Haftung bei Patientensuizid

Die Psyche spielt eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung des körpereigenen Abwehrsystems: immer mehr Krankheiten werden heute als 'psychosomatisch' und damit ggf. psychotherapeutisch relevant betrachtet.
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grobi
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Haftung bei Patientensuizid

Beitrag Do., 01.04.2010, 20:33

hallo,

ich hab eine frage an euch.....eine sehr enge freundin hat sich vor 2monaten das leben genommen.zu dieser zeit befand sie sich in ambulanter psychotherapie.und ich frage mich wie es soweit kommen konnte und warum ihr therapeut dies nicht zu verhindern wusste??ist das nicht irgendwie unterlassene hilfeleistung seitens des therapeuten???darf sowas paßieren?hat das konsequenzen für die therapeuten oder "gehört das halt so dazu"?

vorab danke*

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münchnerkindl
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Beitrag Do., 01.04.2010, 21:38

Ein Bekannter von mir hat sich in der Psychiatrie umgebracht.


Jemand der es tun will, der ist nur äusserst schwer davon abzuhalten. Was soll denn ein Therapeut tun? Im bessten Fall erkennt er die Gefahr und leitet die Zwangseinweisung in die Wege. Nur nicht jeder Selbstmörder kündigt das so klar an. Und es kann ja auch eher kurzentschlossen getan worden sein.


Gast
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Beitrag Do., 01.04.2010, 21:39

Hallo grobi,Bild

Es dürfte schwerfallen, dem Therapeuten ein Mitverschulden anzulasten. Schließlich gibt es für die Gespräche zwischen ihm und Deiner Freundin keine Zeugen. Wie also sollte man nachweisen, daß Deine Freundin ihm gegenüber ernsthaft von Suizid gesprochen hat?

LG, Sir

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Zwackel
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Beitrag Do., 01.04.2010, 21:46

Hallo Grobi,

es tut mir sehr leid, dass du deine Freundin auf diese schlimme Art und Weise verloren hast. Das ist sehr tragisch und ich kann nachvollziehen, dass du das Bedürfnis hast, einen Schuldigen zu suchen.
Aber ich denke, es ist ungerecht zu behaupten, der Therapeut hätte "unterlassene Hilfeleistung" begangen. Ohne die genauen Umstände zu kennen, bin ich mir ziemlich sicher, dass Er nicht die eigentliche Ursache oder der Auslöser für diese Verzweiflungstat ist, und dass er alles getan hätte, um sie zu verhindern, wenn er es denn vorraussehen hätte können. Manchmal kommt aber leider jede Hilfe zu spät !
So etwas ist bestimmt auch für einen Therapeuten wohl das Schlimmste, was einem passieren kann !
Ob es möglich ist, ihn deshalb juristisch zu belangen, weiss ich nicht. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich und auch für menschlich fragwürdig, es sei denn du hast ganz konkrete Hinweise darauf, dass in der Therapie etwas völlig falsch gelaufen ist.
Ich wünsche dir alles Gute und viel Kraft !
LG, Zwackel
Life is what happens to you while you're busy making other plans.
(John Lennon)

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Riniel
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Beitrag Do., 01.04.2010, 22:51

Es tut mir leid, was mit deiner Freundin passiert ist.
Ich denke auch, es ist schlimm für einen Therapeuten, wenn seine Patientin sich das Leben nimmt. Ob und welche Konsequenzen das für ihn hat würde mich auch interessieren.

Wir wissen nicht was in den Therapiestunden abgelaufen ist, manchmal ist der Therapeut mitschuld wenn er über die Suizid-Gedanken informiert ist und nicht hilft, aber manchmal kann ein Patient auch was vorspielen, dass alles in Ordnung ist weil er vollkommen entschlossen ist, dass er nicht mehr Leben möchte und will auch keine Hilfe vom Therapeuten.

Hat sie denn mit ihm darüber gesprochen?

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Innere_Freiheit
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Beitrag Do., 01.04.2010, 22:58

Hast du gewusst / geahnt, dass sie sich umbringen will?

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estelle
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Beitrag Do., 01.04.2010, 23:35

http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?i ... 67404x.pdf

Selbst in einer geschlossenen Abteiling einer Psychiatrie sind die Patienten nicht immer unter Aufsicht,
deshalb kommt es vor.

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grobi
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Beitrag Fr., 02.04.2010, 00:34

hallo und danke für die schnellen antworten
also ich vermute schon,dass ihr kritischer zustand in der therapie sichtbar war..aber ich weiß es natürlich nicht sicher.ich will auch keine rache oder so...schuld bringt ja keinem mehr was.nur weiß ich aber (da ich selbst auch in therapie bin)das so ein vorfall konsequenzen haben kann(meint jedenfalls MEIN therapeut).darum die frage ob therapeuten eben überhaupt für irgendwas haftbar sind?
schlaflose grüße*
g

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R.L.Fellner
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Beitrag Fr., 02.04.2010, 03:38

Liebe grobi,

das ist ja eine ganz schlimme Erfahrung, die Sie da machen mußten! Offenbar litt Ihre Freundin an einer schweren Depression oder bipolaren Störung - leider ist es so, daß gerade bei diesen die Suizidrate vergleichsweise sehr hoch ist. Psychotherapien können dabei helfen, das Schlimmste zu verhindern, letztendlich ist aber auch der beste Therapeut machtlos, wenn bei Patienten eine konkrete Suizidabsicht besteht (das ist auch der Grund, warum bei schweren Depressionen oder bipolaren Störungen unterstützende Medikation eigentlich unabdingbar ist, damit die Psychotherapie überhaupt 'greifen' kann). Wenn sich jemand aber töten will und in seinen dunkelsten Momenten keinen anderen 'sinnvollen' Ausweg mehr wahrnehmen kann, wäre es selbst in einer geschlossenen Station nicht 100%ig möglich, einen Suizid zu verhindern.
Für die Hinterbliebenen - und glauben Sie mir, auch für Therapeuten, die eine solche Erfahrung machen müssen - ist dies schrecklich und nur ganz schwer zu verarbeiten.

Auch wenn man in solchen Situationen dazu neigt, "dem System" vorzuwerfen, es hätte nicht genügend Kontrolle und Zwang angewendet, um den Suizid zu verhindern, möchte ich jedoch nicht unerwähnt lassen, daß gerade viele Ethiker diese "letzte Möglichkeit" von Menschen, ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen, für ganz wichtig halten und Zwangsmaßnahmen in der Medizin erbittert bekämpfen. Wer definiert, ob ein Leben "lebenswert" ist oder nicht? Wer darf entscheiden, ob jemand vor seinem Todeswunsch - nötigenfalls unter Zwang - "geschützt" werden muß oder ob nicht sein Wunsch -das eigene Leben betreffend- schützenswerter ist? Ich erinnere an eine entrüstete öffentliche Debatte rund um die Nutzung von "Netzbetten" an einer österreichischen Klinik vor etwas mehr als 1 Jahr.

Dies aber nur als Gedankenanstoß. Daß es für Sie und alle Betroffenen ganz schwer sein muß, das Geschehene zu verarbeiten - und vor allem auch: zu akzeptieren -, ist mir völlig klar. Die rechtlichen Implikationen und Fragen der Verantwortung der Beteiligten, auch der professionellen Vorgangsweise der involvierten Helfer, werden von den Behörden rund um einen solchen Todesfall geklärt.

Herzliche Grüße,
Richard L. Fellner


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Beitrag Fr., 02.04.2010, 11:37

R.L.Fellner hat geschrieben: möchte ich jedoch nicht unerwähnt lassen, daß gerade viele Ethiker diese "letzte Möglichkeit" von Menschen, ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen, für ganz wichtig halten und Zwangsmaßnahmen in der Medizin erbittert bekämpfen. Wer definiert, ob ein Leben "lebenswert" ist oder nicht? Wer darf entscheiden, ob jemand vor seinem Todeswunsch - nötigenfalls unter Zwang - "geschützt" werden muß oder ob nicht sein Wunsch -das eigene Leben betreffend- schützenswerter ist?
Meine Analytikerin (Dr. med.) vertritt dezidiert die Auffassung, daß nur ein psychisch Kranker Suizid begeht (außer unter Extremsituationen wie in Nazi-KZ; bei schwersten unheilbaren Krankheiten z. B. gäbe es lindernde Medikamente).

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estelle
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Beitrag Fr., 02.04.2010, 13:05

http://www.psychologie.tu-dresden.de/i2 ... suizid.pdf

Wenn der Therapeut der letzte Ansprechpartner der Patientin war und sie ihm gegenüber Selbstmordabsichten geäußert hat ist er verpflichtet den Rettungsdienst oder einen Krisendienst
einzuschalten,da jeder gesetzlich dazu verpflichtet ist erste Hilfe zu leisten.


Also,wenn man es nicht sagt in der Therapie und der Therapeut es nicht merkt,zum Beispiel weil
der Patient eine Psychoanalyse macht und der Therapeut es nicht sehen kann wie es dem Patienten
geht,weil er auf der Couch liegt,trifft den Therapeuten keine Schuld, so einfach machen die sich das!

Außerdem können sie ja hinterher immer behaupten sie hätten es nicht bemerkt und der Patient hätte
nichts gesagt,wer will das Gegenteil beweisen?
Zuletzt geändert von estelle am Fr., 02.04.2010, 13:44, insgesamt 3-mal geändert.

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estelle
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Beitrag Fr., 02.04.2010, 13:17

Hallo grobi,
ich stelle dir hier noch mal einen Link ein zu einem Urteil (hab aber selber noch nicht alles dazu gelesen),


http://www.herkar.de/arzthaftung/archiv ... fehler.php

Der eine Link funktioniert leider nicht,aber du kannst ja mal bei google eingeben:Haftung bei Suizid bei
ambulanter Psychotherapie,da steht noch eine ganze Menge,das kann ich hier auch nicht alles eingeben.

Hat deine Freundin denn einen Abschiedsbrief hinterlassen?

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Innere_Freiheit
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Beitrag Fr., 02.04.2010, 13:48

Violetta 2009 hat geschrieben: Wenn der Therapeut der letzte Ansprechpartner der Patientin war und sie ihm gegenüber Selbstmordabsichten geäußert hat ist er verpflichtet den Rettungsdienst oder einen Krisendienst
einzuschalten,da jeder gesetzlich dazu verpflichtet ist erste Hilfe zu leisten.
Ich glaube, dass gerade diese Verpflichtung der Grund ist, warum sich Menschen mit Selbstmordabsichten niemandem anvertrauen: man würde zwar sehr gerne mit jemandem reden, aber man möchte nicht, das dieser Jemand einem an der eigenen freien Entscheidung mit Gewalt zu hindern verpflichtet ist.

Somit geht der Schuss nach hinten los und die Haftung und die Hilfeverpflichtung wird zu etwas, was gerade die erwünschte Hilfe verhindert und den Menschen in der Krise mit sich ganz alleine lässt.
Das was ich ablehne, bleibt an mir kleben!

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estelle
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Beitrag Fr., 02.04.2010, 14:11

Innere_Freiheit hat geschrieben:Ich glaube, dass gerade diese Verpflichtung der Grund ist, warum sich Menschen mit Selbstmordabsichten niemandem anvertrauen: man würde zwar sehr gerne mit jemandem reden,
Ja,aber dann müßte man doch von einem Therapeuten erwarten können,dass dieser in solchen Dingen
besonders geschult ist und bei manchen Äußerungen hellhörig wird.

Mein ehemaliger Therapeut fiel zum Beispiel aus allen Wolken als ich ihm am Ende der Therapie erzählte
wie suizidal ich die ganze Zeit gewesen wäre und ihm ist dieses garnicht aufgefallen und er sagte,
das hätte ich ihm sagen müssen. Also bekommen einige Therapeuten das ja anscheinend garnicht
mit,wenn man es nicht direkt sagt.

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Innere_Freiheit
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Beitrag Fr., 02.04.2010, 14:20

Aber gerade deshalb wäre es doch gut, wenn so irrsinnige Gesetze gestrichen werden würden ....
und stattdessen der Therapeut verpflichtet wäre, mit dem Patienten zwar die Gründe für den Suizidwunsch durchzuarbeiten, diesem jedoch die volle freie Entscheidung zu lassen.

Dann könnte sich jeder Suizidgefährdete bei Redebedarf einen (auf diesem Gebiet angstfreien und kompetenten) Berater oder Therapeuten suchen, und offen mit diesem reden. Somit könnten sicher mehr Selbstmorde verhindert werden, wie wenn jeder dieses Thema nur mit sich selbst ausmachen muss......
Das was ich ablehne, bleibt an mir kleben!

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