicht mehr geniessen. Jeder Tag liegt wie ein unüberwindbarer Berg vor einem und sie scheinen kein Ende zu nehmen.
Ich kann dir nur eins sagen, Cox, die ersten zwei, drei Wochen zählt man jeden Tag. Irgendwann verschwimmen sie zu Wochen und irgendwann ist es vorbei und man ist wieder frei. Es scheint noch ewig zu dauern aber sogar diese Zeit geht vorbei.
Wegen den Überstunden würde ich auch sagen dass du dich da mal erkundigen solltest, ob man da wirklich nichts machen kann. Ich meine, in einem Altersheim können die mir einreden dass man nicht einfach die Arbeit hinschmeissen kann und gehen nur weils 17h ist.
Aber Landschaftspflege? Die Bäume werden schon nicht wegrennen über nacht!
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