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pragmatik
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Post Wed, 09.Jun.04, 11:37      Ich bin ein bisschen ratlos Reply with quoteBack to top

Hallo Forum,

ich habe vor einigen Wochen angefragt, wie es wohl am Besten zu bewerkstelligen ist, eine Bulimie-Erkrankte dazu zu bringen, darüber zu reden. Wie auch immer, es ist mir gelungen, sie ruft mich an, wenn sie "Phasen hat", um sich abzulenken, nicht immer gelingt es. Sehr typisch ist auch, dass ihr schlecht wird, sobald wir uns länger unteralten, auch vor allem darüber, dass ein Arzt die einzig richtige Maßnahme dagegen ist. Ich versuche stets nicht locker zu lassen, sie aber nicht zu bedrängen. Ich habe versucht, ihr möglichst viel über die Krankheit zu erzählen, sie zu informieren, und hoffe ein Stück weit, dass sie irgendwann den Entschluss fasst und den Mut hat, einen Arzt aufzusuchen. Auch weiß sie, dass dies die einzige Möglichkeit ist, es in den Griff zu bekommen. Soweit ich weiß, zieht sich die Ess-Brech-Sucht nun seit einem dreiviertel Jahr hin. Dies könnte – aber das ist nur eine zufällige Zahlengleichheit, die mir aufgefallen ist – mit der Trennung von ihrem Freund vor einem dreiviertel Jahr zusammenhängen, wobei ich eher denke, dass es Anlass und nicht Grund ist. Doch meine Aufgabe ist nicht die Ursachenforschung. Momentan läuft es so ab, dass sie mich anruft, wenn sie weiß, dass sie eine solche Phase hat, und das Gespräch eigentlich stets mit „Ich muss mich gerade ablenken“ einleitet. Schon die Tatsache, dass sie sich „ablenken“ möchte, zeigt ja, dass sie den Teufelskreis durchbrechen möchte. Aber ich weiß nicht, wie ich sie dazu bringen soll, zum Arzt zu gehen. Die verwandtschaftliche Verbindung hindert mich wohl oft daran, weiterzureden, wenn sie um einen Themawechsel bittet. Letztlich weiß ich, dass nur sie selbst es schaffen kann, aber mir ist eine Unterstützung möglich und diese möchte ich so gut wie möglich bieten, da sie es auch will.

Andererseits wird es immer schwierig, wenn Angehörige (Partner, Verwandte) zu sowas wie "Ersatztherapeuten" werden! Durch verwandtschaftliche oder Liebesbeziehungen kann keine emotionale Distanz gehalten werden, die Angehörigen stehen den Betroffenen zu nahe, sind dann oft hilflos - vor allem wenn es um so erschreckende Themen wie Suizidalität oder Selbstverletzung geht - und verzweifelt. Die Betroffene merkt dies, dadurch intensiviert sich ihre Gefühlslage zusätzlich, sie fühlt sich schuldig daran, dass es den Anderen nun auch schlecht geht. Das ist wirklich ein Teufelskreis!

Des angesprochenen Teufelskreises bin ich mir vollkommen bewusst. Neben einer Freundin bin ich jedoch der einzige, der Bescheid weiß. Angesichts einer etwas schwierigen Familiensituation halte ich dies auch für richtig. Natürlich versuche ich eben nicht zum „Ersatztherapeuten“ zu werden, aber es gelingt nicht, denn schon in dem Moment, in dem ich zuhöre und etwas darauf sage, bin ich es.

Was kann ich machen, damit sie ernsthaft den Entschluss fasst, einen Arzt aufzusuchen ? Ich würde sie begleiten, wenn sie das möchte. Ich habe ihr die Nummer einer Beratungsstelle zu geben. Aber ich bezweifle, dass sie dort anruft. Ich habe das Gefühl, sie hat Angst. Angst vor dem, was sich dann verändern könnte. Ich habe sie gefagt, was sie meint, dass sich verändert und keine richtige Antwort bekommen.

Ich bin ein bisschen ratlos.

Danke für eure Antworten

Viele Grüße
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Pitty
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Post Tue, 15.Jun.04, 15:21      Re: Ich bin ein bisschen ratlos Reply with quoteBack to top

Lieber Pragmatic,
da bist Du tatsächlich in einer sehr verzwickten Mühle, die wohl nicht ganz unähnlich zu meiner ist. Ich kann Dir dazu nur als ehemalige Bulimikerin was sagen. Aus meiner eigenen Erfahrung, und damit stimme ich der Literatur auch zu, kannst Du da gar nichts machen. Auch wenn Du ihr alle Wärme gibst, die sie bräuchte, auch Schreckensbilder von Magendurchbrüchen und sonstigen körperlichen Schäden oder so zeigst. Wenn sie sich selbst nicht auf den Weg macht, dann passiert da nichts. Da spielen viele Dinge rein. Die Bulimie ist eine unglaublich enge "Freundin" für alles, mit dem man nicht klarkommt: indem man sich mit ihr ausklinkt. Diese Freundin loszulassen ist uuuuuuuuuuuuunglaublich schwer, denn man muss ohne sie alle möglichen Gefühle aushalten, selbst für sich Verantwortung übernehmen. Wenn der Leidensdruck nicht groß genug ist, dann passiert da wohl nichts, fürchte ich. Nur so bin ich da rausgekommen und habe wieder hart erlernen müssen, diese "Ersatzhandlung" aufzugeben und mich wieder mit Leben zu füllen, aktiv Verantwortung für mich zu übernehmen. Aber es geht, wenn es auch lange dauert kann. Ich habe den Dreh erst nach 8 Jahren gekriegt, als ich von meinen Eltern weit weggezogen bin, das Studium begann, ich weder Stadt noch Leute kannte, mein damaliger Freund aber mit da war. Der hat mich nur als Matratze behandelt und ich habe irgendwann nur noch geheult. Ich hab es überhaupt nicht mehr ausgehalten und meine bulimischen Anfälle wurden immer schlimmer. Da habe ich mich auf den Weg gemacht und habe eine ambulante Therapie begonnen. Noch bevor die begann, habe ich mich von dem Typen getrennt. Tabula rasa halt. Danach habe ich mich ein Semester nur um mich gekümmert und habe nur sporadisch studiert. Danach war ich soweit, dass ich mich auch neben dem "harten" Alltag (als Student???) weiterentwickeln konnte.
Ich wünsche Deiner Bekannten alles Liebe und schicke ihr eine ganze Flugzeughalle Wärme. Das Leben mit Freundin Bulimie ist unglaublich eisig. Und Dir wünsche ich genügend Distanz, vorallem emotional. Das man nicht helfen kann, ist das allerschlimmste. Es macht einen wirklich hilflos.
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pragmatik
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Post Tue, 15.Jun.04, 17:36      Re: Ich bin ein bisschen ratlos Reply with quoteBack to top

Na dich kenne ich doch Smile

Danke für deine Antwort.

Du hast Recht, ich weiß das, ich verstehe das, aber du hast es ja schon angesprochen - die Hilflosigkeit ist das Schlimme.

Da du das ja nun hinter dir hast - ist es denn sinnvoll, wenn ich nach jedem Gespräch darüber etwas in die Richtung sage, dass es Möglichkeiten gibt, dagegen anzugehen ?

Deine persönliche Geschichte ... ich glaube auch, dass zumindest ein Großteil der Ursache in ihrem engen familiären Umfeld liegt. Aber meine Aufgabe ist nicht die Ursachenforschung, ich gehe darauf ein, wenn sie etwas bewegt, aber spreche es nie selbst an, denn ich bin schon viel zu sehr zum "Ersatztherapeuten" geworden.

Weißt du, wenn wir Gespräche darüber führen, dann sind die sehr intensiv und dauern oft 3-5 Stunden. Nach diesen Gesprächen (meiner Wahrnehmung nach auch wirklich) ist sie Beratungsgesprächen und Maßnahmen sehr offen eingestellt, aber es müsste sofort passieren, denn einen Tag später beginnt sie, davon zu laufen ... was ich sogar verstehe. Aber da stehen wieder meine fehlende emotionale Distanz und mein Kopf gegenüber ... in dem das Wissen ruht, dass es immer schwieriger wird, je später die Therapie beginnt ...

Du hast Recht, ich will es nur nicht wahrhaben Neutral

Danke für deine Antwort, ich habe schon mit keiner mehr gerechnet Wink

Schönen Abend
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Pitty
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Post Tue, 15.Jun.04, 18:18      Re: Ich bin ein bisschen ratlos Reply with quoteBack to top

Ja, wir kennen uns Wink
Hey, ich wollte dich nicht entmutigen!!!!!!! So jemanden wie Dich braucht sie, um da rauszukommen!
Also ich finde es ja schon unglaublich, dass du mit ihr da offen drüber reden kannst. Sie überwindet schon dabei wahnsinnig viel für mein Empfinden: Scham, Angst, sie lässt vorallem komplett ihre Fassade fallen. Und die ist echt mühsam aufrecht zu halten. Ich habe keinem etwas davon erzählt. Sicher, meine Eltern haben entsprechende Spuren im Badezimmer gefunden. Das habe ich aber immer geleugnet. Aber ich hätte nie jemandem, auch nicht meiner besten Freundin von erzählt. Das wär mir so peinlich gewesen und vor allem hätte ich mich danach absolut beobachtet gefühlt "ob ich es nicht wieder tue". Und ich brauchte "es" doch, um irgendwie klarzukommen. Bulimie findet nunmal im Verborgenen statt.
Sie hat da ein unglaubliches Vertrauen zu Dir. Du hast recht, die Beratung müsste direkt nach dem Gespräch folgen. Doch die Motivation da hinzugehen, schwindet sekündlich. Zu viel muss dann aufgegeben werden, denn dann ist das Verhalten ja "raus" und sie muss sich mit dem "darunterliegendem" auseinandersetzen.
Ich will damit sagen, dass der Weg aus der Bulimie steinig und voller Rückschläge ist. Und für Angehörigen die helfen möchten, echt frustrierend. Ich weiß es nicht, ich habe die andere Seite mitgemacht, aber ich glaub es ist furchtbar für einen Angehörigen zu sehen, dass der Erkrankte nicht weiterkommt. Guten Willen hat, aber immerwieder in den Sumpf fällt. Nicht zu verstehen, warum der Erkrankte das tut und zu fühlen, was er sich antut. Ich meine, für keinen Nicht-Bulimiker ist es total ekelig zu erbrechen. Schon allein die Vorstellung. Wenn Du sie begleiten möchtest, dann rate ich Dir das, was Du schon tust. Austausch zu suchen und Deine Gedanken und Gefühle mitzuteilen. Sonst gerätst Du noch in einen Sumpf. Eben was ich schon sagte, Dich nicht auffressen lassen. Ebenfalls einen guten Abend
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Post Tue, 15.Jun.04, 19:04      Re: Ich bin ein bisschen ratlos Reply with quoteBack to top

Ja, ich weiß. Ich hoffe, ich verlier diesen Blick nicht, der mir ihr und auch mir gegenüber einigermaßene Objektivität ermöglicht. Wenn ich das merke, werdet ihr von mir hören Laughing

Weißt du ich kenne ansatzweise beide Seiten. Ich war für nur zwei Wochen in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, wonach sie mich entlassen und meine damals ganz klar anorektischen Züge als "Episode" bezeichnet haben. Kein Therapeut hat mir damals gesagt, was ich heute von mir selber glaube, was dazu geführt hat. Ich glaube trotzdem, dass meine Eltern damals das Richtige getan haben, mich bei einem Psychiater vorgestellt, bevor die Sache chronisch wurde, der mir wiederum "auf freiwilliger Basis" (ich habe es meinen Eltern zu Liebe getan) zu eben dieser Prävention eine stationäre Behandlung nahe legte. Naja, die fiel ja sehr kurz aus. Seither habe ich in dieser Hinsicht keine Probleme mehr. Ich bin Psychosomatik anfällig, aber durch meine intensive Konfrontation, mein Interesse und mein angelesenes und auch erfahrenes Wissen über Psychologie habe ich das erkannt und einen Arzt aufgesucht, dessen Rat Dinge wie autogenes Training waren, die mich wieder, ich übertreibe nicht, zu einem neuen Menschen machten. Aber natürlich bin auch ich anfällig, und habe ein Auge auf mich Wink Wieviel mit Therapie erreicht werden kann und mit frühzeitigen Gegenmaßnahmen habe ich also am eigenen Leib erfahren. Auch deshalb war ich sofort für Hilfe und Therapie.

Aber wir reden ja nicht über mich ...

Villeicht hast du sie schon indirekt beantwortet meine Frage und ich habe die Antwort nicht verstanden, ist es richtig, dass ich das mit der Therapie immer wieder bringen ? Ich will es ihr nicht zum Vorwurf machen, denn ich verstehe sie gut, dass sie nicht hin will, und hoffe, dass es so auch nicht rüber kommt, bzw. wenn ich irgendetwas meine, spreche ich immer mit ihr darüber ... aber da bin ich mir einfach unsicher, ob sie es nicht doch irgendwie in den falschen Hals kriegt, so nach dem Motto "er will mich los werden" ... das wäre wirklich eine Fehlinterpretation. Ich kann ihr einfach nicht so helfen, wie dies ein Therapeut kann und wenn ich es könnte, würde ich es wegen der verwandtschaftlichen Beziehung nicht wollen.

Danke, dass du dir die Zeit für Antworten hilfst!
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Post Wed, 16.Jun.04, 7:14      Re: Ich bin ein bisschen ratlos Reply with quoteBack to top

Lieber Pragmatic,

die Frage, ob Du die Therapie immer wieder ansprechen sollst, kann ich nicht wirklich beantworten. Ich glaube es ist eine Gratwanderung. Einerseits solltest Du es tun, damit sie immer wieder damit konfrontiert wird, sich damit auseinandersetzt und schlussendlich doch den Weg einschlägt. Andererseits könnte es sein, dass sie sich total zurückzieht. Weil sie sich eben immer konfrontieren muss und das ist genau das, was die Bulimie verhindert (jedenfalls war es bei mir so). Mhm, ist also beides irgendwie Mist. Als Freund und Angehöriger würde ich aber trotzdem immer den Weg der Therapie weisen. Sie wird ihn sich wohl nur ins Bewusstsein rufen, wenn es ihr wirklich schlecht geht. Therapie ist der einzige gangbare Weg, ob stationär oder ambulant muss man im Einzelfall und für sich entscheiden. Jetzt ist sie ein dreiviertel Jahr dabei. Das ist schon sehr lange. Ich wünsche ihr, dass sie bald den Dreh kriegt. Sie verschenkt einfach ihr Leben.

Ich bin froh über das, was Du über Dich grad erzählt hast. Du bist anscheinend schon sehr sensibilisiert für solche Geschichten der psychischen Erkrankungen. Ich glaub, dass wird Dir helfen, dass Du auf Dich selbst achtest. Meinen Respekt übrigens zu Deiner Geschichte. Da hast Du schon viel hinter Dir!
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Post Wed, 16.Jun.04, 12:51      Re: Ich bin ein bisschen ratlos Reply with quoteBack to top

Hallo,

nun sicher auch nicht mehr als andere, was mir gerade hier (in diesem Forum) sehr deutlich wird.

Ich danke dir sehr für deine Antwort.
Ich werde dranbleiben ... Wink

Schönen Tag!
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