Zum Begriff der 'Störung'

Hier können Sie Fragen zu Begriffen, Diagnosen und sonstigen Fachworten stellen, die einem gelegentlich im Zusammenhang mit Psychologie und Psychotherapie begegnen oder die Bedeutung von Begriffen diskutieren.
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candle.
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Beitrag Do., 29.03.2012, 21:23

Widow hat geschrieben: Sonst verwandelt sich dieser Thread vielleicht in eine Art Lexikon - und irgendwo hier gibt's doch schon die Rubrik "Begriffsklärung", oder?
Genau in DIESEM Bereich befinden wir uns doch. So, Feierabend, bis morgen!

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Osa
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Beitrag Do., 29.03.2012, 21:24

titus2 hat geschrieben:Und nun kommt da die Erkenntnis, dass alles einen Grund hat. Und ich kann einfach nicht sagen: "Ach, jetzt weiß ich endlich Bescheid, dann ist es ja gut" - also, irgendwo hakt es da offensichtlich bei mir.
Den Gedanken kenn ich, aber ich glaube, das geht jedem "Anfänger" (im Sinne von: das erste Mal sich mit sich selber auseinandersetzen mit professioneller Unterstützung) so, dass man denkt: Was soll ich jetzt machen mit dieser Erkenntnis? Ich hab darauf selber noch keine Antwort, hab ja meine Therapie noch nicht mal offiziell angefangen, aber ich hoffe, darauf für mich irgendwann mal eine Antwort zu wissen.
titus2 hat geschrieben: Von ihm kommt einfach nur sehr viel Verständnis - das steht schon irgendwie im Gegensatz zu dem, was man so liest über solche Persönlichkeitsstörungen.
Das ist doch toll, dass dein Therapeut dir Verständnis zeigt und nicht darauf eingeht, die Störfaktoren klassifizieren zu wollen!
Ich hab mal in einer probatorischen Sitzung als es mir echt schlecht ging verzweifelt gefragt "was fehlt mir denn eigentlich? wie heißt das genau?" Der Analytiker hat natürlich nicht die Frage beantwortet, sondern etwas irritiert zurückgefragt: "Wieso gehen Sie davon aus, dass Ihnen etwas fehlt?" Das hat mir sehr geholfen und ich bin im Nachhinein total froh, dass er mir nichts diagnostisches gesagt hat, ich hätte sonst nicht mehr aufgehört, diese Diagnose zu googlen und mich bei Amazon in den finanziellen Ruin zu treiben...

P.S.: Neue Posts noch nicht gelesen...


Widow
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Beitrag Do., 29.03.2012, 21:26

Liebe candle,

danke fürs Leuchten!
Dann eröffne doch Threads zu den Begriffen, die Dich hier interessierten ...

Guts Nächtle in den hohen Norden und überall hin,
Widow

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candle.
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Beitrag Do., 29.03.2012, 21:29

Das hat titus doch eingeführt- na egal, aber keine Sorge, das Gift wirkt nicht Widow.

candle
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Thread-EröffnerIn
leberblümchen
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Beitrag Do., 29.03.2012, 21:33

stern, man muss ja dabei auch bedenken, dass diese Gutachten so formuliert sein sollten, dass die angestrebte Therapie auch bewilligt wird. Da wird dann schon nicht stehen: "Frau Titus ist so schlau, stabil und souverän" Das ist mir schon klar. Ich würde niemals danach fragen. Aber wenn ich daran denke, bin ich doch tatsächlich ziemlich neugierig. Warum ist das so?

Ratlosigkeit, was mir eine Diagnose bedeuten würde? Also, so wirklich hören will ich sie nicht... Ich denke, da ginge es mir wie stern - mich würde das eher zusätzlich verunsichern. Wenn ich jetzt selbst rausfinde: Ich hab diese und jene Störung, dann wäre das irgendwie was anderes. Warum, weiß ich auch nicht.

Was mir tatsächlich wichtig wäre, fällt mir gerade auf, wäre so was wie eine Prognose. Nun wird mir mein Therapeut wohl sicher, hoffentlich, nicht sagen: "Also, ich nehme nicht an, dass ich Ihnen wirklich helfen kann. Aber kommen Sie ruhig noch ein paar Jahre vorbei". Insofern nützt es mir auch nichts, wenn ich danach frage.

Candle und Widow, sorry, ich finde eigentlich auch, dass der Thread nicht hierher passt. Es ging ja um mehr als um Definitionen.


Widow
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Beitrag Do., 29.03.2012, 21:36

@ cadle: Soweit ich es verstanden habe, geht es hier nicht um eine Definition des Begriffs "Störung" durch die Forenuser (oder "Frühstörung" oder "Strukturniveau" etc.) - nichts für ungut. Hat mit Gift nix zu tun, nur mit Logik, aber die mag der eine oder andere auch ätzend finden ...

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stern
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Beitrag Do., 29.03.2012, 21:38

stern, man muss ja dabei auch bedenken, dass diese Gutachten so formuliert sein sollten, dass die angestrebte Therapie auch bewilligt wird. Da wird dann schon nicht stehen: "Frau Titus ist so schlau, stabil und souverän"
sicherlich... allerdings glaube ich nicht, dass zwingend übertrieben werden muss, um eine Bewilligung zu erhalten... und nun ja, die Defizitbeschreibung (auch eine Diagnose beschreibt im Grunde nur Defizite, nicht den Menschen an sich) kann negativ formuliert sein negativer oder negativst oder weniger negativ (hängt meiner Erfahrung nach auch von der Haltung des Theras ab).

Erklärungen/Erläuterungen waren für mich jedenfalls leichter verdaulich als das Lesen eines Gutachten (obwohl ich qualtitativ-inhaltlich schon beides relativ deckungsgleich wahrnahm... auch nicht über- oder untertrieben... also obwohl nicht wirklich anderes drin stand als eh in irgendeiner Form besprochen wurde)... liegt vermutlich auch an der geballten Komprimierung, keine Ahnung.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
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Widow
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Beitrag Do., 29.03.2012, 21:53

titus2 hat geschrieben:was mir eine Diagnose bedeuten würde? Also, so wirklich hören will ich sie nicht... Ich denke, da ginge es mir wie stern - mich würde das eher zusätzlich verunsichern. Wenn ich jetzt selbst rausfinde: Ich hab diese und jene Störung, dann wäre das irgendwie was anderes. Warum, weiß ich auch nicht.
These zu diesem Unterschied:
Wenn der Thera einem die Diagnose mitteilt, wird das hierarchische Gefälle wieder mal so deutlich. (Könnte das sein?)
(These dazu, warum wir überhaupt daran interessiert sind, Diagnosen recherchieren:
Mir jedenfalls ist es, glaube ich, doch irgendwie peinlich, so eine "seelische Erkrankung/Störung" zu haben. 'Das ist doch nichts!', zählt nicht, ist nichts Ernstzunehmendes (und wie die verinnerlichten Argumente noch lauten mögen ...). Wenn ich aber Informationen bekomme, die den 'Krankheitswert' meiner 'Macke' belegen, dann fühle ich mich damit wohler, ist sie mir nicht mehr so peinlich und kommt mir nicht mehr wie eine völlig lächerliche Lappalie vor. - So irgendwie in die Richtung vielleicht?)
titus2 hat geschrieben:Was mir tatsächlich wichtig wäre, fällt mir gerade auf, wäre so was wie eine Prognose. Nun wird mir mein Therapeut wohl sicher, hoffentlich, nicht sagen: "Also, ich nehme nicht an, dass ich Ihnen wirklich helfen kann. Aber kommen Sie ruhig noch ein paar Jahre vorbei". Insofern nützt es mir auch nichts, wenn ich danach frage.
Ich glaube nicht, dass Du bei Deinem Analytiker in Analyse wärest, wenn er selbst nicht von einer guten Prognose ausginge. (Und das muss keineswegs eine "vollständige Heilung" bedeuten - was immer das sein mag [danke an Ratlosigkeit für die Grundsatzfrage nach der Grenze zwischen Störung und Normalität!] -, aber sicherlich ein "besser Klarkommen", vielleicht gar ein "glücklicher Werden".)

Grüße von der Scholle


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leberblümchen
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Beitrag Do., 29.03.2012, 22:13

Hallo, widow,
ich glaube, mit der Hierarchie hab ich überhaupt kein Problem. Ich bin ja nach meiner Recherche so eine, die irgendwie oral fixiert ist und daher wohl bereitwillig alles 'aufsaugt', was sie bekommt Wenn ich also jemandem vertraue, und das kommt eigentlich derzeit zum allerersten Mal überhaupt in meinem Leben vor, dann freue ich mich richtig darauf, die Verantwortung und den 'Bestimmerstatus' mal abgeben zu können. Von daher hätte ich nichts dagegen, ihn als Autorität zu sehen. Im Gegenteil.

Es ist eher so, dass es schon irgendwie peinlich ist, wenn man so was gesagt bekommt. Es war mir überhaupt nicht peinlich, dass er mir gesagt hat, ich sei trotzig (könne aber nichts dafür ), weil das so gut gepasst hat. Aber wenn ich hören würde: "Sie sind ja extrem gestört und haben folgende Diagnosen...", dann wäre das so was wie ein Urteil. Und Urteile hab ich von meiner Mutter (die ist sowieso an allem schuld ) schon allzu oft gehört. Wenn er es aber so verpackt, dass die Fachbegriffe gar nicht genannt werden, sondern einfach nur das benannt wird, was ich auch exakt so fühle, dann ist das prima - egal, wie peinlich es eigentlich sein müsste. Und ich fühle mich ja nicht 'frühgestört', sondern eben ängstlich, trotzig, hilflos, wütend...

Für mich selbst aber ist es bestimmt auch so, dass ich mich damit wohler fühle, wenn ich mir sagen kann: Es hat alles einen Namen und einen Grund. Das hat etwas Logisches, Wissenschaftliches: Es ist etwas passiert, und deshalb hab ich jetzt eine Störung. Das ist doch besser, als wenn ich mir sagen müsste: "Du bist einfach 'nur' komisch". Und dass ich 'komisch' bin, hat man mir jahrzehntelang gesagt. Das hat mir aber leider nicht geholfen.

Jetzt bin ich also nicht mehr komisch (und er sagt so oft, dass es alles sozusagen 'ganz normal' ist, was ich fühle und wie ich bin, und das ist so tröstlich, auch wenn es natürlich alles andere als normal ist, was ich empfinde), sondern ich habe eine Störung. Klingt irgendwie besser, finde ich.

Nur gefallen mir die Attribute dazu nicht so gut, die man eben liest. Mir ist noch nicht klar, warum so jemand wie wir nun so ein schwerer Fall sein soll. Gut, vielleicht lösen sich nicht alle Beschwerden in Luft auf. Aber irgendwie hat ja jeder Mensch auch noch Ressourcen, oder?

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stern
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Beitrag Do., 29.03.2012, 22:20

Ich hab einmal in der Therapie angesprochen, dass ich mich frage, ob ich Depressionen habe - hab aber darauf - natürlich - keine Antwort bekommen. Aber das ist wirklich O.K. so. Würde es mir jetzt besser gehen, wenn mein Zustand einen Namen hätte? Ich glaube nicht.

Vielleicht ist das auch tatsächlich so eine Art Abwehr, dass man versucht, das Haus von außen neu zu streichen, anstatt es zu entkernen? Ich sammle mir da ständig neue Bausteinchen und denke: "Ach, das ist ja interessant - so eine bist du also".
Ich würde niemals danach fragen. Aber wenn ich daran denke, bin ich doch tatsächlich ziemlich neugierig. Warum ist das so?
Weiß nicht, ob üblich ist, dass man natürlich keine Antwort bekommt... ich bekam regelmäßig Antworten (nicht PA). Wenn es für dich stimmig ist: Gut. Für meinen Teil fände ich es nicht prickelnd, eine Geheimniskrämerei daraus zu machen (aus verschiedenen Gründen heraus)... oder Sprüche zu hören wie: Tut doch eh nix zur Sache. Ich denke, wenn es gut kommuniziert ist und man mit der Zeit auch ein stimmiges Bild/Erklärungen entwickeln hat, kann man den Namen auch nennen. Also das eine (Diagnosenennung) schließt ja Erklärung, Entkernung und Tralala nicht aus.

Solange ich noch kein Bild hatte (sondern Puzzelsteine recht wirr waren... wobei das Bild immer noch nicht fertig ist) war bei mir die Kenntnis der Diagose teils vermeintlicher Lückenfüller für Erklärungen, die mir noch fehlten... je weiter ich mit dem Puzzle komme, umso unwichtiger wird/wurde die Diagnose als Mit-Erklärungshilfe. Aber die Kenntnis der Diagnose war auch kein Hindernis... außer wenn man anfällig ist, sich dann zu sehr von der Negativseite zu betrachten (kurzfristig tappte ich mal in die Falle). Vielleicht auch dann (was bei mir nicht so ist), wenn man dann in eine Schiene gerät: weil Diagnose oder Lehrbuch zu xy besagt, dass es so ist, muss es bei mir auch so sein. Nur realistisch ist es (für mich) so: Weder eine Diagnose noch ein Lehrbuch hat individuellen Erklärungswert... ich muss manches spüren, um es zu verstehen und auch um es zu ändern... über Literatur geht das kaum. Wenn man die Diagnose für eine denkbar schlechte Beschreibung einer Beeinträchtigung sieht (für die es eben keine bessere Beschreibung gibt), die natürlich wenig zum Menschen an sich sagt... und die auch nur in einzelnen Punkten passt, also Diagnosen nicht überbewertet, dann kann man sich IMO auch benennen.

Auch teile ich nicht immer jeder Ansicht/Hypothese eine Theras .

Klingt vielleicht bescheuert... aber in einem Punkt war eine Diagnose irgendwo auch erleichternd in dem Sinne, dass ich mich nicht ganz so exotisch und gestört fand... sondern das sogar einen Namen hat... und somit nicht so exotisch sein kann wie zuvor angenommen.

Hoffentlich bin ich nicht zu wirr... bin dzt. nicht ganz so beisammen.
Liebe Grüße
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leberblümchen
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Beitrag Do., 29.03.2012, 22:33

Hallo, stern, tut mir ja leid, dass du dich nicht so fühlst!

Vielleicht kommt das auch auf die Art der Störung an, ob der Begriff dann, wenn er fällt, hilfreich oder deprimirend ist? Mit einer Neurose käme ich sicher zurecht. Aber das scheint es irgendwie nicht zu sein.

Ich hab das vielleicht blöd erklärt: Als ich das mit der Depression ansprach, hatte ich nicht das Gefühl, dass es mir wirklich fehlt, keine Antwort im Sinne von "ja" oder "nein" zu bekommen. Er mag diese Stempel einfach nicht so - jedenfalls im Umgang mit dem Patienten...

Ich hab schon öfter von Transparenz gelesen, aber ich muss sagen, dass mir das nicht so richtig fehlt. Vielleicht muss man auch nicht alles wissen? Vielleicht muss ich einfach hinnehmen, dass das Ganze zweigleisig abläuft: In der Therapie will ich mich fallenlassen und überrascht werden - wahrscheinlich ist hier das passende Stichwort Regression. In diesem Kontext würde mich Transparenz irgendwie verwirren.

Und 'draußen' will ich nicht mehr geführt werden, sondern muss selbst klarkommen; da muss dann wieder der Verstand (soweit vorhanden) zum Einsatz kommen.

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Tristezza
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Beitrag Fr., 30.03.2012, 09:08

titus2 hat geschrieben:In der Therapie will ich mich fallenlassen und überrascht werden - wahrscheinlich ist hier das passende Stichwort Regression. In diesem Kontext würde mich Transparenz irgendwie verwirren.Und 'draußen' will ich nicht mehr geführt werden, sondern muss selbst klarkommen; da muss dann wieder der Verstand (soweit vorhanden) zum Einsatz kommen.
Sorry, aber die Tatsache, dass du in der Therapie keine Transparenz zu wollen scheinst, am liebsten vielleicht sogar den Verstand ausschalten willst, weil der Thera als idealer Elternteil dich in allem führen soll, erschreckt mich irgendwie. Was wäre, wenn du nicht an einen - offensichtlich guten - Thera, sondern an einen Kurpfuscher geraten wärst? Aber ich denke, dass ihr daran arbeitet und es auch irgenwann "auflösen" werdet, nicht nur intellektuell.
Zum Begriff "frühgestört": Es gibt laut pa Theorie, wie von Widow auch angedeutet, ja verschiedene Anteile in einer Person. Man ist nicht unbedingt nur "frühgestört" oder nur "spätgestört". Wenn jemand, wie du, sein Leben nach außen hin gut managt, denke ich, hat er höchst wahrscheinlich neben potenziellen Frühstörungsanteilen auch relativ reife Anteile, weil er sonst die Fassade schwerlich über lange Zeit so gut aufrechterhalten könnte.


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leberblümchen
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Beitrag Fr., 30.03.2012, 09:32

Tristezza, hm, ich bin etwas verwirrt: Neulich hast du noch in Widows Thread geschrieben - sehr einleuchtend, wie ich finde -, dass es nicht unbedingt Sinn der Sache ist, sich intellektuelle Herausforderungen in der Therapie zu suchen. Und nun schreibst du, ohne Verstand geht es nicht. Gut, vielleicht sind das die beiden Extreme, aber es ist ja nicht so, dass ich den Verstand völlig abgebe. Wir reden natürlich auch auf einer anderen Ebene über die Themen, aber nicht mit irgendwelcher Fachterminologie und nicht in diagnostischen Schubladen. Ich kann dir das jetzt nicht so beschreiben, aber es fühlt sich einfach gut und richtig an. Ich gewinne viele neue Einsichten. Aber dazu sind eben keine Diagnosen nötig. Soweit ich weiß, ist das Spannende in einer Therapie eben nicht so sehr das rationale Verstehen, sondern das Fühlen. Wie könnte ich denn da was fühlen, wenn man mir irgendwelche Diagnose an den Kopf wirft oder wenn man mir so eine Art Plan in die Hand drückt, aus dem hervorginge, wann wir was voraussichtlich tun und erreichen werden?

Es käme mir reichlich absurd vor, wenn ich dann hören würde: "Also, ich erkläre Ihnen mal, was wir hier machen: Ich übernehme jetzt die Rolle Ihrer Mutter und Sie fühlen sich zurückversetzt in Ihre Kindheit. Dann spielen wir das alles noch mal durch. Und nun regredieren Sie mal schön".

Eigentlich ist es eher umgekehrt: Ich glaube, ich befasse mich viel zu sehr damit. Ich wollte anfangs immer alles ganz genau wissen. Aber das war gar nicht nötig. Ich weiß auch nicht, wieso, aber ich brauche diese Transparenz nicht mehr. Bei den Medizinern ist es anders: Ich finde es furchtbar, wenn ein Arzt mir sagt: "Ich gebe Ihnen jetzt mal 'ne Spritze" - da will ich wissen: Was ist da enthalten? Was sind Nebenwirkungen? Warum diese Spritze und keine andere? In der Psychotherapie wäre das für mich - zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls - total hinderlich. Gerade weil ich doch so eine Nervensäge bin, die immer alles mehr als genau wissen will. Ich weiß auch nicht - aber in dieser Therapie ist alles irgendwie neu und anders - aber es stimmt einfach für mich.

Aber das Interesse an dem theoretischen Hintergrund, das ist dennoch da. Nur könnte ich mir eben definitiv nicht vorstellen, mit dem Therapeuten darüber zu diskutieren, ob auf mich eher Störung x oder Störung y zutrifft. Das spielt sich halt alles auf einer anderen Ebene dort ab. Keine Ahnung, ob das so üblich ist?

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Beitrag Fr., 30.03.2012, 09:40

titus2 hat geschrieben:Soweit ich weiß, ist das Spannende in einer Therapie eben nicht so sehr das rationale Verstehen, sondern das Fühlen.
Beides ist wichtig... also Kognition plus Emotion... wenn eines (egal was von beidem) stärker hinter dem anderen zurücktritt ist das eher nicht so das optimale.

Beteiligung des Kopfes schließt ja auch nicht aus, dass ich gleichzeitig etwas fühlen kann... sind eben zwei Kanäle, die beide wichtig sind.

Und wie gesagt: Diagnosen müssen ja nicht an den Kopf geworfen werden, geworfen schon gleich mal nicht... sondern das schließen das drumherum nicht aus. Wenn es für dich so stimmig ist, ist es doch toll... kann aber vielleicht auch ein bisschen rationalisierung dabei sein, denn oben hast du sinngem. geschrieben, dass du andererseits doch neugierig wärst.
Liebe Grüße
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leberblümchen
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Beitrag Fr., 30.03.2012, 09:48

Wenn ich noch mal so darüber nachdenke, dann ist das ja nun wirklich nicht so, dass wir nicht auch über die kognitive Ebene gehen. Aber der Schwerpunkt liegt, so empfinde ich das jedenfalls, woanders. Oder vielleicht ist es auch nur so, dass mich die 'andere' Seite mehr berührt. Wenn ich hier sitze und schreibe oder in einem Buch etwas nachlese, bin ich dabei total emotionslos. Da regt sich nichts, wenn ich von allen möglichen Störungen lese, die ich vielleicht habe oder auch nicht. Und in den Stunden ist es halt anders: Da kommt alles irgendwie hoch und es fühlt sich wirklich ganz anders an. Obwohl die Thematik ja genau dieselbe ist.

Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, dass wir da sitzen und ich erzähle: "In Buch xy habe ich folgendes gelesen. Was sagen Sie dazu?" Irgendwie passt es nicht zu 'uns'. Ich will das auch nicht. Ich will zu Hause lesen und in den Stunden fühlen. Keine Ahnung, ob das wieder besonders gestört ist, aber ich glaube, es muss ja für den Patienten selbst stimmig sein.

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